A. Grundbegriffe der Rechtsanwendung

In diesem Abschnitt geht es um die Frage, wie man das Recht – insbesondere das Gesetz – auf einen einzelnen Fall anwendet.
Bevor wir dieses Problem aus praktischer Sicht betrachten, machen wir uns zunächst mit einigen Grundbegriffen vertraut.

Am Ende dieses Kapitels wissen Sie,

  • was Juristen unter einem Fall verstehen,

  • welche Rolle die Logik bei der Fallbearbeitung spielt,

  • warum Begriffe, Systeme und Definitionen für die Rechtswissenschaft so wichtig sind

  • und wie Definitionen gebildet werden.

Darüber hinaus lernen Sie das Gesetz zum ersten Mal näher kennen:
Sie erhalten einen kurzen Einblick in die Art und Struktur von Rechtsnormen.
Der anspruchsvollste Teil beschäftigt sich mit dem sogenannten Justizsyllogismus – dem Schluss von der Norm auf den Einzelfall.
Abschließend befassen wir uns mit der juristischen Arbeitsweise und einigen rechtsmethodischen Grundfragen, wie sie in der Rechtsphilosophie diskutiert werden.

Die folgenden Seiten enthalten überwiegend theoretische Grundlagen. Es werden noch keine Fälle gelöst, sondern das Werkzeug vorgestellt, mit dem Sie künftig Fälle bearbeiten können.
Leser mit Vorkenntnissen werden manches wiedererkennen; andere werden sich zunächst fragen, warum gerade diese Informationen wichtig sind. Der Sinn erschließt sich, sobald Sie erste praktische Erfahrung mit der Rechtsanwendung gesammelt haben.

Vielleicht denken Sie: Ich möchte gleich loslegen – die Theorie kann warten.
Kein Problem: Beginnen Sie in diesem Fall mit dem Abschnitt „Gutachtenstil“ und lesen Sie das Kapitel „Grundbegriffe“ später nach. Lesen sollten Sie es dennoch, denn Sie wollen ja nicht nur Fälle lösen, sondern auch verstehen, was Sie tun, wenn Sie Fälle lösen – und die Fachbegriffe kennen, um sich mit anderen darüber austauschen zu können.


I. Der Fall

1. Abgrenzung

Aus sozialwissenschaftlicher Sicht beschäftigen sich Juristen mit interpersonalen Konflikten.
Die Hauptbeteiligten sind die sogenannten Konfliktparteien – natürliche Personen, Gruppen, Organisationen oder Staaten.
Konflikte lassen sich nach Art und Ursache in verschiedene Kategorien einteilen, etwa in Verteilungs-, Ziel-, Macht-, Wert- oder Beziehungskonflikte.


a) Kleiner Einblick in die Konfliktlehre

Zur Lösung von Konflikten wird umfassend geforscht.
Die Konfliktforschung bietet mit ihren empirischen Analysen zahlreiche Entscheidungs- und Handlungshilfen für rational handelnde Konfliktparteien.

Wer etwa wissen möchte, ob sich eine weitere Zusammenarbeit – also Verhandlungen oder Entgegenkommen – lohnt, oder ob man besser rechtliche Mittel einsetzen sollte, findet in der Konfliktforschung hilfreiche Orientierung.
Die Forschung zeigt, dass bei der Alternative Kooperation oder Druckausübung die Kooperation meist zu besseren Ergebnissen führt – sie ermöglicht eine win-win-Lösung, von der beide Seiten profitieren.
Das kann etwa bei einer fairen Trennungsvereinbarung oder einer Erbauseinandersetzung der Fall sein.
Allerdings zahlt sich Zusammenarbeit meist nur für denjenigen aus, der etwas in der Hand hat.
Sonst endet der Konflikt häufig mit einem einseitigen Nachgeben („lose“ ↔ andere Partei: „win“).

Setzt ein Konfliktpartner dagegen auf Machtausübung statt Kooperation, kann er zwar kurzfristig gewinnen („win ↔ lose“), verliert aber die Chance auf eine gute zukünftige Beziehung.
Das schadet nicht, wenn der Konflikt nur einmalig ist (z. B. ein kleiner Verkehrsunfall), kann aber nachteilig sein, wenn zwischen den Parteien eine familiäre, wirtschaftliche oder politische Verbindung besteht.

Soll ich in Konflikten kooperieren?
Juristen werden im Laufe ihrer Praxis zwangsläufig zu Konfliktexperten.
Das Recht selbst – genauer gesagt: seine Begrifflichkeit – stellt jedoch nicht den Konflikt, sondern den Fall in den Mittelpunkt.
Der Jurist nimmt die streitige Welt in Gestalt von Fällen wahr, die – wenn sie vor Gericht landen – zu Rechtsstreitigkeiten oder kurz Rechtssachen werden.

Merke:
Juristen sehen einen Konflikt als „Fall“.
Kommt der Fall vor Gericht, wird er zum Rechtsstreit.


b) Der Rechtsfall – Begriff und Bedeutung

Was aber ist ein Fall?

Merke:
Juristen verstehen unter einem Fall
eine Streitigkeit
zwischen mindestens zwei Parteien,
die nur durch eine rechtliche Entscheidung gelöst werden kann.

Ein Rechtsfall lässt also nur eine Art der Lösung zu – eine rechtliche.
Diese muss der Jurist finden.
Denn Juristen, insbesondere Richter, stehen unter Entscheidungszwang und dürfen sich nicht auf ein „unentschieden“ zurückziehen.
Bleibt der tatsächliche Hergang offen (non liquet), entscheiden die Beweislastregeln.


2. Fall und Falllösung

Die Rechtslehre betrachtet den Fall als etwas Konkretes, also faktisch („so war es“ oder „so ist es“ = das Sein),
während das Recht etwas Abstraktes und Normatives ist („so soll es sein“ = das Sollen).
Wird der Fall dem Recht zugeordnet, wendet man das Recht an.

Beispiel:

Recht: Der Entleiher ist verpflichtet, die geliehene Sache nach Ablauf der vereinbarten Zeit zurückzugeben (§ 604 Abs. 1 BGB).
Fall: E hat sich Cs Cabrio für ein Wochenende geliehen, möchte es aber wegen des guten Wetters länger behalten.
Rechtsanwendung: E ist verpflichtet, C das Cabrio zurückzugeben.
C hat gegen E einen Rückgabeanspruch.

Der Vorgang der Rechtsanwendung wird als Subsumtion bezeichnet – die Unterordnung des Falls unter das Recht.
Der Begriff wird unterschiedlich verstanden; hier verwenden wir ihn zunächst in einem weiten Sinn, später auf der Arbeitsebene in einem engeren.


Die Fälle, die Sie im Studium lösen, sind keine echten Rechtsstreitigkeiten, sondern konstruierte, rechtshaltige Probleme, die echten Fällen nachempfunden sind.
Diese Aufgaben werden in Form eines Sachverhalts gestellt.

Der Sachverhalt beschreibt das rechtserhebliche Geschehen, also Daten, Fakten, Abläufe und Verhältnisse, die die Streitigkeit bestimmen.
Ihre Aufgabe ist es, den Sachverhalt rechtlich zu bewerten.
Die Lösung verfassen Sie im Gutachtenstil.

Wer eine gute Note anstrebt, sollte den Lösungsweg so weit wie möglich an der Lösungsskizze orientieren.
Diese wird vom Aufgabensteller erstellt und den Korrektoren als Maßstab gegeben.
Daher gilt: Wenn jemand sagt, „Schreiben Sie, was Sie wollen, solange Sie es gut begründen“, nehmen Sie das bitte nicht wörtlich.
Natürlich dürfen Sie schreiben, was Sie wollen – aber der Korrektor wird sich meist an die Musterlösung halten und weniger auf individuelle Wege eingehen.

Das Lösen von Rechtsfällen ist eine der zentralen Prüfungsleistungen im Jurastudium und wird regelmäßig in Klausuren abgeprüft.
Deshalb behandeln wir die Gutachtentechnik gemeinsam mit einer Einführung in die Klausurtechnik.


II. Rechtsanwendung

Die Zuordnung von Fall und Recht ist alles andere als einfach.
Wenn Rechtsanwendung simpel wäre, bräuchten Juristinnen und Juristen weder ein intensives Studium noch lange Praxisphasen.

Wie also funktioniert Rechtsanwendung?
Nach klassischer Vorstellung geschieht sie nach einer bestimmten Methode.
Über diese Methode wird seit über zweihundert Jahren nachgedacht – manche sehen darin keine Methode im engeren Sinn, sondern eher eine Kunst oder Klugheit, daher Begriffe wie Rechtskunst oder Jurisprudenz (Rechtsklugheit).
Der Einfachheit halber bleiben wir beim Begriff Methode.


1. Logisch-systematische Voraussetzungen

Rechtsanwendung ist mehr als ein Gedanke – sie ist Handeln: eingebunden in Institutionen, getragen von Einstellungen und geprägt durch Ausbildung und Praxis.
Richterinnen, Anwälte und Juristinnen nehmen an Meinungsprozessen teil und bewirken etwas, wenn sie Recht anwenden.

Trotz dieser Praxisnähe liegt juristischem Handeln ein charakteristisches Denken zugrunde, das sich theoretisch beschreiben lässt.
Viele Aspekte lassen sich mit Hilfe der Logik verstehen.
Ein Teil der Literatur meint daher, die Methode der Rechtsanwendung sei selbst logisch.
Dem wird hier nicht gefolgt – die Logik ist nicht die Methode selbst, spielt aber eine zentrale Rolle.


a) Der Syllogismus

Nach klassischer Vorstellung lösen Juristen ihre Fälle mit Hilfe eines logischen Schlusses – des Syllogismus.
Er bildet ein wichtiges Denkmuster innerhalb der Rechtslehre.

Ein Syllogismus besteht aus drei Begriffen:

  • Oberbegriff (P)

  • Mittelbegriff (M)

  • Unterbegriff (S)

Der Mittelbegriff vermittelt zwischen Subjekt (S) und Prädikat (P).

Schema des Syllogismus (Modus Barbara):

Obersatz: Alle Verträge (M) sind Rechtsgeschäfte (P).
Untersatz: Alle Kaufverträge (S) sind Verträge (M).
Schlusssatz: Also sind alle Kaufverträge (S) Rechtsgeschäfte (P).

Das syllogistische Schließen kennt bejahende und verneinende Urteile – entweder allgemein („alle“) oder partikulär („einige“).
Im Modus Barbara werden drei allgemeine Begriffe bejahend verknüpft.
Im Modus Ferio dagegen kombiniert man Allgemeinbegriffe und partikuläre Begriffe mit positiven und negativen Aussagen:

Beispiel (Modus Ferio):

Kein nichtiger Verwaltungsakt (VA) ist wirksam.
Einige VA, die an einem besonders schwerwiegenden Fehler leiden, sind nichtig.
Einige VA, die an einem besonders schwerwiegenden Fehler leiden, sind nicht wirksam.


b) Enthymeme – oder: Wir reden in Lückentexten

Solche vollständigen Schlüsse klingen logisch, aber auch etwas hölzern.
Im Alltag denken und sprechen wir kürzer.
Wir verkürzen logische Schlüsse, überspringen einzelne Glieder oder setzen sie als selbstverständlich voraus.

Beispiel:

Bei der vorliegenden Vereinbarung, einem Kaufvertrag, handelt es sich um ein Rechtsgeschäft.

Unausgesprochen steht dahinter der vollständige Schluss („Alle Verträge sind Rechtsgeschäfte“ usw., siehe oben).

Weiteres Beispiel:

„Fraglich ist, ob V und K einen Kaufvertrag gem. § 433 BGB geschlossen haben.
V hat gegenüber K ein Angebot erklärt, das K angenommen hat.
Damit ist zwischen V und K ein Vertrag gem. § 433 BGB zustande gekommen.“

Im Text fehlen einzelne Glieder der Begründungskette.
Ein erfahrener Leser ergänzt sie automatisch – vergleichbar einem Syllogismus:

  • Obersatz (unausgesprochen): Kaufverträge kommen durch Angebot und Annahme zustande.

  • Untersatz: In diesem Fall liegt Angebot durch V und Annahme durch K vor.

  • Schlusssatz: Also ist hier ein Vertrag zustande gekommen.

Fehlende Teile solcher Schlussketten nennt man Enthymeme.


Kennzeichen eines Enthymems:

  1. Fragmentarisch:
    Es ist nur ein Teil eines vollständigen Schlusses ausgesprochen.
    Selbstverständliches wird weggelassen – Enthymeme sind daher kurz, aber für Außenstehende oft unverständlich.
    Der Eindruck eines zwingenden Schlusses bleibt jedoch erhalten – und genau das macht Enthymeme rhetorisch stark.

  2. Entscheidung im Ungewissen:
    Enthymeme helfen, wenn keine absolute Wahrheit vorliegt.
    Ihre Prämissen sind nicht beliebig, sondern wahrscheinliche, anerkannte Aussagen oder Regeln.
    So gelangt man zu Ergebnissen, die vertretbar, plausibel oder angemessen sind.


Wir verwenden Enthymeme überall dort, wo wir im Ungewissen entscheiden müssen – im Alltag wie im Recht.
Sie liefern keine absolute Wahrheit, aber hinreichende Orientierung.
Genau das braucht der Jurist, der unter Entscheidungszwang steht.

Juristen bevorzugen Enthymeme auch wegen ihrer sprachlichen Kürze.
Was als selbstverständlich gilt, wird weggelassen – wer es trotzdem erklärt, wirkt unprofessionell.
Darum fehlen in juristischen Texten häufig zentrale Prämissen.
Den Gesetzestext zitiert man nicht vollständig, sondern verweist nur („gem. § 433 II BGB“).

Manchmal nutzt auch die Rechtsprechung Enthymeme gezielt, um sich nicht unnötig festzulegen – etwa wenn eine Prämisse zwar für das Urteil passt, aber nicht für künftige Fälle.

Merke:
Enthymeme sind nützlich, aber riskant.
Anfänger sollten alle Schritte ausführlich schreiben.
Erst mit wachsender Sicherheit kann man verkürzen.
Wer Sätze auslässt, riskiert, logische Fehler zu übersehen.
Im Zweifel: prüfen Sie jeden Schluss noch einmal vollständig (1. Prämisse – 2. Prämisse – Schluss).


c) Juristische Begriffe

Wenn juristisches Denken logisch oder gar syllogistisch sein soll, braucht es klare Begriffe.
Ein Begriff muss sowohl einen feststehenden Inhalt (Intension) als auch einen feststehenden Umfang (Extension) haben.

Beispiel:

Inhalt (Intension): „Fohlen“ = „noch nicht einjähriges Pferd“.
Umfang (Extension): alle realen oder gedachten Fohlen.

Begriffsbedeutungen werden in der Jurisprudenz durch merkmalbestimmende Definitionen festgelegt:

Definition: Ein Fohlen (Definiendum) ist ein Pferd und noch nicht einjährig (Definiens).

Die Bedeutung eines Begriffs wird also abstrakt bestimmt,
sein Umfang aber stets am konkreten Sachverhalt festgestellt.


aa) Die Bedeutung von Rechtsbegriffen

Die Ermittlung von Begriffsbedeutungen ist eine Kernkompetenz juristischen Denkens.
Der klassische Syllogismus erfordert inhaltsvolle Begriffe; die juristischen Systeme beruhen auf der Idee, dass Begriffe ein Wesen (essentia) besitzen, das sich durch Merkmale erfassen lässt.

Beispiele:

  • „Rate“ = Teilbetrag einer Leistung.

  • „Besitz“ = tatsächliche Herrschaft einer Person über eine Sache (§ 854 BGB).

  • „Fahrlässigkeit“ = Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 I 2 BGB).

Die Rechtslehre ordnet Begriffe hierarchisch:
Arten werden zu Gattungen zusammengefasst, Gattungen zu Obergattungen – das Generelle wird im Speziellen gesucht und das Spezielle voneinander abgegrenzt.


Exkurs: Begriffsgabelung (Dichotomie)

Der Philosoph Ramus prägte das Prinzip der Begriffsgabelung:
Ein Oberbegriff soll möglichst in zwei Unterbegriffe aufgehen.
Juristische Lehrsysteme streben dies an, auch wenn es selten streng verwirklicht wird.

Beispiele juristischer Dichotomien:

rechtmäßig ↔ rechtswidrig
formell ↔ materiell
zulässig ↔ begründet
Personen ↔ Sachen
entstanden ↔ weggefallen
Innenverhältnis ↔ Außenverhältnis

Auch einfache Verneinungen wie:
vertraglich ↔ nicht vertraglich
streitig ↔ unstreitig


Klassische Begriffsordnung

Je mehr ein Begriff inhaltlich umfasst, desto höher steht er in der Ordnung.
Die Extension eines Oberbegriffs (z. B. „Rechtsgeschäft“) schließt seine Unterbegriffe („Vertrag“, „Kaufvertrag“) ein.
Ein Unterbegriff enthält die Merkmale des Oberbegriffs und zusätzliche Unterschiede (differentia specifica).

Beispiele:

  • Turm: begehbares Bauwerk, dessen Höhe ein Mehrfaches seines Durchmessers beträgt.

    • Gattung: „begehbares Bauwerk“

    • Unterschied: „Höhe > Mehrfaches des Durchmessers“

  • Angebot: Willenserklärung, die auf einen Vertragsschluss gerichtet und empfangsbedürftig ist.

    • Gattung: „Willenserklärung“

    • Unterschied: „auf Vertragsschluss gerichtet, empfangsbedürftig“

  • Vertrag: Rechtsgeschäft, das durch mindestens zwei inhaltlich übereinstimmende, aufeinander bezogene Willenserklärungen (Angebot und Annahme) zustande kommt.

    • Gattung: „Rechtsgeschäft“

    • Unterschied: „Zustandekommen durch Angebot und Annahme“


Essentialismus und moderne Sicht

Das Denken in Wesensmerkmalen (essentialistisch) stammt von Platon und Aristoteles, wurde in der Scholastik verfeinert und prägt bis heute unser Alltagsverständnis von Begriffen.

Die moderne Rechtswissenschaft kritisiert diese Sicht:
Sie will, dass die Bedeutung eines Rechtsbegriffs allein der Gesetzgeber festlegt – nicht Wissenschaft oder Rechtsprechung.
Wo der Essentialismus abgelehnt wird, verliert auch der Syllogismus seine Grundlage.

In der Praxis jedoch, vor allem in der Fallbearbeitung, hält sich das essentialistische Denken bis heute.

Beispiele aus der Rechtsprechung:

„Grundrechte gehören zu den Wesensbestandteilen der verfassungsmäßigen Ordnung.“
„Mit der Eheschließung obliegt dem Ehepartner die Verpflichtung, die eheliche Lebensgemeinschaft einzugehen, die als Wesensinhalt die Beistandspflicht umfasst.“


Merke:
Ob es ein „Wesen“ oder „Wesensmerkmale“ von Begriffen wirklich gibt, ist philosophisch umstritten.
Für die juristische Falllösung dürfen Sie es praktisch voraussetzen – verwenden Sie den Ausdruck aber sparsam.
Sprechen Sie lieber von Inhalt, Gehalt oder begrifflichen Voraussetzungen.

bb) Definitionen

Zurück zum klassischen Denken in Gattungen und Arten sowie der Idee wesensbestimmender Merkmale. Auch wenn diese Tradition abnimmt, bleibt sie nicht nur für die rechtswissenschaftliche Systembildung bedeutsam, sondern auch Grundlage einer der wichtigsten juristischen Techniken: der Bildung von Definitionen.

Merke: Eine Definition besteht aus dem zu erklärenden Teil (Definiendum) und dem erklärenden Teil (Definiens).

Warum sind Definitionen für Juristen so wichtig?
Bei der Anwendung eines Gesetzes oder Vertrages auf einen Sachverhalt steht regelmäßig in Frage, was der verwendete Begriff bedeutet. Die Antwort gibt in vielen Fällen eine Definition.

Beispiel:
Kann C gegen E wegen des überlassenen Cabrios einen Rückgabeanspruch gemäß §§ 604 Abs. 1, 598 BGB geltend machen? Voraussetzung ist, dass C und E einen Leihvertrag geschlossen haben.

Der Begriff „Leihvertrag“ ist allerdings abstrakt. Was bedeutet „Leihvertrag“? Es ist schwer, den Abstand zwischen dem Gesetzesbegriff und dem konkreten Sachverhalt zu überbrücken. Hier hilft eine Definition:

Definition: Leihvertrag = Verpflichtung zur vorübergehenden unentgeltlichen Gebrauchsüberlassung.

Die Grafik (gedanklich) zeigt: Definitionen liefern den Mittelbegriff zwischen dem fraglichen Normbegriff („Leihvertrag“) und dem Sachverhalt. Norm und Sachverhalt können mit Hilfe der Definition verklammert werden—oft ergänzt durch weitere, noch konkretere Begriffserklärungen.
Das Definiens systematisiert und spezifiziert den Begriff Leihvertrag; man kennt dadurch seine differentia specifica.

Hier: das Spezifische eines Leihvertrags im Verhältnis zu anderen Verträgen, nämlich die Merkmale Verpflichtung zur vorübergehenden und unentgeltlichen Gebrauchsüberlassung. Dadurch vermehren sich die zu prüfenden Bezugspunkte zum Sachverhalt. Statt der einen Frage „Leihvertrag?“ stellt man drei Fragen:
– Verpflichtung zur Gebrauchsüberlassung?
– Vorübergehend?
– Unentgeltlich?

So wird das Prüfinstrument feiner und erlaubt besseren Anschluss an andere konkrete Vergleichsfälle.

Definitionen dienen dazu,

  • das Wesen einer Sache zu bestimmen (Einordnung ins Begriffssystem und Formulierung ihrer Eigenheit),

  • einen Begriff zu klären und Verständigung darüber zu ermöglichen,

  • Sprachverwendungen festzuhalten (z. B. gängige Wortbedeutung) oder

  • eine bestimmte Begriffsbedeutung festzulegen (stipulative Definitionen).

In Rechtslehre, Gesetzgebung und Rechtsanwendung werden alle Arten von Definitionen verwendet. Dabei wählt der Jurist nach praktischer Funktion und mischt bisweilen, was methodisch streng genommen nicht zusammenpasst.


(1) Die klassische Definition

Die klassische juristische Definition (aristotelische Tradition) bezeichnet die nächsthöhere Gattung (genus proximum) und bildet den Artunterschied (differentia specifica).

Beispiel (nächsthöhere Gattung):
Ein Schimmel – ist ein weißes (Artunterschied) Pferd (Gattung).

Der Artbegriff „Schimmel“ wird der Gattung „Pferd“ zugeordnet und weist das spezifische Merkmal „weiß“ auf—die Besonderheit gegenüber anderen Pferden (Rappe, Brauner, Fuchs).

Beispiel:
Ein Turm – ist ein begehbares Bauwerk (Gattung), dessen Höhe ein Mehrfaches seines Durchmessers beträgt (Artunterschied).

Rechtsbeispiel:
Ein Anspruch – ist das Recht (Gattung), von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen (Artunterschied).


(2) Andere Definitionsarten

Während die ältere Rechtslehre wesensbezogene Definitionen anstrebte, sind heute auch andere Formen üblich. Häufig nutzt man konditionale Regelschemata: Der definierte Begriff liegt vor, wenn die im Definiens angeführten Merkmale vorliegen. Es muss nicht das „Wesen“ getroffen werden.

Beispiel:
Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt (§ 276 Abs. 2 BGB).
Hier zielt das Definiens weniger auf „Wesen“, sondern rechtspolitisch auf einen bestimmten Haftungsmaßstab ab („verkehrsüblich“).

Weiteres Beispiel:
Der angemessene Unterhalt bestimmt sich nach der Lebensstellung des Bedürftigen.

Mitunter werden klassische und konditionale Definitionen nebeneinander verwendet:

Beispiel § 29 WpÜG
(1) Übernahmeangebote = Angebote (Gattung), die auf den Erwerb der Kontrolle gerichtet sind (Artmerkmal).
(2) Kontrolle ist (= immer wenn) das Halten von mindestens 30 % der Stimmrechte an der Zielgesellschaft.

Typisch sind auch stipulative Definitionen (Begriffsverwendungsanweisungen):

  • „Die ABC-Electronic-Communications GmbHim Folgenden: ABC – …“

  • „Die ABC-Electronic-Communications GmbHKlägerin – …“

  • Arbeitnehmerim Sinne dieses Gesetzes sind Arbeiter und Angestellte einschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten …“

Viele in der Rechtslehre gebräuchliche Definitionen genügen außerjuristischen Anforderungen nicht. Juristisch eigentümlich sind etwa offene Definitionen („… insbesondere …“) oder Definitionen durch Beispiele/Fallgruppen:

Beispiel:
Landwirtschaft im Sinne dieses Gesetzbuchs ist insbesondere der Ackerbau, die Wiesen- und Weidewirtschaft einschließlich Tierhaltung … die gartenbauliche Erzeugung, der Erwerbsobstbau, der Weinbau, die berufsmäßige Imkerei und die berufsmäßige Binnenfischerei.“

Damit vermeidet man endgültige Festlegung, um Entwicklungen aufzufangen.

Häufig ergibt sich die Bestimmtheit erst aus den Regelungsumständen. Manche Definitionen sind mehrdeutig, weil mehrere Merkmale mit „und“ gereiht werden, ohne dass klar ist, ob sie kumulativ (alle) oder disjunktiv (alternative) vorliegen müssen.

  • Kumulativ-Beispiel:
    Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams.“

  • Disjunktive Beispiele:
    bei „Arbeitnehmer“, „Landwirtschaft“—es genügt eines der genannten Attribute (z. B. berufsmäßige Imkerei).

Auch das Wort „oder“ ist mehrdeutig: ausschließend („entweder … oder“) vs. nicht ausschließend („dies oder das oder beides“).

Sonderproblem: Ist eine Aufzählung abschließend (enumerativ) oder typisierend (Übertragung auf Vergleichbares erlaubt)?

Merke: Juristische Definitionen sind oft logisch unbefriedigend, erfüllen aber einen praktisch-argumentativen Zweck.
Stolpern Sie über Unstimmigkeiten, fragen Sie zuerst: Kommt es darauf an?
Nein: lassen Sie es liegen.
Ja: sprechen Sie es kurz an und entscheiden Sie sich fallbezogen.


(3) Legaldefinitionen

Der Gesetzgeber erklärt punktuell durch eigene Definitionen innerhalb eines Gesetzes, wie seine Begriffe zu verstehen sind. Diese Legaldefinitionen (lat. lex, leges) gehen Auslegungen von Lehre und Rechtsprechung vor.

Merke: Bei der Fallbearbeitung zuerst nach einer Legaldefinition suchen.
Tipp: Lesen Sie Gesetzestexte und markieren Sie Definitionen.


(4) Anforderungen an eine Definition

Eine gute Definition sollte (Aristoteles):

  • spezifisch sein (nur Artmerkmale, die anderen Arten der Gattung fehlen),

  • eindeutig, widerspruchsfrei, weder zu eng noch zu weit,

  • nicht zirkulär (Definiendum darf nicht im Definiens auftauchen).

Falsch: „Ein Anspruch ist ein Recht, mit dem man von einem anderen etwas beanspruchen kann.“


cc) Die Verständigung über Rechtsbegriffe

Bisher ging es um Begriffsinhalt und seine Erfassung (Wesen, Merkmale, Platz im System).
Eine andere Frage ist: Wie verständigt man sich über Begriffsbedeutungen?
Theoretisch könnte jeder die Inhalte für sich ermitteln; im Recht kommt es jedoch darauf an, fortlaufend Einverständnis über die Bedeutung von Texten zu erzielen—vor allem über Wortlaut und Sinn der Gesetze. Verstehen muss man außerdem die Texte der Obergerichte, Kollegen, Wissenschaft, Medien und der Rechtsuchenden.

Im Alltag gelingt Verständigung meist leicht:
Kontext ist bekannt, man redet über Vertrautes, korrigiert sich durch Rückmeldungen, und man nimmt an, dass Wörter „Namen von Dingen“ sind—Zeichen repräsentieren Tatsachen; Zuordnung ist wahr oder falsch.
Auch die Rechtsdogmatik beruht weitgehend auf dieser Vorstellung: Es gibt feststehende Bedeutungen, zumindest einen Bedeutungskern, den man im Lexikon findet.

In der Praxis ist es komplizierter.

Beispiel:
§ 123 StGB stellt das widerrechtliche Eindringen in die „Wohnung“ unter Strafe.
Meist ist klar, was „Wohnung“ meint (Mietwohnung, Eigenheim). Der Begriff wirkt klar und verständlich.

(1) Gesetzesinterpretation

In Einzelfällen entstehen Zweifel:

Beispiele:
Zelt, Abstellraum, PKW, Schiff, LKW mit Schlafkabine, Rohbau.

Der Begriff „Wohnung“ ist zu abstrakt, um ohne Weiteres zu entscheiden, ob der Gesetzgeber auch diese Fälle erfassen wollte. Bestehen Zweifel am Inhalt einer Norm, ist sie auszulegen (zu interpretieren).
Dabei ermittelt man den maßgeblichen Inhalt des Gesetzes.

Es gibt vier Positionen—je nachdem, ob man

  1. den subjektiven Willen des historischen Gesetzgebers,

  2. dessen objektivierten Willen,

  3. den gegenwärtig bewerteten Sinn oder

  4. eine objektiv feststellbare Gesetzesbedeutung für maßgeblich hält.

Nach herrschender Auffassung (auch BVerfG) ist der objektiven Theorie (4) zu folgen:

„Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist. Nicht entscheidend ist die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner Mitglieder. Die Entstehungsgeschichte hat nur insoweit Bedeutung, als sie eine nach den genannten Grundsätzen ermittelte Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt.“

In der Literatur wird dieser Ansatz als idealistisch kritisiert: Subjektive Bewertungen des Interpreten würden unter dem Etikett eines „objektivierten Gesetzeswillens“ versteckt—subjektiv blieben sie dennoch.

Merke: Bei der Normtextauslegung lautet die Grundfrage:
Was meint das Gesetz mit diesem Begriff?
Nicht: Was haben die damaligen Schöpfer der Norm gemeint?

Das Gesetz wird also gedacht wie eine heute zu den Rechtsunterworfenen sprechende Person. Natürlich spricht faktisch nicht das Gesetz, sondern die Interpreten—die sich vorstellen, ihm ihre Stimme zu leihen.


(2) Der Auslegungskanon

Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass der Vorgang der Begriffsauslegung methodisch umstritten ist. Wissenschaft und Praxis haben sich jedoch seit Längerem auf verschiedene Auslegungsweisen geeinigt (die wir später im Einzelnen vertiefen). Hier nur die wichtigsten nach Savigny:

  • Grammatische Auslegung – Auslegung aus dem Wortlaut

  • Systematische Auslegung – Auslegung aus dem Zusammenhang

  • Historische Auslegung – Auslegung aus der Entstehungsgeschichte

  • Teleologische Auslegung – Auslegung nach Sinn und Zweck

Ausgangspunkt einer Auslegung ist immer die grammatische Auslegung bzw. die Wortlautgrenze.

Grammatische Auslegung

Sie sucht—trotz ihres Namens—den Bedeutungssinn des einzelnen Begriffs (allgemeinsprachlich oder fachsprachlich). Legaldefinitionen haben Vorrang.

Beispiel:
Nach § 5 S. 2 Tierschutztransportverordnung müssen „Fohlen und Halfter ungewohnte Tiere“ beim Schienentransport nicht angebunden werden. Ist fraglich, ob das junge Przewalski-Pferd Proteus ein „Fohlen“ i.S.d. Vorschrift ist, ist zunächst der Wortsinn zu klären. Das ist keineswegs trivial: Alltags- und Fachsprache können divergieren, Sprache wandelt sich, Bedeutungen hängen von Verwendungssituationen ab.

Historische Auslegung

Sie untersucht den Willen des historischen Gesetzgebers („subjektive Theorie“ im klassischen Kanon). Es geht nicht um eine psychologisch-realistische Rekonstruktion einzelner Abgeordneter, sondern um Vorläufernormen (Dogmengeschichte) und Entstehungsgeschichte (genetische Auslegung). Quellen: Gesetzesmaterialien, amtliche Begründungen.

Beispiel:
Art. 2 Abs. 1 GG: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit …“.
Ein passionierter Reiter R durfte im Wald nicht umherreiten—lag eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG vor?

  • Wortlaut: spräche dafür, nur den „Kern der Persönlichkeit“ zu schützen; Reiten träfe diesen Kern nicht → keine Grundrechtsverletzung.

  • BVerfG: orientierte sich am ursprünglichen Formulierungsvorschlag („Jeder kann tun und lassen, was er will …“). Ohne inhaltliche Änderung wählte man aus sprachästhetischen Gründen die heutige Fassung. Geschützt ist die Allgemeine Handlungsfreiheit—auch das bloße Reiten fällt in den Schutzbereich.

  • Ergebnis im Fall: Der Eingriff war gerechtfertigt, da das nordrhein-westfälische Landschaftsschutzgesetz eine verfassungsgemäße Grundlage bot.

Systematische Auslegung

Sie betrachtet Normen als Teil eines geordneten Systems und berücksichtigt Prinzipien wie Widerspruchsfreiheit, enge Auslegung von Ausnahmen, keine Ausdehnung enumerativer Aufzählungen.

Teleologische Auslegung

Sie fragt nach Sinn und Zweck der Regelung (griech. telos = Ziel) und bringt den objektiven Ansatz am deutlichsten zur Geltung. Da Sinn und Zweck wandelbar sein können, eröffnet sie den größten Spielraum—das erhöht die Begründungslast: besonders sorgfältige, gründliche und nachvollziehbare Argumentation ist erforderlich.

Weitere Auslegungsweisen

  • Verfassungskonforme Auslegung – aus dem Vorrang der Verfassung

  • Unions- bzw. richtlinienkonforme Auslegung – aus Art. 267 AEUV (Vorlagepflicht) und Art. 4 Abs. 3 EUV (Loyalität)

  • Rechtsvergleichende Auslegung (nach Peter Häberle)

  • Authentische Auslegung – durch den Urheber des Textes selbst

Merke: Rangordnung und Reihenfolge sind nicht starr. Die Rechtsprechung nutzt oft nur einzelne Ansätze oder „durchläuft“ den Kanon, bis die Zweifel beseitigt sind.
Studierende sollten bei textlichen Zweifeln (aber nur dann!) die Formen möglichst vollständig und in der genannten Reihenfolge abhandeln—mit fallgerechten Schwerpunkten.

Das heißt: Immer mit der grammatischen Interpretation beginnen, aber sich nicht zwingend mit deren Ergebnis zufriedengeben. Maßgeblich ist der objektivierte Wille des Gesetzes. Sprachgepflogenheiten sind ein wichtiges Indiz, jedoch keine absolute Grenze.

„Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung ist der in dieser zum Ausdruck kommende Wille. […] Dem Ziel, den im Gesetz objektivierten Willen des Gesetzgebers zu erfassen, dienen die nebeneinander zulässigen, sich ergänzenden Methoden: Wortlaut, Zusammenhang, Zweck sowie Gesetzesmaterialien/Entstehungsgeschichte. Dabei ist in der Regel mit der Wortlautauslegung zu beginnen …“

Besonderheit Strafrecht: Die Wortlautgrenze darf wegen des Analogieverbots (Art. 103 Abs. 2 GG) nicht überschritten werden.

Im Rahmen der Rechtsanwendung sind diese Auslegungsweisen geeignet, begriffliche Zweifel auszuräumen und zu eindeutigen, tragfähigen Ergebnissen zu führen—als Basis gleichmäßiger Entscheidungen. Außerhalb akuter Fallbearbeitung ist die methodische Analyse freilich wünschenswert.


d) Aufgaben der Begriffs- und Systembildung im Recht

Juristische Begriffe, Definitionen und Systeme ermöglichen es,

  • den Rechtsstoff als Fachwissen zu ordnen,

  • Begriffe in einen anerkannten Ordnungszusammenhang zu stellen,

  • für die Rechtsanwendung ein Suchsystem bereitzuhalten,

  • für die Gesetzesauslegung Mittelbegriffe (insb. Definitionen / begriffliche Voraussetzungen) zu liefern.

Merke, freilich: Kein Begriffssystem ist vollkommen.

Die rechtsbegriffliche Systembildung zählt zu den Stärken der Jurisprudenz—doch nie vollständig oder streng logisch. Sie erfasst zuverlässig die Kerngebiete (weite Teile von BGB, StGB, VwR), weist aber auch dort gelegentlich Inkonsistenzen auf.

Ursachen:

  • Gesetzgeber trifft bei z. B. EU-Umsetzungen Grundentscheidungen, verarbeitet politische Prozesse—logische und bewährte dogmatische Gesichtspunkte können nicht immer voll berücksichtigt werden.

  • Rechtsprechung übt Druck aus: Die Dogmatik muss fortlaufend Gerichtsentscheidungen integrieren—und gibt umgekehrt Strukturierung durch Kommentare in die Praxis zurück.

Merke: Juristische Begriffssysteme ordnen Wissen und unterstützen die Anwendung. Sie sind nicht perfekt und im Wandel, erlauben aber zuverlässige Verständigung und Einigkeit bei der Falllösung.


2. Justizsyllogismus: pragmatische Regelanwendung

Das Denken in Systemen und Begriffslogik hilft beim Abstrakten. Für konkrete Fragen („Hat V einen Anspruch auf 100 €?“ / „Hat sich A wegen Sachbeschädigung strafbar gemacht?“) nutzt man primär andere Werkzeuge. Bewährt hat sich der Justizsyllogismus—keine rein logische Figur, sondern eine pragmatische, fall- und handlungsorientierte Argumentkette.

a) Rechtsanwendung als pragmatische Entscheidung

Der strenge logische Syllogismus ist rational beeindruckend, aber ungeeignet für die konkrete Rechtsanwendung: Der Syllogismus kennt keinen Begriff für den Einzelfall. Gleichwohl können wir eine Fallfrage „quasi-syllogistisch“ aufziehen—tatsächlich schließen wir aber pragmatisch, indem wir Lücken intuitiv überbrücken.

Skizze:

  • Obersatz: (Wenn) Kaufvertrag → (dann) Verkäufer hat Anspruch auf vereinbarten Kaufpreis.

  • Untersatz: Die Vereinbarung zwischen V und K ist ein Kaufvertrag.

  • Schluss: V hat gegen K Anspruch auf 100 €.

Sinnvoll—aber streng logisch nicht sauber:

aa) Der konkrete Schluss („V hat … 100 €“) korrespondiert nicht identisch mit dem abstrakten Prädikat im Obersatz („Verkäufer hat Anspruch …“). Logisch bräuchte es eine weitere Prämisse (V ist Verkäufer; K ist Käufer, etc.). Drei Prämissen → kein Syllogismus. Zudem wird „=“ in jedem Satz anders verwendet (Zuordnung vs. Folgerung).

bb) Für einen zwingenden Schluss müssten die Prämissen wahr sein. „Aus einem Kaufvertrag folgt, dass der Verkäufer den Kaufpreis verlangen kann“ ist nur grundsätzlich richtig. Ausnahmen (z. B. Rücktritt) sind möglich. Die Prämisse ist somit kontextabhängig („wahrscheinlich“). Aus Wahrscheinlichkeitsprämissen folgen nur wahrscheinliche Schlüsse. Korrekt hieße es: „… sofern keine Ausnahmen vorliegen.“ Das genügt dem Entscheidungsbedarf jedoch nicht. Juristische Prüfung verlangt unbedingte Zwischenergebnisse; Ausnahmen werden nachgelagert geprüft. Deshalb braucht es ein geordnetes, aber zielorientiertes Schlussverfahren—das leistet der Justizsyllogismus.

Merke:Grundsätzlich“ = Regel gilt, Ausnahmen sind möglich.

b) Anwendung von Rechtsnormen

Der Justizsyllogismus lässt die abstrakte Begriffsarbeit zurücktreten und stellt das Gesetz in den Vordergrund—das zentrale Werkzeug im Civil Law.

Kleiner Exkurs: Gesetz

Wenn hier von „Gesetz“ die Rede ist, ist das methodisch gemeint und umfasst Rechtsnormen aller Art: nicht nur Parlamentsgesetze, sondern auch Satzungen, Verordnungen, EU-Verordnungen, Tarifverträge u. Ä.

Rechtsnormen beziehen aus den Rechtsquellen ihren normativen Inhalt (Rechtssatz). Die Rechtsquelle begründet die Rechtsqualität der Norm.

Wenn man Sie fragt: „Nennen Sie das Gesetz“ oder „Wo steht die einschlägige Vorschrift?“, erwartet man die Fundstelle des passenden Rechtssatzes (Paragraph/Artikel) innerhalb eines Gesetzbuchs/-werks (z. B. BGB)—möglichst genau:
„§ 326 Abs. 1 S. 1, 1. Halbsatz BGB“.

Exkurs Ende

 


aa) Tatbestand und Rechtsfolge

Rechtsnormen folgen meist einer Grundstruktur: „Immer wenn …, dann gilt …“. Anders gesagt, sie bestehen aus einer

  • normativen Beziehung („gilt/soll gelten“),

  • abstrakt-generellen Reichweite („immer für alle Fälle“),

  • konditionalen Verknüpfung („Wenn …, dann …“).

Beispiele

  • § 303 Abs. 1 StGB:
    Wenn jemand rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, dann soll er mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden.

  • § 604 Abs. 1 BGB:
    Wenn die für die Leihe bestimmte Zeit abgelaufen ist, dann ist der Entleiher verpflichtet, die geliehene Sache zurückzugeben.

Das „Wenn“ nennt man den Tatbestand einer Norm, das „Dann“ die Rechtsfolge.
Der Tatbestand beschreibt die Voraussetzungen, bei deren Vorliegen die Rechtsfolge eintritt. Beide sind konditional verknüpft.

Merke: Nicht alle Gesetze trennen Tatbestand und Rechtsfolge klar. Analysieren Sie die Aufteilung nötigenfalls nach Sinn und Zweck der Norm—und üben Sie die Zuordnung regelmäßig.

Weitere Beispiele

  • § 212 StGB
    Tatbestand: Wenn ein Mensch getötet wird und der Täter kein Mörder ist, …
    Rechtsfolge: … wird er mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

  • § 32 Abs. 1 StGB
    Tatbestand: Wenn jemand eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, …
    Rechtsfolge: … dann ist diese nicht rechtswidrig.

  • § 433 Abs. 1 BGB
    Tatbestand: Wenn ein Kaufvertrag vorliegt, …
    Rechtsfolge: … dann muss der Verkäufer dem Käufer die Sache übergeben und das Eigentum frei von Sach- und Rechtsmängeln verschaffen.

  • § 985 BGB
    Tatbestand: Wenn jemand Eigentümer ist, …
    Rechtsfolge: … dann kann er vom Besitzer die Herausgabe verlangen.

  • § 362 Abs. 1 BGB
    Tatbestand: Wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird, …
    Rechtsfolge: … dann erlischt das Schuldverhältnis.

  • Art. 16a Abs. 1 GG
    Tatbestand: Wenn jemand politisch verfolgt wird, …
    Rechtsfolge: … dann genießt er Asyl.


bb) Das Gesetz als Prämisse

Will man aus einem Obersatz nach dem Schema „Tatbestand → Rechtsfolge“ auf den konkreten Fall schließen, empfiehlt sich folgendes Schema (statt eines formalen Syllogismus):

  1. Wenn A, dann B.

  2. a ist ein Fall von A.

  3. Also gilt für a: B.

Beispiele

  • Zivilrecht
    P1: Wenn ein Kaufvertrag vorliegt, hat der Verkäufer gegen den Käufer einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises.
    P2: Gemäß Sachverhalt haben V und K einen Kaufvertrag geschlossen.
    Ergebnis: V hat gegen K einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises.

  • Strafrecht
    P1: Wenn eine Sachbeschädigung vorliegt, folgt daraus die Strafbarkeit (§ 303 Abs. 1 StGB).
    P2: A hat eine Sachbeschädigung gemäß § 303 Abs. 1 StGB begangen.
    Ergebnis: A hat sich wegen Sachbeschädigung gemäß § 303 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

Abstraktes Muster

  • Prämisse: Wenn Tatbestand erfüllt → Rechtsfolge.

  • Prämisse: Sachverhalt erfüllt Tatbestand.

  • Ergebnis: SachverhaltRechtsfolge.

Der etablierte Name hierfür ist „Justizsyllogismus“. Viele Autoren lehnen den Begriff ab, weil es kein echter Syllogismus ist; teils wird betont, es handle sich vielmehr um einen rhetorischen Schluss (Wahrscheinlichkeits-Enthymem).

Alltägliches Wahrscheinlichkeits-Enthymem
„Ich gehe zu Fuß, denn es ist trocken.“
P1: Wenn es trocken ist → gehe ich zu Fuß.
P2: Es ist trocken.
Also: Ich gehe zu Fuß.

Grundschema (probabilistisch)
P1: Wenn A, dann in der Regel (Ausnahmen denkbar) B.
P2: a ist ein Fall von A.
Also: gilt für a B.

Die Unschärfen sind pragmatisch unschädlich: Absolute Gewissheit ist nicht erforderlich; für den vorliegenden Fall genügt eine hinreichend sichere Entscheidungsgrundlage. Ausnahmen können anschließend diskutiert werden. Das Schema bleibt stringent.

Vorschlag: Den eingeführten Namen „Justizsyllogismus“ beibehalten.


c) Vorteile des Modells „Justizsyllogismus“

  • Die Begriffe werden nicht nach ihrem „Wesen“ geordnet.

  • P1 kann jeder Rechtssatz sein (Gesetz, Verordnung, Satzung, Vorschrift, Grundsatz, Lehrsatz, Leitsatz), der sich konditional fassen lässt („Wenn Tatbestand → Rechtsfolge“).

  • P2 stellt fallbezogen das Vorliegen der tatbestandlichen Bedingung fest.

  • Der Schlusssatz überträgt die Rechtsfolge auf den Einzelfall.

Der Justizsyllogismus ist moderner und flexibler als der klassische Syllogismus. Er passt auch dann, wenn man keine wesenshaltige Begriffsordnung voraussetzt. Nach heutigem Verständnis bestimmen Gesetzgeber (demokratisch legitimiert) und Fachautoritäten die Zuordnung der Rechtsbegriffe.

Merke: Juristische Schlüsse zieht man fallbezogen aus der Normprämisse „Tatbestand → Rechtsfolge“. Theorie mag strittig sein; praktisch ist das Grundmodell nicht zu bezweifeln.


3. Erweiterung des Schemas: der vollständige Justizsyllogismus

Das Basisschema:

  1. P1: Wenn Tatbestand erfüllt → Rechtsfolge.

  2. P2: Sachverhalt erfüllt Tatbestand.

  3. Ergebnis: Sachverhalt → Rechtsfolge.

Stehen P1 und P2 fest, ist der Schluss trivial. Juristische Arbeit steckt in der Ermittlung von P1 und P2:

  • Welche Norm ist einschlägig (P1)?

  • Erfüllt der Sachverhalt deren Tatbestand (P2)?

Gerade P2 („Sachverhalt erfüllt Tatbestand“) ist Kernarbeit. Daher ergänzen Methodenlehren das Hauptschema um ein Nebenschema, in dem P2 begründet wird. P2 des Hauptschlusses wird dabei zum Schlusssatz des Nebenschlusses.

Beispiel

Hauptschluss
P1: Sachbeschädigung → Strafbarkeit.

Nebenschluss
P1′: Sachbeschädigung (objektiver TB) = fremde Sache beschädigen oder zerstören.
P2′: A hat B’s Orchidee zertreten.
P2: A hat eine Sachbeschädigung begangen (objektiver TB).
Also (Hauptschluss): A hat sich strafbar gemacht.

Abstrakt

Hauptschluss
P1: TatbestandRechtsfolge (§).

Nebenschluss
P1′: Tatbestand – Merkmale.
P2′: Sachverhalt – Merkmale.
P2: Sachverhalt erfüllt Tatbestand.
Also: Sachverhalt → Rechtsfolge.

Erläuterung
P1′ definiert den Tatbestand (z. B. „Sachbeschädigung = …“).
P2′ ordnet den Sachverhalt den Merkmalen zu.
Das Zwischenergebnis des Nebenschlusses bestätigt P2 des Hauptschlusses.
Endergebnis: Rechtsfolge gilt.

Merke: P1′ und P2′ können ihrerseits weiter begründet werden (weitere Definitionen, Auslegung etc.). Dafür braucht es Informationskompetenz.

Merke: Der Justizsyllogismus fokussiert auf das Wesentliche. In P1, P1′ usw. werden nicht alle denkbaren Merkmale abgearbeitet—sondern nur die im konkreten Fall erheblichen (im Strafrecht: sämtliche TB-Merkmale; im Prozessrecht: nicht jede Klagevoraussetzung, wenn sie unstreitig ist).


4. Nebenschema: Schwerpunkt der Begründung

Das entscheidende juristische Urteil fällt nicht mit dem Schlusssatz des Hauptschlusses, sondern mit P2 (Untersatz):

  • „Gemäß Sachverhalt besteht ein Kaufvertrag.“

  • „A hat eine Sachbeschädigung gemäß § 303 StGB begangen.“

Diese Feststellungen werden nicht aus der Norm (P1) logisch abgeleitet, sondern im Nebenschema erarbeitet:

  • Definition des Norminhalts (P1′) → Merkmale,

  • Subsumtion des Sachverhalts unter diese Merkmale (P2′),

  • Schluss auf P2 („TB erfüllt“).

Ggf. sind weitere Definitionsebenen nötig (Merkmale von Merkmalen).

Dass ein Kaufvertrag vorliegt, folgt nicht aus § 433 Abs. 2 BGB, sondern aus der Definition: Angebot + Annahme, und der Subsumtion, ob diese Voraussetzungen tatsächlich vorliegen. Das entscheidet über P2.


5. Woher kommen die Tatbestandsmerkmale?

Zentral ist: Welche Merkmale hat der gesetzliche Tatbestand / welche Voraussetzungen die Rechtsfolge? Wie bildet man P1′ (Definiens des Tatbestands)? Und ggf. die Unter-Definitionen?

Wegen der verfassungsrechtlichen Bindung an das Gesetz folgt man—wann immer möglich—dem Gesetzestext. Die definierenden Merkmale werden aus den gesetzlichen Begriffen gewonnen.

Beispiel: § 303 Abs. 1 StGB – Sachbeschädigung
„Wer rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, wird … bestraft.“

Merkmalsbildung (Lehre):

  • Objektiver Tatbestand

    • Tatobjekt: Sache, fremd

    • Tathandlung: beschädigen / zerstören

Man entnimmt die Merkmale dem Gesetz, strukturiert sie aber dogmatisch. Dieses Clustern geht über den Wortlaut hinaus, ist naheliegend, aber nicht zwingend. Mitunter fügen Lehre/Rechtsprechung ungeschriebene Merkmale hinzu; Hauptgeschäft bleibt die Definition der gesetzlichen Merkmale (Inhalt, Bedeutung, Sinn)—methodisch per Auslegung, praktisch im Lichte der Anwendungsfälle und Sachgerechtigkeit.

Merke: Tatbestandsmerkmale/Voraussetzungen sind—trotz Gesetzesnähe—eine Leistung der Rechtsdogmatik. Wer Normen anwendet, muss Definitionen und Merkmale kennen bzw. sich informieren.


6. Subsumtion

Ursprünglich bedeutet Subsumtion die Zuordnung des Falls (Tatsachen) zum Recht (Sollen). Mit dem Nebenschema wird sie feiner:

Ursprungsbeispiel
Recht: § 604 Abs. 1 BGB (Rückgabepflicht nach Leihzeit).
Fall: E behält Cs Cabrio länger als vereinbart.
Anwendung: E muss C das Cabrio zurückgeben.

Differenziert mit Nebenschema

Hauptschluss
P1: Leihvertrag → Entleiher muss nach Ablauf der Zeit die Sache zurückgeben.

Nebenschluss
P1′: Leihvertrag = unentgeltliche Gebrauchsüberlassung einer Sache.
P2′: Vereinbarung C/E fürs Wochenende = unentgeltliche Gebrauchsüberlassung einer Sache.
P2: Vereinbarung C/E = Leihvertrag.
Zwischenergebnis: Leihvertrag (+).
Endergebnis: Rückgabepflicht (+).

Damit bezieht sich die Subsumtion nicht mehr auf den Tatbestand als Ganzen, sondern auf jedes einzelne Merkmal.
Gelingt die Subsumtion unter die Merkmale, löst das die Rechtsfolge aus—fallbezogen.


III. Methodologische Überlegungen: Wie arbeiten Juristen?

Der Justizsyllogismus ist das bewährte Schema der Normanwendung: geordnetes Vorgehen, Schritt für Schritt. Doch nicht jeder Schritt ist zwingend logisch. Viele Schlüsse im Nebenschema erinnern an den klassischen, wesenshaltigen Syllogismus; daneben gibt es freie argumentative Passagen (Pro/Contra einer Begriffszuordnung).

Das Hauptschema („Wenn–dann“) verlangt modernere Logik. Formale Modelle existieren, haben sich aber in der Praxis nicht durchgesetzt. Der Schwerpunkt liegt im Nebenschema, wo der Justizsyllogismus seine Stärke entfaltet.

„Es ist heute juristisches Allgemeingut, dass die Gesetzesauslegung nicht nur logische Umsetzung eines Textes in einen aktuellen Befehl ist.“ (Kirchhof)

Folge: Der Hauptschluss lässt sich oft formal darstellen, die Nebenschlüsse sind dafür zu komplex. Juristische Arbeit ist mehr als Logik: reale Fälle sind komplex, berühren Interessen und Kontexte.

Im Studium arbeitet man dennoch sinnvoll mit typisierten Ausschnitten. Der Justizsyllogismus ist ein Idealmodell—die erste Struktur, die man erlernen sollte. Vollständige Falllösung verlangt zusätzlich:

  • Erfassung des Sachverhalts und richtige Problemeinordnung,

  • Suche/Auswahl der ersten Prämisse (Norm, Definition, Interpretation),

  • Beherrschung der Begründungs- und Gutachtentechnik,

  • Formulierungs- und Argumentationskunst.

 


1. Ausgangspunkt: Rechtsproblem

Nur wer den Sachverhalt gründlich liest und über rechtliche Vorkenntnisse verfügt, erkennt das zugrundeliegende Rechtsproblem. Zunächst erfolgt eine grobe Einordnung. Danach beginnt die Suche nach der Lösung: zuerst nach dem passenden Gesetz und einschlägiger Literatur, anschließend in der Rechtsprechung nach vergleichbaren Fällen. Dabei kehrt man immer wieder zum Sachverhalt zurück, um zu prüfen, ob die gefundenen Rechtssätze wirklich passen.

So entsteht eine Kreisbewegung zwischen Sachverhalt und Norm: Die Normanalyse vertieft das Problemverständnis – und umgekehrt schärft das rechtliche Verständnis den Blick auf den Sachverhalt.

Die passende Norm (oder andere Normquelle) bildet die erste Prämisse:

P1: Wenn Sachbeschädigung (§ 303 StGB) → Strafbarkeit.

Diese Prämisse muss gefunden und richtig ausgewählt werden – oft schwieriger als es klingt. Das wäre nur einfach, wenn das Recht ein durchgängig hierarchisches System mit strenger Logik wäre. Tatsächlich existieren solche Ordnungen nur in Ansätzen; vieles ist eher familienähnlich strukturiert. Mit der Zeit entwickeln Juristen ein Gespür dafür, was in Betracht kommt und was abwegig ist.

Ein weiteres Problem liegt in der Rechtssprache: Viele Begriffe bedeuten etwas anderes als in der Alltagssprache. Ob eine Norm wirklich passt, erkennt man erst, wenn man jeden ihrer Begriffe im rechtlichen Sinn verstanden und ggf. ausgelegt hat.

Merke:
Die ersten Prämissen (Rechtsnormen, Definitionen, Auslegungen usw.) müssen Sie selbst finden und auswählen. Dafür brauchen Sie methodische Such- und Entscheidungsstrategien in allen Rechtsgebieten (z. B. Prüfschemata).


2. Arbeitsauftrag: Das Herstellen der Prämissen

Der Streit entfacht sich meist um die zweite Prämisse:

P2: A hat durch seine Tat tatsächlich eine Sachbeschädigung begangen.

Ob das zutrifft, muss oft bewiesen werden. Auch im Gutachten bzw. im rechtlichen Teil einer Urteilsbegründung zielt die Argumentation in der Regel auf die Begründung des Untersatzes (P2) im Nebenschema:

Frage: Hat der Sachverhalt – also die Tat des A – den Tatbestand der Norm erfüllt?

Idealtypisch erfolgt die Prüfung über die begriffsorientierte Auslegung des Tatbestands. Dafür müssen die Prämissen des Nebenschemas gewonnen werden.

Damit steht fest: In der Rechtsanwendung geht es weniger um die logische Verarbeitung fertiger Prämissen, sondern um deren Suche, Formulierung und Begründung. „Recht“ und „Fall“ werden nicht fertig geliefert – sie müssen gedeutet und zueinander in Beziehung gesetzt werden.

Interessant ist also nicht, was passiert, wenn die Prämissen schon da sind, sondern wie man dorthin gelangt: Wie läuft der Findungsprozess? Wie werden Zusammenhänge erkannt, Bedeutungen ausgelegt und Begriffe gebildet?

Die sprachorientierte Methodenlehre sieht deshalb in der Rechtsanwendung vor allem einen Prozess des Suchens, Vernetzens und Sprachgestaltens. Juristische Arbeit hängt eng mit den beteiligten Personen, ihrer Kommunikation und ihrem sozialen Kontext zusammen.

Diese Richtung geht davon aus, dass sowohl der Fall als auch die Vorschriften sprachliche Produkte sind. Recht und Fälle sind Texte, die interpretiert, gedeutet und bezogen werden müssen.

Fazit: Juristen müssen

  • Texte sorgfältig lesen,

  • gründlich recherchieren,

  • sinnvoll gliedern und einordnen,

  • und Recht sowie Fälle rechtsfachlich (nicht bloß „natürlich“) verstehen.


3. Autorität und Gerechtigkeit

Die rechtsfachliche Sicht wird weitgehend durch Autoritäten geprägt – anerkannte Meinungen und Institutionen (Gerichte). Der Spielraum für persönliche Vorstellungen ist gering; das gewährleistet Gleichmäßigkeit und Berechenbarkeit. Zugleich bleibt die Herstellung der Prämissen wie auch das Verständnis von Recht und Fällen situationsoffen (politische Strömungen, wirtschaftliche Bedingungen). So entsteht ein begrenzter Raum für Erneuerung, Kritik und Sachgerechtigkeit.

Fazit:
Rechtsanwendung beruht auf einer komplexen Technik, die sich nicht in ein paar Regeln erschöpft. Es gibt Grundmuster wie den Justizsyllogismus, aber kein vollständiges Rezept. Der bewährte Weg: jahrelange Einübung als Handlungskompetenz – mit Anleitungen, Gliederungen, Prüfschemata, Wiederholungen und Zusammenarbeit.


B. Der Sachverhalt

I. Vorbemerkung

Ein Sachverhalt beschreibt nicht die Wirklichkeit, sondern textet einen angenommenen Rechtsstreit. Aufgabensteller (Professor:innen, wissenschaftliche Mitarbeitende) erfinden ihn bewusst – oft angelehnt an Urteile oder typische Lehrkonstellationen.

Der Sachverhalt ist vorgegeben und unstreitig. Die Lösung steht regelmäßig fest, auch wenn bei Details Begründungsspielräume bestehen.


1. Sachverhaltskonstruktion in der Praxis

In der Praxis müssen Jurist:innen ihre Sachverhalte selbst ermitteln. Man arbeitet auf zwei Ebenen:

  1. Konstruktion dessen, was als Sachverhalt gelten soll,

  2. rechtliche Bewertung dieses Sachverhalts.

Häufig liegt der Schwerpunkt auf der Ermittlung (tatsächliches Geschehen), weniger auf der rechtlichen Wertung.

Beispiel 1
A verklagt B auf Übergabe eines Pkw Zug um Zug gegen 4.000 €. A behauptet, man habe sich mündlich auf 4.000 € geeinigt; B behauptet 5.000 €.
Anmerkung: Die Herausforderung liegt nicht primär in der Frage „Kaufvertrag?“, sondern welcher Preis vereinbart wurde.

Ein ermittelter Sachverhalt will nicht Wirklichkeit abbilden, sondern zum Recht passen – wie das Schloss zum Schlüssel.

Beispiel
Die Anwältin interessiert nur das Rechtsrelevante: Ansprüche, tatsächliche Zusammenhänge mit dem Rechtsgrund, Beweise und Beweislast. Alles andere ist unerheblich.

Im Zivilprozess legt der Beibringungsgrundsatz nahe: Parteien bringen den Tatsachenstoff; das Gericht kombiniert daraus den Sachverhalt. Unstreitiges gilt als wahr, über streitiges wird Beweis erhoben. Ob Unbeweisbares dennoch geschehen ist oder Beweisbares wirklich wahr – spielt keine Rolle. Es zählt die verständigte Tatsachengrundlage:

Da mihi facta, dabo tibi ius. – Gib mir die Tatsachen, ich gebe dir das Recht.


2. Der Sachverhalt im Studium

Im Studium ist der Sachverhalt noch künstlicher: eine ausgedachte Geschichte (Standardprobleme, juristischer Humor). Mitunter beruhen Fälle auf echten Entscheidungen, didaktisch abgewandelt.

Der akademische Sachverhalt enthält alle relevanten Tatsachenäußere wie innere –, sachlich, eindeutig, lückenlos, vollständig.

Beispiel 2
A und B haben einen Kaufvertrag über einen Pkw geschlossen und sich auf 4.000 € geeinigt.
Anmerkung: Anders als in Beispiel 1 ist hier alles fest – keine Beweislücken.

Zusammenfassung:

  • Praxis: Sachverhalt wird ermittelt.

  • Studium: Sachverhalt wird vorgegeben.
    Beide dienen demselben Ziel: eine klare Tatsachengrundlage für Subsumtion, Auslegung und Argumentation.


3. Professionalität

Betrachten Sie den akademischen Sachverhalt nicht als reale Geschichte, sondern als Textaufgabe, die nach juristischen Regeln zu bearbeiten ist. Er enthält gezielt aufbereitete Informationen, die zu einem vorgedachten Lösungsweg führen.

Reale Geschichten haben Hintergründe, Emotionen, Atmosphäre – wecken Sympathien/Antipathien und Gerechtigkeitsgefühle. Diese emotionalen Elemente gehören nicht in den juristischen Sachverhalt.

Es ist nicht angebracht, den Sachverhalt mit „Wie fühlt sich das an?“ oder „Was wäre fair?“ zu lesen. Dieser Zugang führt oft in die Irre. Ziel ist juristische Professionalität: sachlich, strukturiert, methodisch.

Das heißt nicht, dass Judiz und Gerechtigkeit im Beruf keine Rolle spielen. Sie haben ihren Platznicht jedoch beim methodischen Umgang mit dem vorgegebenen Sachverhalt. In der Ausbildung zählt die juristische Denk- und Prüfstruktur: Sie steuert nicht direkt aufs Ergebnis, sondern arbeitet methodisch.

Merke:
Prüfer liefern keine Realität, sondern eine Textaufgabe – zu der es bereits eine Lösungsskizze gibt.


II. Arbeitsschritte im Umgang mit dem Sachverhalt

Die Arbeit am Sachverhalt ist das Fundament jeder guten Klausur. Nur wer Sachverhalt und Fallfragen vollständig erfasst, kann eine Lösung schreiben, die der Lösungsskizze entspricht.

Erfahrung: Viele Klausurfehler beruhen nicht auf fehlendem Wissen, sondern auf unzureichender Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt.

Merke:
Je besser Sie den Sachverhalt verstehen, desto besser wird die Lösung.
Wer ihn nicht erfasst, schreibt am Problem vorbei.

Typische vier Schritte (teils parallel):

  1. Erfassen – Überblick gewinnen.

  2. Suchen & Sammeln – Wesentliches herausarbeiten.

  3. Ordnen – Struktur & Zusammenhänge erkennen.

  4. Verarbeiten – Struktur als Grundlage für rechtliche Schlüsse nutzen.


1) Erfassen: Studieren Sie den Sachverhalt!

Verschaffen Sie sich einen Überblick über Personen, Beziehungen, Vorgänge, Abläufe.
Lesen Sie den Sachverhalt vor der Fallfrage, um unvoreingenommen zu bleiben. Wer zuerst die Fallfrage liest, fokussiert leicht zu früh und übersieht Hinweise.

Gerade komplexe Sachverhalte wirken beim ersten Lesen unklar – das ist normal. Mit jedem Durchgang wird es klarer.

Tipp:
Beim ersten Lesen nur sparsam markieren. Erst nach mehrfacher Lektüre erkennt man die wirklich relevanten Tatsachen.


2) Im Sachverhalt nach Lösungshinweisen suchen

a) Ideenzettel

Erstellen Sie beim ersten Lesen einen Ideenzettel: spontane Gedanken, rechtliche Vermutungen. Diese ersten Einfälle zeigen oft die Richtung.

b) Fallfrage & Bearbeitervermerk

Nachdem der Sachverhalt sitzt, lesen Sie Fallfrage und Bearbeitervermerk. Viele Fehler entstehen durch Missverständnisse. Auch die Fallfrage muss ausgelegt werden – im Kontext des Sachverhalts.

Vermeiden Sie voreilige Festlegungen; suchen Sie nicht sofort nach Normen. Erst das Zusammenspiel von Sachverhalt und Fallfrage ergibt den Prüfrahmen.

c) Nochmaliges Lesen mit Analyse

Das zweite Lesen dient der gezielten Analyse. Jetzt wissen Sie, worum es geht, und suchen Details und Probleme.

In der Klausur ist Zeit knapp, aber das gründliche Lesen ist Teil der Lösung, kein Luxus. Bewerten können Sie nur, was Sie verstanden haben.

Merke:
Konzentriertes, wiederholtes Lesen ist Lösung, nicht Zeitverlust. Nur wer vollständig erfasst, kann richtig subsumieren.


3) Sachverhalte sind wie Rätsel

Betrachten Sie den Sachverhalt wie ein Rätsel. Der Aufgabensteller kennt die Lösung und hat Hinweise eingebaut – offene und versteckte. Diese erkennt nur, wer genau liest und zwischen den Zeilen denkt.

Fast kein Wort ist zufällig. Jede Information hat einen Zweck.

Beispiele für versteckte Hinweise

  • Beispiel 3:
    Lehrerin bestellt „Der Drachenläufer“: statt 20 versehentlich 200, reagiert erst zwei Wochen später.
    → Hinweis: Verspätete Reaktion, Merkmal „unverzüglich“.

  • Beispiel 4:
    Geschenk (iPad) der Großmutter wird von E über eBay verkauft.
    4a: iPad im Keller der Großmutter versteckt.
    4b: iPad in eigener Wohnung aufbewahrt.
    → Unterschiedlicher strafrechtlicher Befund.

  • Beispiel 5:
    Pelzmantelverkauf für 500 €, A will Rückabwicklung.
    5a: B stimmt zu, nimmt Mantel später heimlich.
    5b: B sagt „verkauft ist verkauft“ und nimmt ihn offen.
    Unrechtsbewusstsein als Tatbestandsmerkmal.

  • Beispiel 6:
    A tritt wirksam zurück, behält den Wagen und verursacht einen Schaden beim Rückwärtsfahren.
    → Fokus: Sorgfaltspflichten.

  • Beispiel 7:
    Geselle B lässt Farbeimer stehen; C stürzt. Meister A kennt Bs Unachtsamkeit.
    Zurechnung, Überwachungspflicht.

  • Beispiel 8:
    A zahlt an B, trifft nur dessen 10-jährige Tochter K und gibt ihr das Geld; K verprasst die Hälfte.
    Geschäftsunfähigkeit (§ 104 Nr. 1 BGB), Erfüllung?

Fazit:
Der Sachverhalt ist kein Erzähltext, sondern ein Werkzeug. Wer ihn gründlich analysiert, findet darin bereits die Schlüssel zur Lösung. Professionalität beginnt mit dem richtigen Lesen.


Übungsfall 1

Aufgabe: Sachverhalt aufmerksam lesen und Hinweise markieren, die auf rechtlich relevante Fragen deuten.

Sachverhalt
A besucht den Zoo im Stadtzentrum. Das Affengehege ist zugänglich. Am Gehege:
Betreten auf eigene Gefahr“,
Affen sind neugierig, können aber empfindlich zubeißen“,
Bitte Ruhe! Keine hastigen Bewegungen!“,
Hände weg! Auch kleine Affen können empfindlich zubeißen!
Dazu ein Symbolbild (blutender Finger, brüllender Affe).
A betritt das Gehege; ein Affe springt ihr auf den Kopf. A hebt reflexartig die Hand; der Affe beißt in den Finger.
Stationäre Behandlung, Kosten 4.000 €, von der Versicherung übernommen.

Markierungshinweise (Beispiele):

  • Zoo als Veranstalter/Verkehrssicherungspflicht.

  • Warnschilder: rechtliche Wirkung? Haftungsausschluss?

  • Eigenverantwortung/Kenntnis der Gefahr.

  • ReflexMitverschulden (§ 254 BGB)?

  • Schaden; Versicherung hat gezahlt → Forderungsübergang (§ 86 VVG).

Je mehr Sachverhaltsangaben Sie sinnvoll in die Lösung einbauen, desto kompatibler ist Ihre Lösung mit der Lösungsskizze. Schmückungen im Text sind ohne rechtliche Bedeutung – filtern Sie Relevantes von Belanglosem.

Beispiel 9:
Rentner X überfährt eine rote Ampel.
Anmerkung: „Rentner“ ist hier irrelevant, solange nichts Weiteres hinzutritt.

Beispiel 10:
A ist Ausländer, E Deutsche; beide kaufen ein Handy.
Anmerkung: Nationalität ist für den Kauf unerheblich.

Für Anfänger ist die Trennung schwierig, weil die Rechtskenntnis fehlt. Relevanz entsteht, wenn eine Tatsache (Schloss) auf ein Rechtsproblem (Schlüssel) verweist. Dass X Rentner ist oder A Ausländer – mag wichtig erscheinen, wirft hier aber keine Rechtsfragen auf.

Merke:
Beachten Sie jedes Wort im Sachverhalt. Fast jede Information kann ein Hinweis sein. Wichtig ist, was rechtsrelevant ist.


d) Die Fakten im Sachverhalt sind verbindlich

Bei der Analyse des Sachverhalts gilt: Er steht fest und ist verbindlich hinzunehmen. Selbst wenn Ihnen die Schilderung unlogisch, realitätsfern oder lebensfremd erscheint, müssen Sie sie – soweit sie als Feststellung wiedergegeben wird – akzeptieren.

Beispiel 11
Der Ehemann M hat die gemeinsame Tochter über viele Jahre schwer misshandelt. Die Nachbarin N hörte die Schreie und rief die Polizei. Ehefrau F schlief tief und bekam davon nichts mit.
Anmerkung: Auch wenn es lebensfremd wirkt, dass die Nachbarin, nicht aber die Ehefrau die Schreie hörte – es ist so hinzunehmen.

Versetzen Sie sich in die Lage einer akademisch gebildeten, juristisch geprägten Person in durchschnittlichen Lebensverhältnissen und lesen Sie den Text aus dieser Perspektive.

  • Lassen Sie nichts weg und fügen Sie nichts hinzu.

  • Biegen Sie den Sachverhalt nie zurecht, nur weil er „zu einer bestimmten Rechtsfrage passen“ soll. Oft ist der Sachverhalt im entscheidenden Punkt bewusst anders konstruiert.

Diese sogenannte „Sachverhaltsquetsche“ führt im schlimmsten Fall dazu, dass Sie einen anderen als den gestellten Sachverhalt bearbeiten.

Unterstellungen sind grundsätzlich unzulässig.
Ausnahmen gelten nur für Formalia, die man stillschweigend annehmen darf – es sei denn, der Sachverhalt ergibt klar das Gegenteil.

Unangebracht ist es auch, die faktische Richtigkeit einzelner Angaben ausdrücklich in Frage zu stellen. Selbst wenn Sie – etwa aufgrund beruflicher Erfahrung – zweifeln, müssen Sie die Angaben als gegeben hinnehmen.

Beispiel 12
Im Sachverhalt heißt es, A nehme „Futter“ mit nach Hause, das zur „Äsung“ der „Rehe und des Schwarzwilds“ im Wald ausliegt. Ein Bearbeiter führt aus, „Äsung“ treffe zwar auf Rehe sowie Dam- und Rothirsche zu, nicht jedoch auf Schwarzwild.
Anmerkung: Solche sprachlichen oder sachlichen Detailkorrekturen sind fehl am Platz – sie führen weg vom Kern der juristischen Aufgabe. Im Gutachten zählt allein, was im Sachverhalt steht.


e) Die sachverhaltlichen Rechtsaussagen sind verbindlich

Enthält der Sachverhalt Rechtsaussagen aus objektiver Erzählerperspektive, sind diese ohne eigene Prüfung zu übernehmen. Wird etwa von fahrlässigem Handeln gesprochen, dürfen Sie dies als gegeben annehmen.

Anders, wenn rechtliche Fachbegriffe bewusst als fraglich gekennzeichnet sind. Steht etwa, A habe ein Restaurant „gemietet“, deuten die Anführungszeichen darauf hin, dass offenbleibt, ob es Miete oder Pacht ist. Dann ist durch weitere Sachverhaltsangaben zu ermitteln, welches Rechtsverhältnis tatsächlich besteht.

Vorsicht bei Rechtsausführungen: Das sind Rechtsaussagen, die den handelnden Personen zugeschrieben werden. Sie sind nicht verbindlich, nicht vollständig und nicht zwingend richtig. Sie bieten Hinweise auf Aspekte, die geprüft werden sollen. Solche Rechtsansichten sind zu erörternnicht einfach zu übernehmen oder zu ignorieren. Belegen oder widerlegen Sie sie.

Beispiel 13
Vor 30 Jahren lieh A ihrer Schwester S den Ring der Urgroßmutter, der A vermacht war. A möchte den Ring zurück, um ihn ihrer Tochter zur Verlobung zu schenken. S weigert sich und meint, nach so langer Zeit dürfe sie den Ring endgültig behalten.
Anmerkung: Der letzte Satz weist darauf hin, zivilrechtliche Fragen (insb. Ersitzung, Verjährung des Herausgabeanspruchs) zu prüfen.

Merke:

  • Eindeutige rechtliche Wertungen im Sachverhalt sind ohne erneute Prüfung zu übernehmen.

  • Rechtsausführungen (rechtliche Meinungen im Text) sind zu erörtern und zu prüfen.


f) Der Sachverhalt ist vollständig

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass der Sachverhalt alle relevanten Informationen für die Lösung enthält. Nach dem Vollständigkeitsprinzip gilt:

Informationen, die sich nicht unmittelbar erschließen, sind entweder irrelevant oder gelten implizit als gegeben, sofern der Normalfall vorausgesetzt werden kann.

Beispiele:

  • Wird ein Gesetz genannt, ist es wirksam, solange kein gegenteiliger Hinweis besteht.

  • Wird ein Vertrag erwähnt, ist er gültig, solange der Sachverhalt keinen Zweifel erkennen lässt.

  • Beweislastregeln oder gesetzliche Fiktionen können entsprechend unterstellt werden.


3. Gliedern Sie den Sachverhalt!

Nachdem Sie Hinweise erkannt, Notizen gemacht und erste Markierungen gesetzt haben, strukturieren Sie den Sachverhalt systematisch. Ziel: Zusammenhänge sichtbar machen und den Text in sinnvolle Einheiten gliedern.

a) Markierungen

Auch Unterstreichen will gelernt sein. Planvoll und selektiv arbeiten:

  • Sachverhaltsangaben thematisch gruppieren.

  • So entsteht eine optische Übersicht, die beim Schreiben hilft.

Beispielhafte Farbmarkierung

  • Handlungen / Vorgänge: Grün

  • Fristen / Zeitpunkte: Rot

  • Orte / Örtlichkeiten: Blau

Finden Sie den Mittelweg: Weder zu grobe Arbeit noch übermäßige Detailverliebtheit (z. B. mit 17 Farben).

b) Skizzen

Bei umfangreichen Sachverhalten helfen Skizzen/Übersichten:

  • Chronologie relevanter Tatsachen und Rechtsauffassungen

  • Schaubild der Personen und Rechtsbeziehungen (inkl. Interessenlage)

  • ggf. eine örtliche Skizze

aa) Zeitskizze

Im Zivil- und öffentlichen Recht, mitunter auch im Strafrecht, sind Zeitpunkte und Daten zentral (Fristen, Verjährung, Verwirkung). Da der Sachverhalt oft nicht chronologisch erzählt, schafft eine Zeitskizze Klarheit.

Beispiel 14
A plant am 01.06. nach Tunesien zu fliegen. Zwei Wochen zuvor storniert er die Reise, da er einen Monat vorher eine Reise nach Australien gewonnen hat. Am 03.06. gibt das AA eine Reisewarnung für Tunesien heraus.

Beispiel 15
A verkauft am 03.03. einen Schönfelder an B. Zwei Tage zuvor hatte er ihn sich von C geliehen. C erhielt den Schönfelder am 01.02. irrtümlich von Amazon, ohne ihn bestellt zu haben.
A bittet D, das Buch an B zu übergeben. D vergisst es in der U-Bahn. E nimmt es an sich. Sechs Wochen nach Versendung bemerkt Amazon den Irrtum und fordert C zur Rückgabe auf.

Merke:
Eine saubere Strukturierung ist die Grundlage jeder Fallbearbeitung: Überblick – Klarheit – Sicherheit.

bb) Personenskizze

Bei mehreren Akteuren hilft eine Personenskizze, Beziehungen und Tatbeiträge zu ordnen – grafisch oder tabellarisch.

Beispiel 16
F hat einen Liebhaber L. L will M (Ehemann der F) „aus dem Weg räumen“. L weiß, dass P (Polizist) in F verliebt ist. L nutzt F, P zu beeinflussen („Katzenkönig“ als Sinnbild des Bösen, Menschenopfer M). P hält dies für gerechtfertigt und ersticht M im Blumengeschäft mit dem Messer des L.

Beispiel 17
S betreibt eine Schneiderei und gerät in Finanznöte. R (früher Vermittler) übernimmt die Sanierung, schließt mit K einen Kaufvertrag über Hemden; K zahlt sofort. R teilt S mit, er habe im Namen des S gehandelt, S solle liefern. S liefert und verlangt Zahlung von K. K verweist auf die Zahlung an R. R erklärt Insolvenz. S verlangt nun von K Zahlung.

cc) Ortsskizze

Sinnvoll, wenn räumliche Verhältnisse rechtlich relevant sind (Nachbarschaft, Bauplanungsrecht, Umwelt).

Beispiel 18
Auf E’s Grundstück im Außenbereich steht eine 12 m hohe Mobilfunkantenne (mittig auf 2000 m²).

  • Süden: Grundstück des N, Haus an M vermietet.

  • Norden: Grundstück des U (Umweltverband).

  • Osten: 10 m breiter Fluss, dahinter Fabrikgelände des F.

  • Westen: kleiner Wald, dahinter Landhof des B.
    Eine Skizze verhindert Missverständnisse.

c) Sachverhaltskomplexe

Mit fortschreitendem Studium werden die Sachverhalte komplexer: mehrere Stränge, parallele Geschehnisse, verschiedene Rechtsfragen. Arbeiten Sie Lebenssituationen und Abschnitte heraus (nach Personen, Tagen, Handlungen, Interessen).

Beispiel 19
Der minderjährige M bekommt 40 € Taschengeld, spart mit Geldgeschenken 1000 € und kauft ein Mofa.

Beispiel 19a
Wie Beispiel 19; M gibt das Mofa am nächsten Tag zurück, entnimmt 1000 € aus der Haushaltskasse und kauft ein Mofa für 2000 €.

Beispiel 20
A bricht am 01.01. in die Wohnung des X ein.

Beispiel 20a
Wie Beispiel 20; am nächsten Tag bricht A mit B in Y’s Wohnung ein. Da Y im Urlaub ist und Wertgegenstände liegen bleiben, bricht B am Folgetag allein erneut ein.

Anmerkung:
Ausgangsfälle sind meist einfach; in den Abwandlungen müssen Sie in Abschnitte gliedern (Personen/Handlungen/Zeitpunkte), um Tat- oder Anspruchskomplexe sauber zu trennen.


4. Verarbeiten des Sachverhalts

Im letzten Schritt werden die geordneten Hinweise in Lösungsansätze überführt. Alle ermittelten Aspekte müssen aufgegriffen werden, damit nichts in der eigentlichen Falllösung verloren geht.

Korrekturerfahrung: Häufig sind entscheidende Anmerkungen auf dem Sachverhalt oder der Skizze vermerkt, tauchen aber im Gutachten nicht auf. Das Problem ist also seltener das Erkennen, sondern das konsequente Weiterverarbeiten.


Merke

  • Alle erkannten Sachverhaltshinweise müssen sich konsequent in der Lösungsskizze wiederfinden.

  • Es gibt Sachverhaltsangaben, die sich schwer skizzieren, aber besonders wichtig sind. Bleiben sie nur im Text markiert, besteht die Gefahr, dass sie später nicht in die Lösung übernommen werden.

  • Sobald die rechtliche Bearbeitung beginnt, verliert man leicht den Blick für den Sachverhalt. Zusätzliche Notizen helfen – etwa zu Punkten, die unbedingt in die Lösung einfließen sollen.

Ideenzettel: Jeder notierte Punkt wird erst abgehakt, wenn er tatsächlich in der Lösungsskizze verarbeitet wurde.
Markieren Sie Probleme und Schwerpunkte besonders deutlich, um sie später intensiver auszuwerten – quantitativ (mehr Text) und qualitativ (tiefere Begründung).

Eine gute Strukturierungshilfe ist eine tabellarische Übersicht, z. B.:

Besonderer Sachverhaltshinweis Tatsächlicher Hinweis Rechtlicher Hinweis Problemschwerpunkt Eingebaut in Lösungsskizze?
Kurzer Vermerk über das Schlagwort im Sachverhalt Was lässt sich in tatsächlicher Hinsicht daraus folgern? Welche rechtliche Bedeutung hat dieser Umstand? Liegt ein rechtliches Problem oder Schwerpunkt vor? Wurde der Gedanke tatsächlich in der Lösung verarbeitet?

Beispiel 21

F ist seit zehn Jahren mit dem brutalen M verheiratet. Da M zunehmend aggressiv wird, beschließt F, sich zu trennen, teilt es ihm mit und verlässt das Haus.
In Verzweiflung und Wut entscheidet M, das gemeinsame Haus anzuzünden. Zuvor warnt er seinen erwachsenen Stiefsohn S, er solle das Haus verlassen.
M legt einen Brandsatz, der zwar einen kleinen Brand auf den Treppenstufen verursacht, aber nicht geeignet ist, das gesamte Haus in Brand zu setzen.
S entdeckt das Feuer und versucht, es zu löschen. Als M ihn daran hindert, kommt es zu einem Gerangel.
M fällt zu Boden und löscht dabei mit seinem Körper das Feuer, bevor es größeren Schaden anrichtet.
Während des Kampfes zerbricht eine wertvolle Vase, ohne dass M dies beabsichtigt.
Erst jetzt wird M bewusst, welche Folgen sein Verhalten hatte.

Tabelle: Auswertung zentraler Sachverhaltshinweise

Besonderer Sachverhaltshinweis Tatsächlicher Hinweis Rechtlicher Hinweis Problemschwerpunkt Eingebaut
Gemeinsames Haus M ist nicht Alleineigentümer Das Haus ist für ihn „fremd“ § 306 Abs. 1 StGB – Brandstiftung an fremdem Eigentum
Haus gehört nicht M allein Eigentum steht beiden Ehegatten zu Relevanz für „fremde Sache“ Ist dadurch der TB der Brandstiftung erfüllt?
M warnt S Versuch, Gefahr von S abzuwenden Relevanz für § 306a Abs. 1, 2 StGB – konkrete Gefahr für Menschenleben Ist die konkrete Gefahr ausgeschlossen, wenn gewarnt wurde?
Brandsatz untauglich Kleiner Brand, keine Ausbreitung möglich § 23 Abs. 3 StGB – untauglicher Versuch War objektiv eine Inbrandsetzung möglich?
M löscht Feuer unabsichtlich Sturz im Gerangel löscht das Feuer § 24 Abs. 1 StGB – Rücktritt vom Versuch Freiwillig oder unfreiwillig?
Vase zerbricht unbeabsichtigt Vase versehentlich zu Bruch gebracht § 303 StGB – Sachbeschädigung Fahrlässige Sachbeschädigung ist nicht strafbar

Weiteres Vorgehen nach der Analyse

Nach diesem Arbeitsschritt folgt die Erarbeitung der Lösungsskizze und anschließend das Gutachten.
Die Arbeit mit dem Sachverhalt ist damit nicht abgeschlossen: Ein vollständiges Verständnis ergibt sich erst durch die rechtliche Bearbeitung.
Daher sollte der Sachverhalt während der gesamten Fallbearbeitung fortlaufend im Blick bleiben.


Zusammenfassung der Arbeitsschritte

Schritt Bezeichnung Zielsetzung / Vorgehen Kontrollfrage
1 Erfassen des Sachverhalts Überblick gewinnen; Sachverhalt ohne Fallfrage lesen; erste Ideen notieren Ist der SV grob verstanden und in eigenen Worten wiedergebbar?
2 Suchen und Sammeln Hinweise erkennen; Fallfrage analysieren; präzise lesen; Ideenzettel anlegen Habe ich alle Hinweise erkannt und markiert?
3 Ordnen SV gliedern und veranschaulichen; Zeit, Personen, Orte systematisch erfassen Habe ich den SV ausreichend strukturiert?
4 Verarbeiten Alle Hinweise in die Lösungsskizze übernehmen; tatsächliche und rechtliche Schlüsse ziehen; Problemschwerpunkte hervorheben Wurden alle Hinweise berücksichtigt? Ist keine Idee verloren gegangen?

C. Einführung in den Gutachtenstil

Der Zweck eines Rechtsgutachtens besteht darin, rechtlich begründete Lösungen für ein konkretes Problem zu entwickeln. Es wird ein mögliches Ergebnis unterstellt und geprüft, welche Rechtsgrundlagen diese Lösung stützen oder ausschließen.

Beispielhafte Ausgangssituation
„Wir wollen Schadensersatz, Herr Rechtsanwalt! Wenigstens 13.000 EUR! Meinen Sie, wir haben eine Chance?“
„Sicher, aber ich muss das erst noch prüfen. Es könnte ein Anspruch aus Produkthaftung bestehen – eventuell auch nach dem Arzneimittelgesetz als Spezialgesetz. Daneben müssen wir Ihre Rechte aus Produzentenhaftung untersuchen.“

Zweck des Gutachtens

Ein Gutachten dient dazu,

  • Rechtsgründe zu sichten und zu prüfen,

  • die für oder gegen eine angenommene Falllösung sprechen.

Die Prüfung erfolgt im Konditionalstil („Wenn – Dann“)

  • Ergebnis E gilt, wenn Voraussetzung V erfüllt ist.

  • V ist erfüllt, wenn x vorliegt.

  • x liegt vor, wenn y festgestellt werden kann.
    → Also liegt x vor.
    → Mithin ist V erfüllt.
    Ergebnis E trifft zu.

Der Gutachtenstil – eine deutsche Besonderheit

  • Zentrales Merkmal der deutschen Juristenausbildung (seit spätem 19. Jh.).

  • Trainingsinstrument zur gedanklichen Strukturierung von Falllösungen.

  • Simuliert die Arbeit eines Berichterstatters vor einem Kollegialgericht.

  • Im Studium: Fokus auf materiell-rechtliche Argumentation, nicht auf wirtschaftliche/politische Folgen.

Anwendung in den Rechtsgebieten

  • Zivilrecht: Besteht ein Anspruch? Aus welcher Anspruchsgrundlage?

  • Strafrecht: Strafbarkeit nach welchen Strafvorschriften?

  • Öffentliches Recht: Rechtmäßigkeit/Verfassungsmäßigkeit hoheitlichen Handelns; oft inkl. prozessualer Fragen.


I. Gutachtenstil als Stilmix

Der Gutachtenstil vereint drei methodische Ansätze:

  1. Such- und Prüfmodus → „Ob es so ist?“

  2. Konditionalstil → „Das Ergebnis gilt, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind.“

  3. Justizsyllogismus → Schlusskette aus Tatbestand und Rechtsfolge.

1. Der Such- und Prüfmodus

Das Gutachten dokumentiert einen Suchprozess:

  • Suchauftrag mithilfe des Sachverhalts klären,

  • mögliches Ergebnis erwägen,

  • prüfen, welche Rechtsgrundlagen dieses Ergebnis tragen.

  • Jede Grundlage getrennt prüfen, Teilergebnisse festhalten.

Alltagsbeispiel
Erwägung: Ich könnte heute länger schlafen.
Grund: Vielleicht ist Feiertag?
Prüfung: Kalender: Es ist Feiertag!
Ergebnis: Ich kann länger schlafen.

Rechtsbeispiel
Erwägung: V könnte gegen K einen Anspruch auf 50 EUR haben.
Grund: Vielleicht besteht ein Kaufvertrag?
Prüfung: V und K haben einen entsprechenden Vertrag geschlossen.
Ergebnis: V hat gegen K einen Anspruch auf 50 EUR.

a) Urteilsstil

Gegenüberstellung zum Gutachtenstil (Ergebnis zuerst):

Alltag – Urteilsstil
Entscheidung: Ich kann heute länger schlafen.
Grund: Weil Feiertag ist.
Begründung: Kalender bestätigt den Feiertag.

Recht – Urteilsstil
Entscheidung: V hat Anspruch auf 50 EUR aus § 433 Abs. 2 BGB.
Grund: Voraussetzungen des Kaufpreisanspruchs liegen vor.
Begründung: Wirksamer Kaufvertrag zwischen V und K.

b) Suchen mit System

  • Nach der ersten Frage werden Gesichtspunkte gesammelt, die das Ergebnis begründen.

  • Zivilrecht: regelmäßig Anspruchsgrundlagen.

  • Andere Gebiete: auch Definitionen, Auslegungsgrundsätze, Lehrsätze als Obersätze.

Wichtig

  • Jede aufgeworfene Frage („Ob?“) muss beantwortet werden – keine losen Fäden.

  • Nur feststellen, was zuvor begründet wurde.

  • Keine Vorverweise („wie noch gezeigt wird…“), Rückbezüge („wie oben festgestellt“) sind erlaubt.

Beispiel
Zu prüfen ist, ob R die Willenserklärung durch Anfechtung gem. § 142 Abs. 1 BGB rückwirkend vernichtet hat.
Ergebnis: Die Willenserklärung der R ist rückwirkend als von Anfang an nichtig anzusehen.

Trennung der Gesichtspunkte

  • „Ich könnte länger schlafen“ ← weil Feiertag?

  • C könnte von E das Cabrio verlangen ← § 604 Abs. 1 BGB?

  • A könnte sich strafbar gemacht haben ← Sachbeschädigung, § 303 Abs. 1 StGB?

Für jeden weiteren Gesichtspunkt wird eine eigene Prüfung angelegt.

Alltag – mehrere Gesichtspunkte
A. Ergebnishypothese: Ich könnte heute länger schlafen.
I. …weil Feiertag? → Kalender: nein (–) → Ergebnis 1: nein
II. …weil der erste Termin ausfällt? → ja (+) → Ergebnis 2: ja
III. …weil ich müde bin? → Regeltest: „Wer müde ist, darf länger schlafen“ nicht tragfähig (–)
B. Endergebnis: Nur aufgrund von II kann ich heute länger schlafen.

 


2. Gründe prüfen im Gutachtenstil

Der Grund, der im Anschluss an die Ergebnishypothese gebracht wird (z. B. eine gesetzliche Anspruchsgrundlage oder ein Argument), wirkt mitunter selbstverständlich. In der Regel muss jedoch geprüft werden, ob dieser Grund die Hypothese tatsächlich stützt.

a) Intuitiv begründen

Man kann Gründe einfach intuitiv aneinanderreihen – so, wie sie spontan einfallen. So wird im Alltag, in Foren oder unter Kollegen häufig argumentiert.
Im juristischen Gutachten genügt das nicht: Gerade im Mittelteil neigen viele dazu, in diesen spontanen Erklärmodus zurückzufallen – mit Nachteilen für Struktur und Nachvollziehbarkeit.

b) Begründen im Urteilsstil

Der Urteilsstil ist das formstrenge Gegenstück zum Gutachtenstil.
Er zeigt sofort das Ergebnis und nennt danach nur die tragfähigen Gründe in einer logischen Kette. Die Begründung erfolgt deklarierend, nicht suchend.

Struktur: Entscheidung ← Grund ← Grund ← Grund

Alltagsbeispiel
Entscheidung: Ich kann länger schlafen.
Grund: Weil heute mein erster Termin ausfällt.
Begründung: Der Termin wurde von der Firma Faul abgesagt.
Nachweis: E-Mail von gestern, 19:30 Uhr.

c) Prüfen und Begründen im konditionalen Gutachtenstil

Die dritte Begründungsart ist der Konditionalstil – der Kern des Gutachtenstils.
Er wirkt zwar umständlicher, ist aber die präziseste Methode, um komplexe Rechtsprobleme logisch und nachvollziehbar zu prüfen.

Statt eine Frage direkt zu beantworten, nennt man die Bedingungen (Voraussetzungen), unter denen eine bestimmte Antwort zutrifft.

Alltagsbeispiel

Hypothetischer Teil Ergebnisteil
Ergebnis? Ich könnte länger schlafen. Ergebnis: Ich kann länger schlafen.
Voraussetzung: Dann müsste mein erster Termin ausfallen. Mein erster Termin fällt tatsächlich aus.

Im hypothetischen Teil werden die Bedingungen genannt, im Ergebnisteil wird geprüft, ob sie tatsächlich vorliegen.
So entsteht eine Begründungskette, die von der Voraussetzung zum Ergebnis führt:

z → y → x → G → Ergebnis
spiegelbildlich: Ergebnis ← wenn G ← wenn x ← wenn y ← wenn z

Formelbeispiel

  • Das Ergebnis E könnte zutreffen, wenn Voraussetzung V vorliegt.

  • V liegt vor, wenn x erfüllt ist.

  • x ist erfüllt, wenn y gilt.

  • y liegt tatsächlich vor.
    → Also ist x erfüllt.
    → Mithin liegt V als Bedingung für E vor.
    Ergebnis E trifft zu.

Alltagsbeispiel (konkret, Konditionalstil)

  • Hypothetisches Ergebnis: Ich könnte länger schlafen, wenn heute mein erster Termin ausfallen würde.

  • Mein erster Termin fällt aus, wenn die Firma Faul abgesagt hat.

  • Gestern um 19:30 Uhr kam die E-Mail mit der Absage.
    → Fa. Faul hat abgesagt.
    → Mein Termin fällt aus.
    → Ich kann länger schlafen.

Rechtsbeispiel (vereinfacht)

  • Hypothetisches Ergebnis: A könnte sich strafbar gemacht haben wegen Sachbeschädigung gem. § 303 Abs. 1 StGB.

  • Voraussetzung: Seine Handlung müsste den objektiven Tatbestand des § 303 Abs. 1 StGB erfüllen.

  • Das ist der Fall, wenn A eine fremde Sache beschädigt oder zerstört hat.

  • A hat Bs Orchideen zertreten.
    → Damit hat A eine fremde Sache zerstört.
    → Somit ist der objektive Tatbestand erfüllt.
    → A hat sich wegen Sachbeschädigung gem. § 303 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.


3. Denken unter Voraussetzungen

Für banale Überlegungen wirkt das Schema übertrieben – bei komplexen Fällen zeigt sich seine Stärke:
Es zwingt zu analytischem, diszipliniertem und vollständigem Denken.

Statt sofort das Ergebnis zu vertreten oder eine Pro-/Contra-Diskussion zu führen, lautet die Leitfrage:

Welche Bedingung muss erfüllt sein, damit das Ergebnis zutrifft?

Effekte:

  • Man verlangsamt den Lösungsprozess und bleibt länger im Suchmodus.

  • Man durchkämmt das rechtliche Umfeld.

  • Man übersieht keine relevanten Aspekte.

  • Man entdeckt neue Gesichtspunkte.

Vergleich der Begründungsstile

  • Urteilsstil: kurz, für fertige Ergebnisse.

  • Konditionalstil: zwingt zu präziser Prüfung – macht den Gutachtenstil zur strukturierten, nachvollziehbaren Denkdisziplin.

Intuitiver Stil – Gutachtenstil – Urteilsstil

Stilart Beispielhafte Formulierung
Intuitiver Stil „A hat sich wegen Sachbeschädigung gem. § 303 Abs. 1 StGB strafbar gemacht, denn er hat Bs Orchideen zertreten!“
Gutachtenstil „A könnte sich wegen Sachbeschädigung gem. § 303 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben. Voraussetzung ist die Beschädigung oder Zerstörung einer fremden Sache. A hat Bs Orchidee zertreten. Damit hat er eine fremde Sache zerstört. Also hat er sich wegen Sachbeschädigung gem. § 303 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.“
Urteilsstil „A ist wegen Sachbeschädigung gem. § 303 Abs. 1 StGB zu bestrafen, da er Bs Orchidee – eine fremde Sache – zerstört hat.“
  • Beim intuitiven Begründen bleibt oft unklar, auf welcher Norm das Argument beruht.

  • Der Urteilsstil nennt die tragenden Gründe, aber nur solche, die das Ergebnis stützen; der Weg dorthin bleibt verborgen.

  • Der Gutachtenstil zeigt Suchprozess, Prüfung und Begründung Schritt für Schritttransparent und nachvollziehbar.

Vorteile des Gutachtenstils

  • Entspricht den natürlichen Denkbewegungen: suchen, prüfen, verwerfen, wieder aufgreifen.

  • Bezieht mehrere Gesichtspunkte ein; Voraussetzungen („Wenn …“) werden als Tatbestandsmerkmale, Definitionen oder Lehrsätze konkretisiert.

  • Schafft Distanz zwischen Prüfer und Ergebnis: Fokus auf der Sachfrage, z. B. „Liegt Beschädigung/Zerstörung einer fremden Sache vor?“ – nicht auf Personen.

  • Rationalisiert Konflikte – Kern juristischer Professionalität.

Fazit der Begründungsstile

Der Konditionalstil (Gutachtenstil) ist die präziseste, aber auch anspruchsvollste Form des Argumentierens. Er bietet:

  • klare Struktur,

  • Ergebnisoffenheit („könnte … haben …“),

  • Weitblick, da auch entfernte Aspekte berücksichtigt werden.

Er verhindert voreilige Festlegungen und reduziert Fehlinterpretationen – eine effektive Arbeitsmethode im juristischen Entscheidungsprozess.


II. Aufbau des Gutachtens

Das juristische Gutachten kombiniert den konditionalen Begründungsstil („Ergebnis könnte sein, wenn Voraussetzung ist“) mit dem Justizsyllogismus.

Justizsyllogismus

Struktur Beschreibung
Hauptschluss P1: Tatbestand → Rechtsfolge (§ …)
Nebenschluss P1´: Tatbestand – Merkmale
  P2´: Sachverhalt – Merkmale
  P2: Sachverhalt erfüllt Tatbestand
Schlussfolgerung Sachverhalt → Rechtsfolge

Grundschema eines Rechtsgutachtens

Obersatz – Voraussetzung – Definition – Subsumtion – Ergebnis
Diese fünf Schritte werden je nach Komplexität mehrfach durchlaufen und verschachtelt.


1. Obersatz

Der Obersatz formuliert den Prüfauftrag des Gutachtens.

Beispiel
„V könnte gegen K einen Anspruch auf Zahlung von 80 EUR aus § 433 Abs. 2 BGB haben.“
Darin steckt die Aufgabe:
„Hat V gegen K einen Anspruch auf Zahlung von 80 EUR – gestützt auf § 433 Abs. 2 BGB?“

Schema: Obersatz → Voraussetzung → Definition → Subsumtion → Ergebnis
Dieses Schema wiederholt sich im Gutachten mehrfach. Neben dem „ersten“ Obersatz entstehen weitere Obersätze, z. B.:

  • „V müsste ein Angebot abgegeben haben.“

  • „Die Orchidee müsste eine Sache sein.“

  • „V könnte mit dieser Äußerung eine Willenserklärung abgegeben haben.“

Mit „Obersatz“ ist meist der erste gemeint – er ist entscheidend, weil er die Prüfungsrichtung vorgibt.

Der erste Obersatz enthält immer drei Elemente:

  1. Rechtsfrage – z. B. „Kann V von K Zahlung von 80 EUR verlangen?“

  2. Ergebnishypothese – „V könnte gegen K einen Anspruch auf Zahlung von 80 EUR haben.“

  3. Rechtsnorm – „… aus § 433 Abs. 2 BGB.“

Zusammen:
„V könnte gegen K einen Anspruch auf Zahlung von 80 EUR aus § 433 Abs. 2 BGB haben.“

a) Die Rechtsfrage

Das Gutachten beginnt – anders als der Justizsyllogismus – nicht mit der abstrakten Norm, sondern mit dem konkreten Problem aus dem Sachverhalt.
Dieses wird anhand der Fallfrage in eine juristische Rechtsfrage umformuliert.

Sachverhalt
V besitzt eine Lederjacke, die K für 80 EUR kaufen möchte. V überlässt sie K; K weigert sich am nächsten Tag zu zahlen.

Rechtsfrage
„Hat V gegen K einen Anspruch auf Zahlung von 80 EUR?“

Im Strafrecht muss die Rechtsfrage den relevanten Sachverhalt ausdrücklich einbeziehen:
„Hat sich A strafbar gemacht, indem er die Orchidee des B zertreten hat?“

Mitunter ist die Rechtsfrage in der Fallfrage enthalten – oft muss sie aber selbst präzise formuliert werden.

W-Formel (Zivilrecht): Wer will was von wem?)

  • Wer? Anspruchsteller → V

  • Von wem? Anspruchsgegner → K

  • Was? Begehren → Zahlung von 100 EUR
    → „Hat V gegen K einen Anspruch auf Zahlung von 100 EUR?“

b) Ergebnishypothese

Aus der Rechtsfrage entsteht die Ergebnishypothese. Sie unterstelltprobeweise –, dass die Rechtsfrage bejaht wird.

Beispiel
„V könnte gegen K einen Anspruch auf Zahlung von 80 EUR haben.“

 


Exkurs: Könnte, hätte, müsste …

Da es sich beim Gutachten um ein Gedankenspiel handelt, wird traditionell der Konjunktiv II (Irrealis) verwendet. Er drückt aus, dass es sich um eine hypothetische Annahme handelt, die sich am Ende auch als falsch erweisen kann.

Beispiele

  • V könnte gegen K einen Anspruch haben.

  • Hierfür müssten V und K einen wirksamen Kaufvertrag nach § 433 BGB geschlossen haben.

  • A könnte sich strafbar gemacht haben; dafür müsste sein Verhalten eine Körperverletzung i.S.d. § 223 Abs. 1 StGB darstellen.

Bildung des Irrealis

Infinitiv Präteritum Irrealis
sein war wäre
können konnte könnte
haben hatte hätte
graben grub grübe

Die Bildung mit würde ist zwar verbreitet, sollte in juristischen Prüfungsarbeiten vermieden werden.

Grammatikalisch korrekt ist es, das gesamte Konditionalgefüge („b ist, wenn a ist“) in den Irrealis zu setzen:

b wäre, wenn a wäre.
Ich flög’ zu dir – wenn ich ein Vöglein wäre.
Ich flög’ zu dir – wenn ich ein Vöglein bin.

Beispiele

  • A hätte Recht, wenn B am Vortag gekündigt hätte.

  • V könnte einen Anspruch haben; hierfür müssten V und K einen wirksamen Vertrag geschlossen haben.

  • A könnte geeignet sein; dann müsste er die erforderlichen Fähigkeiten besitzen.

Bezieht sich eine Bedingung auf eine Voraussetzung der Vergangenheit, wird der Irrealis Plusquamperfekt verwendet:

  • „… hätten sich geeinigt haben müssen“,

  • „… wäre erforderlich gewesen.“

Sobald Sie jedoch zu abstrakten Rechtsfragen, Definitionen oder Subsumtionen übergehen, springen Sie in den Indikativ Präsens:

  • Ein Kaufvertrag kommt durch Angebot und Annahme zustande.“

  • Vorliegend haben V und K einen Kaufvertrag geschlossen.“

Der Irrealis ist hier überflüssig, da der hypothetische Charakter des Gutachtens bereits aus der Struktur ersichtlich ist.

Formulierungsvorschläge

Einstiege

  • Fraglich ist, ob …

  • Möglicherweise …

  • Zu prüfen ist, ob …

  • In Betracht kommt, dass …

  • Zu erwägen ist, ob …

Keine Dopplungen

  • ✅ A könnte in Notwehr gehandelt haben.

  • Möglicherweise hat A in Notwehr gehandelt.

  • Möglicherweise könnte A in Notwehr gehandelt haben.

  • ✅ In Betracht kommt eine Rechtfertigung des A durch Notwehr.

  • ❌ In Betracht kommt, dass A durch Notwehr gerechtfertigt sein könnte.

  • ✅ Fraglich ist, ob A in Notwehr gehandelt hat.

Legen Sie sich früh ein Repertoire an Standardformulierungen an. Das hilft, den Gutachtenstil sauber durchzuhalten und flüssig zu schreiben. Korrektoren danken es: klare, wiedererkennbare Wendungen machen die Arbeit lesbar und professionell.

Einige Lehrende lehnen den Irrealis ab und bevorzugen den Indikativ, etwa:
„V hat gegen K einen Anspruch auf Zahlung … Dann muss …“
„K kann von V Herausgabe verlangen, wenn …“
Das ist sprachlich einfacher und alltagsnäher. Missverständnisse entstehen nicht, da der Aufbau des Gutachtens den hypothetischen Charakter ohnehin verdeutlicht.
Tipp: Verwenden Sie den traditionellen Irrealis, wenn Fakultät/Prüfer ihn ausdrücklich bevorzugen.


c) Rechtsnorm

Die Ergebnishypothese wird direkt mit der ersten Rechtsnorm verknüpft, die als Prüfungsgrundlage dient.
– Im Zivilrecht meist die Anspruchsgrundlage,
– im Strafrecht die materielle Strafnorm.

Beispiele

  • V könnte gegen K einen Anspruch auf Zahlung von 80 EUR aus § 433 Abs. 2 BGB haben.

  • V könnte gegen M einen Anspruch auf Zahlung der Januarmiete (650 EUR) aus § 535 Abs. 2 BGB haben.

  • A könnte sich wegen Sachbeschädigung gem. § 303 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er Bs Orchidee zertreten hat.

Im Zivilrecht benennt der erste Obersatz die anspruchsbegründende Norm, im Strafrecht die strafbegründende Vorschrift, im Öffentlichen Recht die materiellrechtliche Grundlage des Verwaltungshandelns.

Erweiterte W-Formel im Zivilrecht (5W)

Wer will was von wem woraus?

Frage Bedeutung
Wer? Anspruchsteller
Von wem? Anspruchsgegner
Was? Begehren
Woraus? Anspruchsgrundlage

Beispiel
C (Wer) verlangt von E (Wem) die Rückgabe (Was) des entliehenen Cabrios aus § 604 Abs. 1 BGB (Woraus).

aa) Obersatz und Rechtsfolge

Mit der Rechtsnorm im ersten Obersatz wird der konkrete Fall mit einer möglichen Rechtsfolge verknüpft.
– Im Zivilrecht entspricht die Rechtsfolge dem Begehren des Anspruchstellers.
– In der Prüfung erscheint diese Rechtsfolge als hypothetisches Ergebnis, das anschließend bestätigt oder verneint wird.
– Der Tatbestand enthält die Voraussetzungen der Rechtsfolge; diese werden im nächsten Schritt benannt und geprüft.

Beispiel 1 (Kaufpreisanspruch)
Wenn V von K wegen der Veräußerung einer Goldmünze (Krügerrand, 1 Unze) 950 EUR verlangt, braucht es eine Grundlage, die dem Verkäufer einen Kaufpreisanspruch gibt: § 433 Abs. 2 BGB.
Obersatz: V könnte gegen K einen Anspruch auf Zahlung von 950 EUR aus § 433 Abs. 2 BGB haben.

Beispiel 2 (Übergabe/Übereignung)
V und K einigen sich über den Verkauf; V will am nächsten Tag doch behalten. K besteht auf Übergabe.
Grundlage: § 433 Abs. 1 S. 1 BGB.
Obersatz: K könnte gegen V einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung der Goldmünze (Krügerrand, 1 Unze) für 950 EUR aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB haben.

Warum überhaupt das Gesetz nennen?
Ein Gutachten ist oft Vorarbeit für Urteil/Bescheid/Prognose. Entscheidungen greifen in Rechte ein; daher gilt der Vorbehalt des Gesetzes. Rechtsprechung ist nach Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 GG an das Gesetz gebunden.
Im Strafrecht zudem: nulla poena sine lege (Art. 103 Abs. 2 GG).
Fazit: Im ersten Obersatz muss die Norm genannt werden.

bb) Welche Norm ist die richtige?

Kernfrage: Mit welcher Norm beginnt die Prüfung – welche folgt danach?
Oft klar (Schemata), oft Suche nötig. Der Gesetzesblick ist unverzichtbar, aber nicht immer eindeutig. Prüfen Sie, ob eine Vorschrift wirklich eine Anspruchsgrundlage ist und passt.

Hilfen

  • Dogmatik der Rechtsgebiete

  • Lehrbücher, Kommentare, Urteile

  • Aufbauschemata, Lösungshinweise (Studienunterlagen)
    → Mehr dazu im Abschnitt „Prämissen finden“.

cc) Besonderheiten im Strafrecht

Zentrale Frage: Wer hat sich wodurch, wegen welchen Delikts, nach welcher Norm strafbar gemacht?

Orientierung

  • Täter?

  • Tathandlung?

  • Delikt?

  • Norm?

Beispiel
A tritt Bs seltene Orchidee kaputt → zerstört.
Obersatz: A könnte sich durch das Zertrampeln von Bs Orchidee wegen Sachbeschädigung gemäß § 303 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.
Aufschlüsselung: Täter A – Tathandlung Zertrampeln – Delikt Sachbeschädigung – Norm § 303 Abs. 1 StGB.

Normpräzision ist Pflicht – ungenaue Angaben kosten Punkte.

  • A könnte vom Kaufvertrag zurückgetreten sein.

  • A könnte gemäß §§ 437 Nr. 2, 323 Abs. 1 BGB vom Kaufvertrag zurückgetreten sein.

dd) Die Tathandlung

Die Tathandlung (das zu prüfende Verhalten) ist präzise zu benennen – im Strafrecht, aber auch anderswo.

Beispiel (Unterlassen)
X warnt M nicht vor giftigen Pilzen; M erkrankt schwer.

  • … strafbar gemacht, indem er M nicht hinwies. (unpräzise)

  • … wegen versuchten Totschlags durch Unterlassen (§§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht, indem er es unterließ, M auf die giftigen Pilze hinzuweisen.

Die Tathandlung beschreibt im Obersatz den Untersuchungsgegenstand, nicht die Begründung.
Sobald „weil/da“ auftaucht, gleiten Sie in den Urteilsstil – das ist hier falsch.

  • A könnte ein Dieb sein, da er X das Auto wegnahm.

  • A könnte sich wegen Diebstahls strafbar gemacht haben, indem er X das Auto wegnahm.

Wichtig: Geprüft wird die Tat, nicht der Täter.

ee) Weitere Formulierungshilfen für den Obersatz

Ein Obersatz ist weder Frage noch Antrag.

  • Hat A gegen B einen Anspruch …?

  • B beantragt, dass A … Dieser Anspruch besteht, wenn …

  • A könnte gegen B gemäß §§ 8 Abs. 1, 3 Nr. 1, 4 Nr. 11, 12 UWG i. V. m. § 5 DDG einen Anspruch auf Unterlassen haben, weil in Bs Facebook-Profil die nach § 5 DDG erforderlichen Pflichtangaben nicht leicht erkennbar oder unmittelbar erreichbar sind.

Der Obersatz enthält nur das Notwendige – keine Einleitungen/Überleitungen/SV-Nacherzählungen.

  • Bevor man sich der Frage zuwendet, ob …

  • A könnte sich strafbar gemacht haben. Wie sich aus dem Sachverhalt ergibt, hat er nämlich …

  • K könnte von V die Übergabe der Münze gemäß § 433 Abs. 1 BGB verlangen.

ff) Die weiteren Obersätze

Nach dem ersten Obersatz folgen zu jedem neuen Prüfungsabschnitt weitere Obersätze – sie leiten den jeweiligen Teilschritt ein.

Beispiele

  • Fraglich ist, ob es sich bei dieser Äußerung um ein Angebot gehandelt hat.

  • Zu prüfen ist, ob ein Hundewelpe eine Sache im Sinne des Gesetzes ist.

  • E müsste Eigentümer, B Besitzer sein.

  • Fraglich ist, ob der Widerruf rechtzeitig zugegangen ist.

  • Die Klage müsste begründet sein.

Grundsatz: Jede neue juristische Frage erhält ihren eigenen Obersatz – so bleibt das Gutachten strukturiert und nachvollziehbar.


Grundprinzip

Klarheit und Sparsamkeit.
Ein Obersatz ist so knapp wie möglich und so vollständig wie nötig. Er enthält nur die konkrete Frage, die im folgenden Abschnitt beantwortet wird.

Dafür braucht es – unausgesprochen – stets zwei gedankliche Prämissen:

  • Vorprämisse: Warum wird diese Frage jetzt gestellt?

  • Nachprämisse: Auf welcher Grundlage wird sie beantwortet?

Beispiel Vorprämisse:
Warum prüfen Sie, ob ein Angebot vorliegt? – Weil es um die Wirksamkeit eines Vertrags geht. Nach dem Lehrsatz gilt: Ein Vertrag setzt zwei übereinstimmende Willenserklärungen voraus – Angebot und Annahme. Das Merkmal „Angebot“ ist also ein notwendiges Element und wird nun geprüft.

Die Nachprämisse erklärt, woher Sie die Voraussetzungen für die Beantwortung nehmen – z. B. aus Gesetzen, Definitionen oder anerkannten Lehrsätzen.

Hinweis: Diese Logik wird besonders verständlich, nachdem Sie das Kapitel „Voraussetzungen“ gelesen haben. Da sich die Gutachtentechnik gewachsen – nicht streng logisch – entwickelt hat, liest man am Ende vieles mit geschärftem Verständnis erneut.


Beispiel – Anwendung der Prämissen im Gutachtenstil

Objektiver Tatbestand des § 303 Abs. 1 StGB:
A müsste eine fremde Sache beschädigt oder zerstört haben.

Zwischenobersatz (Vorprämisse):
Wenn jemand eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, ist der objektive Tatbestand des § 303 Abs. 1 StGB erfüllt. (ergibt sich aus dem Gesetz)

Zwischenobersatz:
Die Orchidee müsste eine Sache sein.

Unausgesprochene Prämisse:
Wenn das Tatobjekt eine Sache ist, ist eine Voraussetzung des Tatbestands erfüllt.

Nachprämisse (Definition):
Sachen sind körperliche Gegenstände.
→ Orchideen sind körperliche Gegenstände; sie unterfallen dem strafrechtlichen Sachenbegriff.

Subsumtion:
A hat Bs Orchidee zertreten – sie war eine Sache und wurde zerstört.
→ Der objektive Tatbestand liegt vor.

Zwischenergebnis:
Der objektive Tatbestand des § 303 Abs. 1 StGB ist erfüllt.

Weiteres Beispiel (Zivilrecht):
Fraglich ist, ob V ein Angebot abgegeben hat.

  • Vorprämisse: Wenn ein Angebot abgegeben wurde, liegt (bei Annahme) ein Kaufvertrag vor.

  • Nachprämisse (Definition): Ein Angebot ist ein Antrag auf Abschluss eines Vertrags durch Willenserklärung.

  • Sachverhalt: V zeigt K eine Goldmünze und sagt: „Wollen Sie die für 950 Euro?

Neuer Obersatz:
Zu prüfen ist, ob V mit dieser Äußerung eine Willenserklärung abgegeben hat.

Unausgesprochene Prämisse:
Liegt eine Willenserklärung mit einem Antrag auf Vertragsschluss vor, liegt ein Angebot vor.


2. Voraussetzungen

Nach dem Obersatz folgen die Voraussetzungen, unter denen der Obersatz bejaht werden kann. Es sind die Bedingungen, unter denen

  • ein Anspruch besteht,

  • sich jemand strafbar gemacht hat, oder

  • eine Verfassungsbeschwerde Aussicht auf Erfolg hat.

Diese Voraussetzungen sind klar zu benennen – sie bilden das Prüfprogramm. Zu jeder Voraussetzung ist rechtlich Stellung zu nehmen.

Aufbaubeispiel

Obersatz:
V könnte gegen K einen Anspruch aus § … BGB haben.

Voraussetzungen:
Dann müssten Merkmal 1 und Merkmal 2 vorliegen.

a) Zu prüfen ist, ob Merkmal 1 gegeben ist. Dies ist der Fall, wenn …
b) Fraglich ist weiterhin, ob Merkmal 2 vorliegt. Dann müsste …

Dreifache Bedeutung des „Wenn–Dann“-Schemas

Perspektive Aussage
Gutachtlich Obersatz gilt, wenn die Voraussetzung erfüllt ist.
Rechtlich Rechtsfolge tritt ein, wenn der Tatbestand erfüllt ist.
Logisch Eine Folge gilt, wenn die Bedingung gegeben ist.

a) Tatbestandsmerkmale finden

Stützt sich der Obersatz auf eine Rechtsnorm, werden die Voraussetzungen dem Tatbestand dieser Norm entnommen (Tatbestandsmerkmale/-voraussetzungen).

Strafrecht – § 303 Abs. 1 StGB
„Wer rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, wird … bestraft.“

Obersatz:
A könnte sich wegen Sachbeschädigung gem. § 303 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er Bs Orchidee zertreten hat.

Voraussetzungen (Ausschnitt):
I. Objektiver Tatbestand
fremde Sache
Beschädigung oder Zerstörung

Weiteres Beispiel – § 239 Abs. 1 StGB
„Wer einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise der Freiheit beraubt, wird … bestraft.“

Obersatz:
A könnte sich durch das Einsperren des E in der Kühlkammer wegen Freiheitsberaubung gem. § 239 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.

Voraussetzung:
A müsste einen anderen Menschen eingesperrt oder der Freiheit beraubt haben.

Zivilrecht – § 433 Abs. 1 S. 1 BGB
„Durch den Kaufvertrag wird der Verkäufer verpflichtet, dem Käufer die Sache zu übergeben und das Eigentum zu verschaffen.“

Obersatz:
K könnte gegen V einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung der Goldmünze gem. § 433 Abs. 1 S. 1 BGB haben.

Voraussetzung:
V und K müssten einen wirksamen Kaufvertrag geschlossen haben.

Fazit:
Tatbestandsvoraussetzungen aus einem Gesetz herauszuarbeiten verlangt sorgfältige, strukturierte Lektüre.


Exkurs: Den Gesetzestext richtig lesen

Gesetzeslektüre ist Spitzenklasse des Lesens: Jedes Wort bewusst aufnehmen, den Satz ganz verstehen, innehalten und fragen:

  • Habe ich grammatisch verstanden, was dort steht?

  • Habe ich inhaltlich verstanden, was der Gesetzgeber ausdrücken will oder könnte?

Formulieren Sie die Norm in eigenen Worten:
Was wird geregelt? Unter welchen Voraussetzungen tritt welche Rechtsfolge ein?

Feinanalyse

  • Auf jedes Wort, Punkt und Komma achten.

  • Unterschied zwischen „und“ / „oder“, „ist“ / „soll“ beachten.

  • Struktur und systematischen Zusammenhang der Vorschrift ansehen.

  • Inhaltsverzeichnis nutzen, um die Norm einzuordnen.

Ziel: die Struktur Tatbestand → Rechtsfolge und die Rechtsbedeutung der Begriffe erfassen.
Oft reicht der Gesetzestext allein nicht; Literatur, Kommentare, Rechtsprechung helfen – danach den Text erneut lesen: Mit neuem Wissen wirkt die Norm oft klarer.

Exkurs Ende

So wichtig das Gesetz ist: Lesen + gesunder Menschenverstand genügen oft nicht. Wie im Abschnitt „Woher kommen die Tatbestandsmerkmale?“ erläutert, sind diese Ergebnis von Auslegung, Übereinkunft und Debatte.

Beispiel § 303 Abs. 1 StGB (Sachbeschädigung)
Tatbestandsmerkmale:
– „beschädigtoderzerstört“ (alternativ),
– „fremde Sache“ (kumulativ),
– „rechtswidrig“ ist kein Tatbestandsmerkmal.
→ Das erschließt sich nicht durch bloßes Lesen, sondern durch Dogmatik.

Ungeschriebene Tatbestandsmerkmale

Mitunter ergänzt die Rechtsdogmatik Merkmale, um Sinn und Zweck besser abzubilden.

Beispiel § 263 StGB (Betrug):
Ungeschriebenes Merkmal: Vermögensverfügung.
Betrug liegt vor, wenn das Opfer

  1. durch Irrtum (geschrieben),

  2. eine Vermögensverfügung (ungeschrieben) vornimmt,

  3. mit der Folge eines Vermögensschadens (geschrieben).
    Die Ergänzung grenzt Strafbarkeit ein (nicht ausdehnend) – daher kein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG.

Merke:
Recherchieren Sie, welche Merkmale gelten – und beherrschen Sie die Kernmerkmale häufiger Normen auswendig.


b) Voraussetzungen außerhalb von Gesetzen

Obersätze können sich auch auf Definitionen, Satzungen, EU-Recht oder Lehrsätze stützen. Auch hier sind die Voraussetzungen herauszuarbeiten.

Beispiel – Diebstahl (Wegnahme)

Zwischenobersatz:
Fraglich ist, ob eine Wegnahme vorliegt.

Prämisse (Definition):
Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendig tätereigenen Gewahrsams.“

Zu prüfen:
– fremder Gewahrsam bestand,
– dieser wurde gebrochen,
neuer Gewahrsam begründet,
– neuer Gewahrsam nicht tätereigen.

Beispiel – Gattungsschuld (§ 243 BGB)

Zwischenobersatz:
Möglicherweise liegt eine Gattungsschuld vor.

Prämisse (Definition):
Gattungsschuld: die zu leistende Sache ist nicht individualisiert, sondern aus gleichartigen Stücken auszuwählen.

Voraussetzungen:
– keine Individualisierung,
– Auswahl aus mehreren gleichartigen Stücken,
– gemeinsame, abgrenzende Merkmale.

Beispiel – IT-Recht (Cookies)

Zwischenobersatz:
Entscheidend ist, ob es sich um Cookies handelt.

Prämisse (Definition):
Cookies sind kleine Datensätze, die auf dem Rechner des Internetnutzers gespeichert werden.

→ So bleibt der juristische Stil gewahrt; man rutscht nicht in einen journalistischen Essay ab.


c) Voraussetzungen bei unbekannten Rechtsproblemen

Finden Sie keine Literatur/Rechtsprechung: Mut zur Eigenarbeit.

  • Rechtsfrage formulieren,

  • Prämisse festlegen,

  • Voraussetzungen bilden,

  • prüfen.

Ist das Problem nicht prüfungsrelevant, darf es kurz bejaht und fortgefahren werden (Effizienz).

Beispiel:
Steuerrechtliche Fragen gelten als geklärt. Es ist davon auszugehen, dass A Deutsche i.S.d. Art. 116 GG ist; der Sachverhalt gibt nichts Gegenteiliges her.

Ist die Frage wesentlich, muss sie ausgearbeitet werden.


d) Prüfungsvoraussetzungen sind vielfältig

Neben gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen kommen Definitionselemente oder rechtliche Kriterien als Voraussetzungen infrage.

Beispiel (Begriff „Anspruch“):
Ein Anspruch ist das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen.

Voraussetzungen:
– Recht zu verlangen,
gegen einen anderen,
Tun oder Unterlassen.

Ist ein Begriff mehrdeutig, wird er ausgelegt; das Auslegungsergebnis enthält wiederum prüfbare Merkmale.

Beispiel – Verbraucherrecht:
Richtlinienkonforme Auslegung der §§ 312c, 355 BGB:
Die Widerrufsbelehrung muss dem Verbraucher vor Vertragsschluss in Textform zugehen – ohne weiteres Zutun.
Zugang liegt nur vor, wenn der Verbraucher die Belehrung selbst speichert oder ausdruckt.
Eine bloße Server-Speicherung (z. B. bei eBay) genügt nicht.


e) Abgrenzung: Beispiele und Regelbeispiele

Beispiele im Gesetz (Aufzählungen/Erläuterungen) sind keine Tatbestandsmerkmale; sie veranschaulichen nur.

Bsp.: „Dauerhafte Datenträger“: Disketten, CD-ROMs, DVDs, Festplatte. Websites nur, wenn sie die Anforderungen an ein dauerhaftes Medium erfüllen.

Regelbeispiele haben Zwischenstellung: Sie wirken tatbestandslenkend, sind aber widerlegbar; sie indizieren einen besonders schweren Fall.

Bsp. § 370 Abs. 3 S. 2 AO (Steuerhinterziehung): in großem Ausmaß, Amtsmissbrauch, fortgesetzte Fälschungen, Bande.


f) Formulierung der Voraussetzungen

  1. Konjunktiv (Irrealis) für hypothetische Prüfung:
    A könnte einen Anspruch haben. Dann müsste … gegeben sein. Diese Voraussetzung wäre zu bejahen, wenn … vorläge.

  2. Indikativ für allgemeine Rechtsaussagen:
    Voraussetzung für einen Anspruch ist ein wirksamer Vertrag.

Merke:

  • Obersatz im Konjunktiv (hypothetisch).

  • Voraussetzungen/Definitionen im Indikativ (allgemein).
    Wer den Obersatz im Indikativ setzt, sollte den Stil konsequent beibehalten – entscheidend ist Klarheit.


g) Müssen alle Voraussetzungen geprüft werden?

Es kommt darauf an.
Gerade Anfänger – besonders im Strafrecht – sollten alle tatbestandlichen Voraussetzungen benennen. Das heißt aber nicht, jedes Merkmal stets in voller Vier-Stufen-Form (Obersatz–Definition–Subsumtion–Ergebnis) auszubreiten.

  • Wichtige Punkte: ausführlich prüfen.

  • Nebensächliches: kurz („liegt ebenfalls vor“).

  • Zusammenfassung mehrerer Voraussetzungen ist möglich.

Die Rechtsprechung verfährt ähnlich: kritische Merkmale werden hervorgehoben („insbesondere …“), der Rest kurz festgestellt („die übrigen Voraussetzungen sind gegeben“).


3. Definition

Tatbestandsvoraussetzungen sind erfüllt, wenn ihnen ein Sachverhaltselement zugeordnet werden kann (Subsumtion). Ist die Voraussetzung zu abstrakt, wird sie definiert.

Beispiel:
C könnte gegen E einen Rückgabeanspruch gem. §§ 604 Abs. 1, 598 BGB haben.
Voraussetzung: Leihvertrag.
Definition: Leihvertrag = Verpflichtung zur vorübergehenden, unentgeltlichen Gebrauchsüberlassung.


a) Brücke zwischen Norm und Sachverhalt

Nach der Definition folgt die Subsumtion – die Einordnung des Sachverhalts unter die Definition.

Beispiel:
C und E vereinbaren, dass E das Cabrio „für ein Wochenendeausborgt.
Gebrauchsüberlassung (+) | Unentgeltlichkeit (+) | Vorübergehend (+)
Leihvertrag liegt vor.

Kurzschema:
Ergebnis (+), wenn Voraussetzung (+).
Voraussetzung (+), wenn Definiens (+).
Definiens (+), wenn Subsumtion (+).
→ Subsumtion (+) → Voraussetzung (+) → Ergebnis (+)

Bei komplexen Fällen prüfen Sie die Merkmale des Definiens einzeln und bilden ein Zwischenergebnis.


b) Standarddefinitionen

Definitionen stammen teils aus Gesetzen (Legaldefinitionen), meist aus Rechtsprechung und Literatur.

  • Legaldefinitionen haben Vorrang und sind wortgetreu wiederzugeben.
    – Falsch: „Fahrlässig handelt, wer die … Achtsamkeit verletzt.“
    – Richtig: „Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.“ (§ 276 Abs. 2 BGB)

  • Andere Definitionen dürfen sinngemäß wiedergegeben werden; empfehlenswert ist nahe am Wortlaut der h. M. zu bleiben (Auffindbarkeit in Datenbanken, Einheitlichkeit).

Merke:
In den ersten Semestern: Keine Kreativität bei Definitionen – nutzen Sie anerkannte Formeln.
Später: Eigenständiges Denken ist Pflicht – Definitionen verstehen, hinterfragen, abwägen, weiterdenken.


c) Umstrittene Definitionen (Meinungsstreit)

Oft existieren mehrere anerkannte Begriffsbestimmungen (Literatur ↔ Rechtsprechung).

Beispiel: Richtermediation

  • Auffassung 1: wie außergerichtliche Mediation (Regierungsentwurf).

  • Auffassung 2: spezielle richterliche Funktion (MediationsG).

Typische Lagen

  • Stellungskrieg: Lang umkämpft, ohne Entscheidung.

  • Neuland: noch keine h. M. (neue Falltypen, neue Merkmale).

  • Aufstand: h. M. wird substanziell angegriffen.

Aufbau im Gutachten

Zwischenobersatz:
„Streitig ist, was unter … zu verstehen ist.“

I. Streitstand

  1. Auffassung 1 (mit Begründung) → Subsumtion/Folgen

  2. Auffassung 2 (mit Begründung) → Subsumtion/Folgen
    (+ ggf. weitere)

II. Streitentscheidung (Stellungnahme)
Nur nötig, wenn die Ansichten zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.
Andernfalls: Hinweis, dass alle Ansichten zum gleichen Ergebnis führen – Entscheidung entbehrlich.


Ausführliches Beispiel: „Tod eines Menschen“

Fraglich: Was ist unter dem Tod eines Menschen zu verstehen?

h. M. (Gesamthirntod):
Tod = irreversibler Funktionsverlust des Gesamthirns.
Begründung: Anschluss u. a. im Transplantationsgesetz (TPG), das den Gesamthirntod als Voraussetzung der Organentnahme verwendet.
Subsumtion: War zum Tatzeitpunkt bereits Gesamthirntod gegeben, konnte A den B nicht (mehr) töten.

Gegenansicht (Herztod):
Tod = irreversibler Stillstand von Atmung/Kreislauf.
Subsumtion: Danach lebte B zum Eingriffszeitpunkt noch; die Tötungshandlung des A wäre tatbestandsrelevant.

Weitere Gegenansicht (Teilhirn-/Kortikaltod):
Tod = irreversibler Ausfall wesentlicher Teilfunktionen, häufig: Großhirn.
Subsumtion: Führt hier zufällig zum selben Ergebnis wie die h. M.

Streitentscheidung:
Das Gesamthirntodkriterium überzeugt, weil es sowohl den Verlust jeglicher Bewusstseinsprozesse als auch den Ausfall der zentralen Körpersteuerung erfasst. Instrumentelle Erwägungen der Transplantationsmedizin tragen die Definition nicht; Leben ist nicht gegen Leben abwägbar.

Ergebnis: Bei zugrunde gelegtem Gesamthirntod war der Tod bereits eingetreten; A hat den objektiven Tatbestand des § 211 StGB nicht erfüllt.


Begründung und Bewertung von Definitionen

Definitionen sind abstrakt (z. B. „Sache“ = körperlicher Gegenstand, § 90 BGB) und für viele Fälle gedacht. Entsprechend abstrakt ist der Streit darüber zu führen.

Zulässige/geeignete Begründungsmittel:
Rechtsnormen, Lehrsätze, allgemeine Rechtsregeln, Denk- und Naturgesetze, anerkannte Lebensregeln.

Problematisch:
Eine Definition mit einem Einzelfall „widerlegen“ zu wollen. Beispiele belegen keine allgemeinen Sätze.

Richtig einsetzen:

  • Beispiele illustrieren (Pathos), beweisen aber nicht (Logos).

  • Für Begriffsentwicklung nutzbar (Fallreihe → gemeinsame Merkmale → Oberbegriff).

  • Fallreihen stützen Ergebnisse, ersetzen aber keine Regelbildung; achten Sie auf Ordnung, Vergleichbarkeit, klare Aussage.

Praxis-Hinweis – immer fallbezogen:
Auch im Meinungsstreit jede Ansicht subsumtiv auf den konkreten Fall anwenden. Vermeiden Sie „Höhenflüge“ ohne Fallbindung.

Kurzsubsumtion:
„Folgt man dem Herztodkriterium, hat B zum Eingriffszeitpunkt noch gelebt.“ → unmittelbare Auswirkung auf die Strafbarkeit des A.


d) Definition und Auslegung

Zweckunterschied

  Definition Auslegung
Gegenstand Alle Begriffe Begriffe in Rechtsnormen, Verträgen, Willenserklärungen
Anlass Begriff zu abstrakt Bedeutung unklar/mehrdeutig
Ziel Konkretisieren Verstehen
Quelle Rechtssystem/Dogmatik rechtsnormativer Text (Wortlaut/Wille)

Grundlagen im BGB AT:

  • § 133 BGB: wirklicher Wille bei WE.

  • § 157 BGB: Verträge nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte.
    (plus: zahlreiche Spezialauslegungsregeln)

Abgrenzung:
Auslegbar sind gesetzlich verankerte Begriffe. Systembegriffe der Lehre (z. B. Stückschuld) werden definiert, nicht „ausgelegt“. Auslegung setzt Unklarheit über den vom Urheber gewollten Sinn voraus.

Beispiel – Definition vs. Auslegung

  • Obersatz (Definition):
    Fraglich ist, ob V mit seiner E-Mail („mein spirituellstes Werk“) ein Angebot i. S. d. § 145 BGB abgegeben hat.
    Angebot = auf Vertragsschluss gerichtete, empfangsbedürftige WE, so bestimmt, dass sie durch „Ja“ angenommen werden kann.

  • Obersatz (Auslegung §§ 133, 157 BGB):
    Die Wendung „spirituellstes Werk“ ist mehrdeutig. Nach Gesamtzusammenhang (E-Mail spricht ansonsten nur vom Bild „Tau und Totem“) versteht ein objektiver Empfänger in der Lage des K, dass damit dieses Bild gemeint ist.
    → Erklärung des V war auf Verkauf des Bildes „Tau und Totem“ zu 600 € gerichtet; Annahme genügte.


Auslegungsmethoden (Savigny-Kanon) und normbezogene Interpretationen

  • Grammatisch (Wortlaut)

  • Systematisch (Stellung/Bezüge)

  • Historisch (Entstehungsgeschichte)

  • Teleologisch (Sinn und Zweck)

Ergänzend: verfassungskonforme und unions-/richtlinienkonforme Auslegung.

Kurzfall – OLG Koblenz („Vorführwagen“ ≠ „neu“ i. S. d. Pkw-EnVKV)

Kern: Ein als Vorführwagen genutztes Fahrzeug ist kein „neuer Personenkraftwagen“ i. S. v. § 2 Abs. 1 Nr. 2 Pkw-EnVKV; daher keine Pflicht zur Angabe von Verbrauch/CO₂ wie bei Neuwagen.

  • Grammatisch: „neu“ = ungebraucht, nicht im Straßenverkehr genutzt. Vorführwagen: gefahren → nicht „neu“. Tageszulassung: nicht gefahren → „neu“.

  • Systematisch/zivilrechtliche Bezugspunkte: BGH zum Neuwagen = „fabrikneu“; gefahrene Fahrzeuge sind es regelmäßig nicht.

  • Unionsrechtlich/richtlinienkonform: nationale Norm im Lichte der RL 1999/94/EG auszulegen; EuGH („Nissan“) grenzt Neu/Gebraucht ebenfalls am Ingebrauchnehmen.

  • Historisch: Materialien geben keine Ausdehnung auf Vorführwagen her; Tageszulassungen werden als „neu“ akzeptiert, Vorführwagen nicht.

  • Teleologisch: Zweck ist vergleichbare Verbraucherinformation; Vergleichbarkeit setzt fehlende Nutzung voraus.

Merke: In der Praxis wird Auslegung oft knapp gehandhabt; Gerichte klären Begriffe häufig über Definitionen mit Nachweisen. Für Prüfungen: Methoden sauber darstellen, aber fallbezogen gewichten.


4. Subsumtion

Nach Definition/Auslegung ist die Brücke gebaut: Der abstrakte Begriff ist konkret genug, um den Sachverhalt darunter zu fassen.

Vorgehen:

  1. Sachverhaltsteil neutral wiedergeben (ohne Wertung).

  2. Zuordnen, warum die Voraussetzungen/Definition erfüllt sind (oder nicht).

  3. Zwischenergebnis bilden.

Beispiel (Angebot):

In der Gaststätte Casa mia erklärt K am 12. Juni erneut Kaufinteresse. V zeigt eine Goldmünze und fragt: „Möchten Sie die kaufen?“ Auf Ks Nachfrage nennt V „950 € – 1 Unze Krügerrand, reines Gold“.

Subsumtion:

  • Bestimmtheit: Münze, Preis, Gegenstand → bestimmbar.

  • Gerichtetheit: Abschlusswille erkennbar (kein bloßes invitatio).
    Angebot (+).

Formelhaft:
Definiens (+) ⇒ Subsumtion (+) ⇒ Voraussetzung (+) ⇒ Ergebnis (+).


Beispiel – Angebot (Obersatz/Definition/Subsumtion/Ergebnis)

Obersatz:
V könnte ein Angebot abgegeben haben.

Definition:
Ein Angebot ist eine auf Vertragsschluss gerichtete empfangsbedürftige Willenserklärung. Es enthält die essentialia negotii (Vertragspartner, Leistung, Gegenleistung). Indiz: Es kann mit einem einfachen „Ja“ angenommen werden.

Subsumtion:
V fragt K – nach zuvor geäußertem Kaufinteresse – in der Casa mia, ob K seine Goldmünze Krügerrand, 1 Unze, für 950 EUR haben wolle. Damit sind Vertragspartner, Leistung (Verkauf der Münze) und Gegenleistung (950 EUR) bestimmt. Die Erklärung war so bestimmt, dass K sie mit einfachem „Ja“ annehmen konnte.

Ergebnis:
V hat ein vollständiges Angebot abgegeben.


a) Ort der Subsumtion

Subsumiert wird praktisch nicht direkt unter den Gesetzestatbestand, sondern unter die konkretisierten Merkmale (Definition/Auslegung) der tiefsten Gliederungsebene.

Beispiel – Wegnahme (§ 242 StGB):
Tatbestandsmerkmale: Wegnahme – fremde – bewegliche – Sache.
In der Prüfung wird „Wegnahme“ regelmäßig definiert:
Wegnahme = Bruch fremden Gewahrsams und Begründung neuen, nicht notwendig tätereigenen Gewahrsams.
→ Subsumtion unter Bruch, fremder Gewahrsam, neuer Gewahrsam (ggf. Meinungsstreit zum Gewahrsamsbegriff mit Entscheidung).

Merke:
Im Zweifel eine Definition zu viel – besonders bei umstrittenen Kernbegriffen (z. B. Gewahrsam).


b) Bezug auf den Sachverhalt

Das herangezogene Tatsachenelement muss präzise und rechtsmerkmalbezogen formuliert sein – ohne Umformung des SV.

Textvarianten (Angebot):

  • Wörtliche Abschrift des SV – unnötig und unübersichtlich.

  • ⚠️ Zu viel Beiwerk (Pizza, Datum), wenn es rechtlich nichts trägt.

  • Treffend zugeschnitten:
    „Nach bekundetem Kaufinteresse fragte V den K, ob er die Goldmünze (Krügerrand, 1 Unze) für 950 EUR haben wolle.“

Beispiel Strafrecht – Grausamkeit (§ 211 Abs. 2 StGB):

Obersatz: Möglicherweise liegt Grausamkeit vor.
Definition: Grausam tötet, wer dem Opfer aus gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung Leiden nach Dauer/Stärke/Wiederholung zufügt, die über das zur Tötung Erforderliche hinausgehen.
Subsumtion (richtig): Verhungern ist ein langwieriger, qualvoller Prozess mit anhaltenden Schmerzen und Todesangst; B erlitt über längere Zeit Leiden weit über das zur Tötung Erforderliche.
Ergebnis: Merkmal Grausamkeit (+).
(❌ Falsch wäre die bloße Wiederholung der Rechtsbegriffe ohne Tatsachenbezug.)


c) Die Zuordnung

Am Ende steht die begründete Zuordnung: Sachverhaltselement ↔ rechtliches Merkmal.

Kurzbeispiel:
„Vertragspartner, Leistungs- und Gegenleistungsbestimmung sind erkennbar; die Erklärung war mit einfachem ‚Ja‘ annehmbar.“ → Angebot (+).

Vereinfachung möglich, wenn die Zuordnung evident ist (Zusammenfassen, kurze Feststellung) – aber gedanklich müssen alle Stationen durchlaufen sein.

Mini-Beispiele:

  • Fremdheit:
    Fremd = Eigentum/Miteigentum eines anderen.
    Orchidee gehörte B → fremde Sache (+).

  • Kompaktprüfung (unproblematisch):
    „Das Tatobjekt müsste eine fremde Sache sein. Die Orchidee stand im Eigentum des B.“ → ausreichend.

Wenn eine Lücke bleibt:
ausführlicher zuordnen, ggf. neue Obersätze (z. B. Auslegung von „haben“ = „kaufen“ gem. §§ 133, 157 BGB).


5. Ergebnis

Am Ende jedes Prüfungsblocks steht die entschiedene Antwort (nicht hypothetisch, ohne „dürfte/wohl“).

Beispiel (Hauptfrage):
Obersatz: V könnte gegen K gem. § 433 II BGB einen Anspruch auf 950 EUR haben.
Endergebnis: V hat gegen K gem. § 433 II BGB einen Anspruch auf 950 EUR.

Zwischenergebnisse (weitere Obersätze):

  • „V hat ein Angebot abgegeben.“

  • „Das Tatobjekt ist eine Sache.“

  • „V hat eine Willenserklärung abgegeben.“

Merke:
Auch wenn spätere Abschnitte relativieren (z. B. Verjährung), wird zunächst klar festgestellt, danach getrennt geprüft:

  • ✅ „V hat einen Anspruch… Dieser könnte jedoch verjährt sein.“

  • ❌ „V hat einen Anspruch, soweit er nicht verjährt ist.“


Exkurs: Anspruchsaufbau (Zivilrecht)

I. Entstanden?
– TB-Voraussetzungen (+/–)
rechtshindernde Einwendungen (z. B. § 105, § 138, § 125, § 117, § 134 BGB)

II. Untergegangen?
rechtsvernichtende Einwendungen (z. B. § 362, § 389, § 275, § 397, § 346, § 158 II BGB)

III. Durchsetzbar?
rechtshemmende Einreden (z. B. § 214, § 205, § 273, § 320 BGB)


6. Die weiteren Obersätze

Regel: Jede neue juristische Frage erhält einen eigenen Obersatz—knapp, klar, ohne sofortige Normnennung (die Merkmale folgen als Definition).

Beispiele:

  • „Fraglich ist, ob es sich um ein Angebot handelt.“

  • „Zu prüfen ist, ob das Tatobjekt eine Sache ist.“

  • „E müsste Eigentümer, B Besitzer sein.“

  • „Fraglich ist, ob der Widerruf rechtzeitig zugegangen ist.“

  • „Die Klage müsste begründet sein.“

Struktur darunter:
implizite Prämisse → DefinitionSubsumtionZwischenergebnis.


7. Sinn fürs Wesentliche

Juristische Darstellung spart Wörter und überspringt Selbstverständliches; für Laien schwer, für Klausuren normal. Wichtig ist die Balance:

  • Wesentliches: ausführlich, im vollen Gutachtenstil.

  • Sekundäres: kurz streifen.

  • Evidentes: knapp feststellen.

Anfänger-Regel: zunächst jedes Merkmal ansprechen; mit Übung selektiv verkürzen (teilweise in Urteilsstil wechseln).

Wie erkenne ich das Wesentliche?

  • Sachverhalt: Signalwörter/Indizien (z. B. „B schlief“ → Heimtücke-Problem).

  • Dogmatik: bekannte „Hotspots“ des Gebiets.

Beispiel (Tötungsdelikte):
SV: „A erstickt B im Schlaf.“
Unwesentlich: „Mensch“ i. S. d. §§ 211, 212.
Wesentlich: Heimtücke (Arg- und Wehrlosigkeit, Streit zum Schlafenden) → gründlich prüfen.

Merke:
Judiz (Sinn fürs Wesentliche) wächst mit Rechtskenntnis, Fallroutine und der Fähigkeit, mit Unvollständigem methodisch umzugehen.