A. Überblick Bürgerliches Gesetzbuch

I. Geschichte des BGB

Eine wesentliche Quelle des deutschen Zivilrechts ist das römische Recht. Unter der Herrschaft des Kaisers Justinian (527–565 n. Chr.) wurde der »corpus iuris« (nicht zu verwechseln mit dem kirchlichen »corpus iuris canonici«) verfasst, der eine Aufstellung aller zwischen 527 und 534 n. Chr. in Kraft gesetzten Rechtsquellen umfasst. Er setzt sich im Wesentlichen zusammen aus:

  • Codex (kaiserliche Gesetze)
  • Digesten oder Pandekten (Juristenschriften)
  • Institutionen (Lehrbuch)
  • Novellen (neue Gesetze aus dem 6.–8. Jh.)

Deutsche Rechtsquellen des BGB bilden unter anderem das germanische Stammesrecht in Form von überlieferten Rechten sowie das Lehnsrecht (vgl. »Sachsenspiegel« – umfasste Landrecht und Lehnsrecht; Entstehung 1220–1235).

Nachdem der »corpus iuris« mit dem Zerfall des Römischen Reiches in Vergessenheit geriet, wurde er im 11. Jahrhundert in Form einer Handschrift (sog. »Littera Florentina«) wiederentdeckt. Im Mittelalter fand dann eine Rezeption des römischen Rechts durch kaiserlichen Akt (Heiliges Römisches Reich deutscher Nationen bis 1815) statt. Auf diese Weise sollten erstmals die praktischen Vorteile eines einheitlichen Rechts anstelle zersplitterter Land-/Stadtrechte genutzt werden. Weitergebildet wurde das Recht durch sog. Glossatoren (Rechtsgelehrte) und Kommentatoren. Die letzten Gesetze wurden schließlich durch Heinrich den VII. im 14. Jahrhundert eingefügt. In Deutschland galt der »corpus iuris civilis« (erst im Mittelalter wurde diese Bezeichnung gewählt) in manchen Gebieten bis zum Inkrafttreten des BGB und kann im gesamten Kontinentaleuropa als maßgebliche Rechtsquelle angesehen werden. Eine Vielzahl an Rechtsbegriffen des geltenden Zivilrechts entstammt noch heute direkt dem »corpus iuris civilis«.

Weiterentwickelt und kodifiziert wurde das römische Recht im 17. und 18. Jahrhundert zum

– Preußisches Allgemeines Landrecht von 1794 (PreußALR; vgl. »Naßauskiesungsbeschluss« BVerfGE 58, 300) – Code Civil von 1804 (in den Rheinbundstaaten; gilt noch heute in Frankreich) – öABGB von 1811 (gilt ebenfalls noch heute; stärker römisch-rechtlich geprägt als die anderen Kodifikationen)

Diese Zersplitterung des Zivilrechts wurde jedoch weniger und weniger den Ansprüchen des steigenden Handels zwischen den damals noch selbstständigen deutschen Staaten gerecht. Während in der Wissenschaft grundsätzliche Einigkeit zur Schaffung eines einheitlichen Zivilrechts bestand, war den Weg dahin doch umstritten. Während Anton Friedrich Justus Thibaut bereits 1814 nach Ende der Besatzung durch Napoleon für eine einheitliche Kodifizierung aussprach, konnte sich letztlich Friedrich Carl von Savigny im Rahmen des sog. Kodifikationenstreits mit seiner Forderung durchsetzen, zunächst das römische Recht umfassend zu systematisieren. Mit Gründung des Deutschen Reiches (18,1,1871) verstärkten sich die Bestrebungen nach einem einheitlichen Privatrecht. Nach umfassende Diskussion der Vorschläge der Ersten Kommission 1888 (sog. Motive) und der Zweiten Kommission 1895 (sog. Protokolle) wurde das beschlossene BGB am 18.8.1896 von Kaiser Wilhelm II ausgefertigt und trat am 1.1.1900 in Kraft (Art. 1 Abs. 1 EGBGB). Damit bildete das BGB zusammen den zeitgleich in Kraft getretenen ZVG, GBO und FGG den vorläufigen Schlussstrich unter die Rechtsvereinheitlichung im Deutschen Reich, die 1866 mit der Regelung des Wechsel- und Handelsrecht begann und 1879 mit den Reichsjustizgesetzen (u.a. GVG, ZPO und StPO) ihren Höhepunkt fand.

Leitideen des BGB waren und sind die Gleichheit aller am Privatrechtsverkehr teilnehmenden Personen und die Vertragsfreiheit (Privatautonomie = Abschluss- und Inhaltsfreiheit). Sie lässt sich aufspalten in Vertrags-, Testier-, Eigentums- und Vereinigungsfreiheit. Auf der Grundlage der Privatautonomie wurde das BGB durch Rechtsprechung

und Wissenschaft stetig weiterentwickelt und schon während der Kaiserzeit und Weimarer Republik durch Schutzvorschriften zugunsten wirtschaftlich Schwächerer ergänzt.

Die Nationalsozialisten nutzten die Generalklausel des § 242 BGB (Treu und Glauben) als Einfallstor und änderten das Familien- und Erbrecht in ihrem Sinne. 1946 fand eine Entnazifizierung durch den alliierten Kontrollrat statt.

Im Laufe der Jahre wurde das BGB dann immer wieder ergänzt, z.B. durch die Gleichstellung von Mann und Frau, das Eherecht etc. Die Änderungen wurden überwiegend im BGB, zum Teil aber auch bewusst außerhalb in Nebengesetzen vorgenommen (AGB-Gesetz; Verbraucherschutzgesetze, AGG etc.). Die letzte und umfassendste Reform erlebte das Zivilrecht zum 1.1.2002 im Zuge des sog. Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, durch das der Verbraucherschutz reintegriert, das gesamte Leistungsstörungsrecht reformiert (Anlehnung an UN-Kaufrecht; „Pflichtverletzung" als Kernbegriff) und das Verjährungsrecht neugeordnet wurde.

II. Verortung des BGB-AT

Ziel des Zivilrechts ist die Schaffung eines Rechtsrahmens, der es Individuen in einem Gemeinwesen (Beziehung zwischen den einzelnen gleichgeordneten Mitgliedern der Gemeinschaft) ermöglicht, sich bestmöglich – unter Berücksichtigung (gruppen-)spezifischer Besonderheiten - zu entfalten. Dieser Rechtsrahmen umfasst dabei sowohl geschriebenes (formales) wie auch ungeschriebenes Recht (sog. Gewohnheitsrecht) und die durch die Rechtsprechung vorgegeben Leitlinien. Beeinflusst durch von Wissenschaft und Rechtsprechung erarbeitete Leitlinien ist es dabei Aufgabe von Politik aller Ebenen (aber auch der Bürgerinnen und Bürger selbst), diesen Rechtsrahmen stetig fortzuentwickeln.

Zum entsprechenden Verständnis der Begriffsabgrenzung.

„Interaktion“ dieser verschiedenen Ebenen bedarf es zunächst einer

1. Verhältnis zum Europa-, Verfassungs- und Landesrecht

Verfassungsrecht umfasst sowohl die im Grundgesetz festgelegten Grundsätze wie auch die mit Gesetzeskraft versehenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Es schafft und ergänzt die privatrechtlichen Regelungen (jedenfalls heute, da Bürgerliches Recht älter als Verfassungsrecht ist). Die Grundrechte sind insoweit nicht nur Abwehrrechte, sondern stellen im Zivilrecht zu beachtende Wertentscheidungen dar (»Pflicht zur Inhaltskontrolle« – BVerfGE 89, 224). Durch die Verfassungsbeschwerde (u.a.) ist eine Kontrolle/Einwirkung durch das BVerfG ermöglicht.

Auch wenn eine Grundrechtsbindung grundsätzlich nur für staatliche Organe besteht, so finden sich u.a. in §§ 138, 242, 826 BGB Einfallstore, die Kenntnisse und Anwendung von verfassungsrechtlichen Grundsätzen auch im Zivilrecht nötig machen (sog. Drittwirkung der Grundrechte).

Europäisches Recht, genauer das Recht der Europäischen Union, genießt grundsätzlich Vorrang vor nationalen Rechtsnormen. Nur in besonderen Ausnahmefällen hat sich das Bundesverfassungsgericht vorbehalten, die Vereinbarkeit von EU-Recht mit dem Grundgesetz zu überprüfen (sog. SOLANGE-Rechtsprechung).

Bundesrecht (z.B. BGB) bricht Landesrecht (Art. 31 GG), sofern dies nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist.

2. Verhältnis öffentliches Recht – privates Recht

Unter Privatrecht versteht man die Regelung der (freiwilligen) Gleichordnung im Verhältnis zu anderen Rechtssubjekten, typischerweise durch Verträge (z.B. Kauf-, Miet-, Arbeitsvertrag). Auf ein wirtschaftliches Gleichgewicht kommt es insoweit nicht an.

Das öffentliche Recht hingegen regelt die Rechtsbeziehungen zwischen Bürger und Staat, bei dem notwendig ein Beteiligter eine staatliche Institution ist (entscheidend bei Rechtsweg: § 40 VwGO). Gekennzeichnet ist das öffentliche Recht regelmäßig durch

  • Über-/Unterordnungsverhältnis
  • Handeln durch Verwaltungsakt (z.B. Steuerbescheid)

Zum öffentlichen Recht zählen auch das Strafrecht und das Verfahrensrecht (ZPO, StPO), obgleich zumindest ersteres in der Ausbildung eine eigene »Säule« bildet. Zudem ist zu beachten, dass in vielen „Spezialgesetzen“ die Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Recht verschwimmt. So sind z.B. im WpHG neben klaren Marktordnungsregelungen auch gesellschaftsrechtliche Normen enthalten.

Zu beachten ist, dass aber auch der Staat privatrechtlich handelt, soweit er derartige Rechtsbeziehung eingeht (z.B. Anschaffung von Behördeninventar).

3. Bürgerliches Recht und Privatrecht

Diese Begriffe wurden nicht immer gleichbedeutend gebraucht. Nach dem heutigen Verständnis ist Privatrecht der Oberbegriff zum Bürgerlichen Recht, das insoweit dessen Kernbereich bildet. Dazu gehören:

– Handelsrecht (»Sonderprivatrecht« der Kaufleute) – Verbraucherschutzrecht (»Sonderprivatrecht« für besonders schutzbedürftige Teilnehmer der Privatrechtsordnung; str.,

da nun ins BGB eingefügt)

Im weiteren Sinne gehören dazu auch:

  • Gesellschaftsrecht
  • Recht des geistigen Eigentums (UrhG, PatG, MarkenG)
  • Wettbewerbs- und Kartellrecht
  • Arbeitsrecht

4. Bürgerliches Recht und Verfahrensrecht

Das Bürgerliche Recht (materielle Recht) regelt nur die Frage, wie »die Rechtslage ist«, also, ob jemand z.B. Eigentümer, Erbe etc. ist oder jemand einen Anspruch hat (§ 194 Abs. 1 BGB).

Die Durchsetzung der materiellen Rechtsposition wiederum regelt das Verfahrensrecht (formelle Recht), durch z.B.:

  • Erkenntnisverfahren (Klage oder Mahnbescheid)
  • Vollstreckungsverfahren
  • oder Schiedsverfahren anstelle des Erkenntnisverfahrens

Unter praktischen Gesichtspunkten kann ein Recht/Anspruch nicht abschließend bewertet werden, wenn nicht auch die prozessuale Durchsetzbarkeit geprüft wurde. Hier kommt es vor allem an auf

  • Beweisbarkeit der streitigen Tatsachen,
  • Kosten des Prozesses.

Die Schwierigkeit in der deutschen Juristenausbildung ist die Trennung dieser beiden Gebiete. In den USA ist dies beispielsweise anders.

5. Die Stellung des Allgemeinen Teils im System des BGB

Das BGB besteht aus insgesamt fünf Büchern, wobei der Allgemeine Teil im 1. Buch (§§ 1– 240 BGB) den übrigen Regelungsbereichen vorangestellt ist. Das BGB-AT will solche Frage regeln, die für alle Bereiche des BGB von Bedeutung sind, indem es sie vor die Klammer zieht (Vermeidung von Doppelregelungen). Es beansprucht dementsprechend Geltung für alle Teile des BGB, und teilweise sogar darüber hinaus. Eine Schwierigkeit an diesem System ist, dass InzidentVerweise auf den AT in den folgenden Büchern nicht ausdrücklich genannt sind.

Das Schuldrecht (2. Buch, §§ 241 – 853 BGB) – ebenfalls unterteilt in einen allgemeinen und einen besonderen Teil – regelt die einzelnen Vertragstypen sowie die ungerechtfertigte Bereicherung (§§ 812ff. BGB) und das Deliktsrecht (§§ 823ff. BGB).

Das Sachenrecht (3. Buch, §§ 854 – 1296 BGB) regelt dingliche Rechtspositionen wie Eigentum und Besitz sowie dingliche Rechte an diesen Positionen wie Dienstbarkeiten und Pfandrechte. Insbesondere werden der Erwerb und die Übertragung dieser Rechte normiert. Damit legt das Sachenrecht die Vollziehung der davon deutlich zu unterscheidenden schuldrechtlichen Verpflichtungen fest (»Abstraktionsprinzip«).

Im 4. Buch (§§ 1297 – 1921 BGB), dem Familienrecht, werden Eheschließung/-scheidung, das Eltern-Kind Verhältnis, die Adoption und die Betreuung geregelt.

Das Erbrecht als 5. Buch (§§ 1922 – 2385 BGB) regelt den Übergang von Rechten und Vermögensgegenständen des Ablebenden auf seine Rechtsnachfolger.

III. Objektives und subjektives Recht

Die Rechtsfähigkeit einer Person bedeutet die Fähigkeit, Träger von Rechten (und Pflichten) sein zu können. Diese Rechte lassen sich unterteilen in objektive und subjektive Rechte.

1. Objektives Recht

Objektives Recht umfasst die Summe aller Rechtsnormen (Gesetze, Verordnungen, Satzungen, Gewohnheitsrecht). Das objektive Recht schafft Rechtsverhältnisse zwischen

  • Personen (den Rechtssubjekten) oder
  • Personen und Rechtsobjekten,

die entstehen durch

  • Rechtsgeschäfte (insbesondere Vertrag) oder
  • Gesetz (z.B. § 823 BGB bei einer Körperverletzung etc.).

2. Subjektive Rechte

Das subjektive Recht hingegen bezeichnet die dem Einzelnen zustehenden Rechte aus dem Gesamtkatalog der objektiven Rechte. Ob und mit welchem Inhalt also ein subjektives Recht besteht, legt somit das objektive Recht als Summe aller Rechtsnormen fest. Das subjektive Recht ist damit nur ein personenbezogener Ausschnitt des objektiven Rechts. Subjektive Rechte lassen sich wie folgt einteilen:

– Persönlichkeitsrechte (höchstpersönlich, absolut) – Recht auf körperliche Unversehrtheit (Grenze des § 226 StGB) – Eigentum (absolut) – Ansprüche (§ 194 Abs. 1 BGB; relativ) – Gestaltungsrechte (z.B. Anfechtung, Minderung, Rücktritt) – Mitwirkungsrechte

Der Erwerb dieser subjektiven Rechte kann originär oder derivativ erfolgen.

  • Derivativer Erwerb: Ein derivativer (abgeleiteter) Erwerb liegt vor, wenn das Recht von einem Rechtsvorgänger

erworben wird, z.B. durch Übereignung (§ 929 BGB), Abtretung (§ 398 BGB) oder im Erbfall (§§ 1922, 1967 BGB).

  • Originärer Erwerb: Bei einem originären Erwerb hingegen wird die subjektive Rechtsposition nicht von einem Rechtsvorgänger abgeleitet, sondern entsteht erst mit dem Erwerb. Beispiele sind die Begründung einer Forderung durch Vertragsschluss, der Eigentumserwerb durch Verarbeitung (§ 950 Abs. 1 BGB) oder durch Aneignung einer herrenlosen Sache (§ 958 BGB).

Subjektive Rechte können erlöschen durch:

  • Verzicht und Erlass (§ 397 BGB)
  • Erfüllung (§ 362 BGB) Aufrechnung (§ 387 BGB)
  • Zeitablauf (Frist)
  • Tod (vgl. Nießbrauch, § 1061 BGB)
  • Untergang des Gegenstandes (bei Herrschaftsrechten)
  • Übertragung auf Dritte

Die subjektiven Rechte werden aber nicht grenzenlos gewährleistet. Das Recht des einen reicht nur soweit, wie es nicht in die Rechte anderer eingreift (vgl. für das Eigentum §§ 907ff. BGB und Art. 14 GG). Der Schutz erfolgt idR durch den Staat (Gewaltmonopol), mit Ausnahme der gesetzlich normierten Schutzrechte wie der Notwehr (§ 227 BGB) und dem Notstand (defensiv § 228 BGB; aggressiv § 904 BGB). Die Grenze der subjektiven Rechte liegt insofern bei der Schikane (§ 226 BGB), einer unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB, § 826 BGB) und der Verwirkung.

IV. Rechtssubjekte und Rechtsobjekte

Wie bereits angedeutet, ist weiterhin zwischen dem Rechtssubjekt (Träger von Rechten und Pflichten) und dem Rechtsobjekt (Gegenstand von Rechten und Pflichten) zu unterscheiden.

Rechtssubjekte & Rechtsobjekte

Träger von Rechten und Pflichten

Gegenstand rechtlicher Herrschaftsmacht

Natürliche Personen Juristische Personen

Sachen Immaterialgüter & Rechte

Nasciturus & Tote Korporationen

Ideen – Parklücke Strom

1. Rechtssubjekte

Unter Rechtssubjekten versteht man sowohl natürliche wie auch juristische Personen:

Natürliche Personen (Menschen): – Rechtsfähigkeit: Ist die Fähigkeit eines Menschen, Träger von Rechten und Pflichten zu sein. Sie beginnt mit der Vollendung der Geburt (§ 1 BGB) und endet mit dem Tod. Der sog. Nasciturus ist nicht rechtsfähig, jedoch knüpfen bestimmte Tatbestände an seine Existenz an (vgl. § 844 Abs. 1 Satz und § 1923 Abs. 2 BGB)

– Handlungsfähigkeit: Ist die Fähigkeit, durch eigene Handlungen Rechte und Pflichten -begründen zu können. Dabei ist weiter zwischen der Geschäftsfähigkeit (Fähigkeit, durch eigene Willenserklärungen Rechte und Pflichten zu begründen; vgl. §§ 104ff. BGB) und der Deliktsfähigkeit (Fähigkeit, durch eigenes tatsächliches Verhalten Pflichten zu begründen, vgl. §§ 828f. BGB) zu unterscheiden.

  • Realaktsfähigkeit

Gemeinschaften natürlicher Personen: – Bruchteilsgemeinschaften – Gesamthandsgemeinschaften (OHG, KG, EWIV, PartG, GbR)

Juristischen Personen: – Grundform »eingetragener Verein« (§ 21)

  • AG (§ 1 AktG)
  • Genossenschaften (§ 17 Abs. 1 GenG)
  • GmbH und UG (haftungsbeschränkt) (§ 13

GmbHG)

  • KGaA (§ 278 AktG)
  • Stiftung (§ 80 BGB)
  • Verselbständigte Vermögensmassen
  • juristische Personen des öffentlichen Rechts:
  • SE (Art. 1 Abs. 3 SE-VO)
  • SCE (Societas Cooperativa Europaea)
  • Ausländische juristische Personen

(gem. Art. 43 EGV) jeweils nach ihrem Auslandsstatut

  • Körperschaften („KöR“)
  • Personenzusammenschlüsse (z.B. Bundesrepublik Deutschland) -> Mitgliedschaftliche

Organisation

  • Anstalten („AöR“)
  • Bündelung von Sachmitteln und Personen zu Erreichung eines bestimmten Zwecks -> hat

Benutzer • Stiftungen

Als rechtsfähig anerkannte Personengesellschaften (vgl. § 14 Abs. 2 InsO)

oHG (§ 124 HGB)

  • KG (§§ 161 Abs. 2 iVm 124 HGB)
  • PartG (§§7 Abs. 2 PartGG iVm 124 HGB)
  • Reedereien (§ 493 Abs 3 HGB)
  • EWIV (Art. 1 Abs. 2 EWIV-VO)
  • Außen-GbR (BGHZ 146, 341 = NJW 2001,

2056)

  • WEG (§ 10 Abs. 6 WEG)

(cid:1) Probleme

o Rechtsqualität der GbR (§§ 705 ff. BGB) o Rechtsqualität von nicht-rechtsfähigen Vereinen (§ 54 BGB)

Entgegen dem Wortlaut des § 54 Abs. 1 BGB, der in seinem Entstehungskontext zu sehen ist, finden auf den nicht-rechtsfähigen Verein nicht die Vorschriften über die GbR Anwendung sondern vielmehr – solange diese nicht auf die Eintragung abstellen – die Vorschriften über den eingetragenen Verein. Davon ist die Handelndenhaftung, § 54 Abs. 2 BGB ausgenommen, die tatsächlich auch bei nicht-rechtsfähigen Vereinen Anwendung findet und aufgrund seiner fehlenden zeitlichen Begrenzung weit über die Handelndenhaftung z.B. bei der GmbH hinaus geht (vgl. § 11 Abs. 2 i.V.m. § 13 Abs. 2 GmbHG, BGHZ 80, 129, 137 ff.).

Weiterhin lassen sich die Rechtssubjekte auch nach ihrer Erfahrung bzw. ihrer Schutzbedürftigkeit einteilen: – Bürger (Normalfall) – Verbraucher (§ 13 BGB) – Unternehmer (§ 14 BGB) – Gewerbetreibende (im deutschen Recht der Kaufmann, § 1 HGB)

2. Rechtsobjekte

Unter Rechtsobjekten wird alles zusammengefasst, was nicht Rechtssubjekt sein kann. Darunter fällt alles, was vom Menschen beherrschbar ist und ihm von der Rechtsordnung zugeordnet werden kann. Rechtsobjekte teilen sich in körperliche und nicht körperliche Gegenstände.

Körperliche Gegenstände (Sachen, § 90 BGB):

  • de facto auch Tiere (vgl. § 90a Satz 3 BGB)
  • bewegliche und unbewegliche Sachen
  • vertretbare (z.B. Schönfelder) und unvertretbare (z.B. Ölgemälde) Sachen (§ 91 BGB)
  • verbrauchbare bewegliche Sachen (§ 92 BGB)

Nicht körperliche Gegenstände (Rechte): – absolute Rechte (z.B. Eigentum) – relative Rechte (z.B. Forderungen)

Bestandteile, §§ 93ff. BGB – wesentlicher Bestandteil (dann, wenn Abtrennung nicht möglich ist, ohne dass der andere Teil zerstört oder in seinem

Wesen verändert wird, z.B. Autolack)

  • unwesentlicher Bestandteil (z.B. Autoreifen)

Zubehör, § 97 BGB (dient dem Zweck der Hauptsache, ohne Bestandteil der Hauptsache zu sein)

Nutzungen, § 100 BGB (der substanzverzehrende Verbrauch/Verarbeitung der Sache, vgl. »Jungbullenfall« BGHZ 55, 176) – Früchte (§ 99 BGB) – Gebrauchsvorteile (§ 100 BGB)

V. Auslegungsmethoden

Der Erklärungswert einer Willenserklärung, eines Vertrages oder einer Norm immer klar erkennbar. Vertragsparteien können unklare Formulierungen verwenden oder schlichtweg einen Vertragsbestandteil nicht explizit geregelt haben. Zur Ermittlung des eigentlichen Erklärungswertes einer Willenserklärung, eines Vertrages oder einer Norm dient die Auslegung. Insofern lässt sich genauer zwischen der Auslegung einer Willenserklärung oder eines Vertrages und der Auslegung einer Norm unterscheiden.

ist nicht

1. Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen (§§ 133, 157 BGB)

Die Auslegung von Willenerklärungen und Verträgen dient dazu, den wirklichen Erklärungswert zu ermitteln. Durch diese wird festgestellt, ob überhaupt übereinstimmende Willens-erklärungen vorliegen und vor allem, mit welchem Inhalt. Zentrale Normen sind insoweit die §§ 133, 157 BGB.

  • Die Auslegungsregel des § 133 BGB betont dabei das subjektive Willensmoment des Erklärenden.
  • Die Auslegungsregel des § 157 BGB betont das objektivierte Verständnis des Erklärungsempfängers.

Ein gesonderte Ausführung für die Auslegung von Verträgen ist nicht nötig, da auch bei diesem die Erklärung der Vertragsparteien auszulegen sind.

Abb. 2

Auslegung einer Willenserklärung

1. Natürliche Auslegung Schutz des Erklärenden

Der wirkliche Wille des Erklärenden entscheidet

Anwendungsbereich: 1. nicht empfangsbedürftige WE 2. übereinstimmendes Parteiverständnis

2. Normative Auslegung Schutz des Rechtsverkehrs

ergänzende (Vertrags-) Auslegung:

Lückenfüllung

erläuternde Auslegung: Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont

3. Ausnahme: sog. »falsa demonstratio non nocet«

Die Abbildung zeigt das Grundsystem der Auslegung von Willenserklärungen. In der Falllösung wird man regelmäßig nur auf den Bereich der normativen Auslegung eingehen, da die natürliche Auslegung einseitig die Interessen des Erklärenden schützt. Zuvor sollte man feststellen, dass Auslegungsbedürftigkeit besteht. Hat die Willenserklärung nach Wortlaut und Zweck einen eindeutigen Inhalt, ist für eine Auslegung kein Raum.

Hier kann man zunächst nach dem objektiven Empfängerhorizont auslegen. Maßgeblich ist danach, wie die Erklärung objektiv aus Sicht eines verständigen, mit den Gegebenheiten des Sachverhalts Vertrauten Dritten auszulegen ist, §§ 133, 157 BGB.

Eine Ausnahme gilt dann, wenn beide Vertragspartner übereinstimmend dasselbe erklärt, jedoch objektiv etwas anderes gewollt haben. In diesem Fall ist die irrtümliche Falschbezeichnung (»falsa demonstratio non nocet«) unbeachtlich (vgl. »Haakjöringsköd«-Fall, RGZ 99, 147).

Sind einzelne Vertragsbestandteile unklar, dann bietet sich eine ergänzende (Vertrags-)Auslegung mit folgender Prüfungsreihenfolge an:

1. Regelungslücke: zunächst ist festzustellen, dass ein bestimmter Vertragsbestandteil nicht geregelt wurde.

2. Vorrang dispositiven Rechts: eine ergänzende Auslegung scheidet idR aus, wenn die Lücke über die Heranziehung dispositiven Rechts geschlossen werden kann (z.B.: § 612 Abs. 2 BGB für die Höhe der Vergütung; § 551 Abs. 1 BGB für die Höhe der Kaution)

3. Hypothetischer Parteiwille: Es ist darauf abzustellen, was die Parteien bei angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten. Abzustellen ist auf Wertungen und Regelung des Vertrages als Ausgangspunkt.

Die Grenze der ergänzenden Vertragsauslegung bilden die Privatautonomie und die Vertragstreue. Diese Grundsätze gilt es zu respektieren. Zu einer freien richterlichen Rechtsschöpfung darf es nicht kommen.

2. Auslegung von Normen

Zur Auslegung von Normen gibt es die folgenden Methoden. Kommt man in der Falllösung zu einer Auslegung, sollten möglichst mehrere Methoden genutzt werden, wobei es sich -regelmäßig anbietet, mit der grammatikalischen Auslegung zu beginnen.

  • Grammatikalische Auslegung (Wortlaut): Bei der grammatikalischen Auslegung wird die Norm möglichst nah an ihrem

Wortsinn gedeutet.

  • Historische Auslegung: Die historische Auslegung versucht anhand der Entwicklung der Norm (Gesetzesänderungen)

oder deren ursprünglicher Begründung die Norm zu deuten.

  • Systematische Auslegung: Hier wird zur Auslegung die Stellung im Gesetz, der Normcharakter, der Normaufbau etc.

herangezogen.

  • Teleologische Auslegung (Sinn und Zweck): Der Sinn der Norm wird anhand des Regelungsziels bestimmt.

Neben diesen klassischen Auslegungsmethoden (begründet von Savigny 1779–1861) haben sich die verfassungskonforme Auslegung, die gemeinschafts- und rechtsvergleichende Auslegung herausgebildet.

richtlinienkonforme Auslegung sowie die

B. Rechtsgeschäfte und Willenserklärungen

I. Überblick zum Rechtsgeschäft

Das Rechtsgeschäft ist das Kernelement zur Gestaltung der Privatrechtsordnung. Gesetzlich wird dieser Begriff im BGB nicht definiert. Er wird allgemein definiert als ein aus einer oder mehreren Willenserklärungen allein oder in Verbindung mit mehreren Tatsachen bestehender Tatbestand, an den die Rechtsordnung den Eintritt des in der Willenserklärung bezeichneten Erfolgs knüpft. Dabei ist es insofern irrelevant, ob es für den Eintritt des Erfolges noch der Mitwirkung eines Dritten, auch einer Behörde bedarf.

Das Rechtsgeschäft ist jedenfalls zunächst abzugrenzen von sog. Gefälligkeitshandlungen. Bei diesen ist gerade kein rechtlicher Erfolg gewünscht. Hierzu ist unter der Berücksichtigung von Treu und Glauben auszulegen, ob ein Rechtsgeschäft gewünscht war oder nicht. Valide Kriterien sind dabei u.a. die Bedeutung der vereinbarten Handlung auf der einen Seite und die entstehenden (Haftungs-)Risiken. Bei der Annahme einer Gefälligkeitshandlung kommt jedoch keine Reduktion des Haftungsmaßstabs bei deliktischen Ansprüchen in Betracht. Ein Vergleich mit anderen gefälligkeitsähnlichen Verträgen wie z.B. der Schenkung (§ 521 BGB) oder der Leihe (§ 599 BGB) geht insofern fehl als dass dem BGB kein Prinzip inne wohnt, dass bei unentgeltlichen Verträgen eine Haftungsreduzierung vorliegt (vgl. § § 662 BGB – Auftrag).

Die Rechtsgeschäfte lassen sich weiter in verschiedene Arten unterteilen:

1. Einseitige und zweiseitige Rechtsgeschäfte

Rechtsgeschäfte

Einseitige Rechtsgeschäfte

Mehrseitige Rechtsgeschäfte

  • Auslobung (§ 657 BGB)
  • Kündigung (§ 626 BGB)
  • Rücktritt (349 BGB)
  • Verträge zwischen zwei Personen (z.B. § 433 BGB)
  • Mehrseitige Verträge (z.B. GbR)

Ein einseitiges Rechtsgeschäft besteht lediglich aus einer Willenserklärung, z.B. Auslobung, Testament, Ausübung von Gestaltungsrechten (str. – auch als rechtsgeschäftsähnlich anzusehen). Ein Vertrag, der aus zwei (oder einer noch größeren Anzahl an) Willenserklärungen besteht, ist ein zweiseitiges Rechtsgeschäft. Zu den zweiseitigen Rechtsgeschäften zählen Verträge, Gesamtakte sowie Beschlüsse.

Notwendiger Bestandteil eines jeden Rechtsgeschäfts ist damit mindestens eine Willenserklärung.

2. Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfte

Weiterhin lassen sich Rechtsgeschäfte nach ihren Wirkungen differenzieren. Unter einem Verpflichtungsgeschäft versteht man ein Rechtsgeschäft, durch das die Verpflichtung zu einer Leistung begründet wird (z.B. schuldrechtlicher Vertrag). Ein Verfügungsgeschäft hingegen ist ein Rechtsgeschäft, durch das ein Recht unmittelbar übertragen, belastet, geändert oder aufgehoben wird (z.B. Übertragung von Eigentum oder als einseitiges Rechtsgeschäft die Dereliktion, § 959 BGB).

Abb. 4

Rechtsgeschäfte II

Verpflichtungsgeschäfte

Verfügungsgeschäfte

  • Versprechen einer Leistung
  • Rechtsfolge: Entstehen eines Schuldverhältnisses

(§ 241 BGB)

  • nur durch Rechtsinhaber möglich
  • kein guter Glaube
  • aber SE
  • Belastung (Hypothek)
  • Übertragung (§ 929 BGB)
  • Aufhebung (Wegerecht)
  • Änderung (Wohnrecht)
  • durch jedermann möglich
  • Schutz des Rechtsverkehrs durch gutgläubigen Erwerb

(§§ 932ff. BGB)

3. Kausale und abstrakte Geschäfte

Gehört der Rechtsgrund zum Inhalt eines Rechtsgeschäfts, dann handelt es sich um ein kausales Rechtsgeschäft, da der Rechtsgrund (die causa) der Zuwendung direkter Bestandteil des Rechtsgeschäfts ist (z.B. Kauf-, Werk-, Dienst-, Schenkungsvertrag). Andererseits spricht man von einem abstrakten Rechtsgeschäft, wenn die Bestimmung des Rechtsgrundes der Zuwendung nicht zum Inhalt gehört, da das betreffende Geschäft losgelöst, abstrahiert von seinem Rechtsgrund ist (z.B. abstraktes Schuldanerkenntnis (§781 BGB), Übereignung, Bestellung von Grundpfandrechten, Abtretung einer Forderung, etc.). Insbesondere kann auch § 139 BGB nicht zur Verknüpfung von abstrakten und kausalen Rechtsgeschäften herangezogen werden. Vielmehr sind beide insbesondere in Bezug auf ihre Wirksamkeit – Ausnahmen ausgenommen – getrennt voneinander zu betrachten (Abstraktions- und Trennungsprinzip).

II. Überblick zur Willenserklärung

Wegen des Grundsatzes der Privatautonomie kommt der Willenserklärung eine große Bedeutung im BGB zu. Die Willenserklärung ist das zentrale Instrument der privatautonomen Teilnahme am Rechtsverkehr.

Sie wird definiert als eine auf die Herbeiführung von Rechtsfolgen gerichtete private Willensäußerung.

Zu unterscheiden sind:

  • empfangsbedürftige Willenserklärungen: nach Gesetz gegenüber einem anderen abzugeben (vgl. § 143 Abs. 1 BGB)
  • nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen: schon im Moment der Abgabe wirksam, ohne dass jemand davon

Kenntnis nehmen muss (z.B. Testament, Auslobung)

III. Die Bestandteile der Willenserklärung

Notwendige Bestandteile einer fehlerfreien Willenserklärung sind der objektive Tatbestand (die Erklärung) und der subjektive Tatbestand (der Wille).

Abb. 5

Bestandteile einer Willenserklärung

Objektiver Tatbestand

Subjektiver Tatbestand

1. Willensäußerung

  • ausdrücklich
  • konkludent (schlüssig)

2. Rechtsbindungswille

fehlt bei: – invitatio ad offerendum

  • Gefälligkeiten
  • besonderen Hinweisen

bestehend aus:

  • Handlungswille Wille, überhaupt etwas bewusst

zu tun oder zu unterlassen; muss immer vorliegen

  • Erklärungsbewusstsein Bewusstsein, eine rechtlich

relevante Erklärung abzugeben; str., ob notwendig

  • Geschäftswille Wille, eine bestimmte Rechtsfolge herbeizuführen

Bei Fehlen des Erklärungsbewusstseins ist umstritten, ob eine zurechenbare Willenserklärung vorliegt. Zur Lösung des Streits haben sich im Wesentlichen drei Ansätze herausgebildet:

– Willenstheorie: Entscheidend ist der innere Wille des Erklärenden; der Erklärungsempfänger solle aber analog § 122 BGB Schadenersatz verlangen können – Arg.: schützt einseitig die Interessen des Erklärenden; mit der Privatautonomie gehen nicht nur Rechte einher, sondern auch die Pflicht der Prüfung vor Abgabe eventuell rechtsverbindlicher Erklärungen, »Erklärungsfahrlässigkeit«

  • Erklärungstheorie: Entscheidend ist der objektive Erklärungstatbestand
  • Arg.: schützt einseitig die Interessen des

Erklärungsempfängers

– Theorie vom potentiellen Erklärungsbewusstsein (vgl. BGHZ 91, 324): Es wird darauf abgestellt, ob der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, dass sein Verhalten vom Empfänger nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefasst werden durfte – Arg.: diese Theorie schafft einen schonenden Ausgleich zwischen den Interessen der Beteiligten

Im Rahmen der Lösung des Streits um das fehlende Erklärungsbewusstsein muss man stets die Rechtsfolgen bedenken. Folgt man der Ansicht, die erst gar nicht von einer wirksamen Willenserklärung ausgeht, dann wird kein Vertrag zustande gekommen sein. Geht man aber auch im Falle eines fehlenden Erklärungsbewusstseins von einer bindenden Willenserklärung aus, kann der Erklärende die Anfechtung wegen eines Erklärungsirrtums gemäß § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB erklären. Dann aber hat der Empfänger einen Anspruch auf Schadenersatz nach § 122 BGB. Im Ergebnis liegt der Unterschied in der Praxis also in der Verpflichtung zur Zahlung von Schadenersatz.

»Die zwei Schreiben«

Der Erstsemesterstudent X hat mit der Post mehrere Schreiben erhalten. Darunter befinden sich unter anderem eine Glückwunschkarte sowie ein Bestellschein für juristische Fachliteratur. Da X aufgrund eines Termins in Eile ist, unterschreibt er versehentlich den Bestellschein anstelle der Glückwunschkarte. An juristischer Fachliteratur hat X grundsätzlich kein Interesse.

Der Verlag fordert nach Eingang der Bestellung nun Zahlung der bestellten Literatur und Abnahme. Der X wendet ein, es handele sich um ein Versehen. Er hätte sich geirrt und könnte doch nicht am Vertrag festgehalten werden.

Welche Rechte stehen dem Verlag zu, der den unterschriebenen Bestellschein erhält?

IV. Weitere Wirksamkeitsvoraussetzungen von Willenserklärung

und Rechtsgeschäft

Weitere Wirksamkeitsvoraussetzungen (neben den Elementen der Willenserklärung) sind:

  • Geschäftsfähigkeit
  • Abgabe und Zugang
  • Übereinstimmung der Willenserklärung

1. Geschäftsfähigkeit

Die Privatautonomie besagt, dass grundsätzlich jeder mit jedem ein Rechtsgeschäft egal mit welchem Inhalt abschließen darf. Diese Freiheit kann für bestimmte Personengruppen mit Gefahren verbunden sein. Daher muss man zur Abgabe einer Willenserklärung geschäftsfähig sein.

Geschäftsfähigkeit ist definiert als die Fähigkeit, Rechtsgeschäfte wirksam vornehmen zu können.

Es wäre für den Rechtsverkehr nicht förderlich, wenn der Empfänger einer Willenserklärung sich jeweils von der Geschäftsfähigkeit des Erklärenden überzeugen müsste. Diesem Umstand begegnet das BGB dadurch, dass es die Geschäftsfähigkeit als regelmäßig vorliegend betrachtet. Es werden lediglich die Fälle bestimmt, bei denen nicht die volle Geschäftsfähigkeit vorliegt. Ein guter Glaube an die Geschäftsfähigkeit wird nicht geschützt. Etwaige Schäden hieraus werden im Interesse des Schutzes der Geschäftsunfähigen hingenommen. Das Gesetz unterscheidet:

  • Geschäftsunfähigkeit, § 104 BGB
  • beschränkte Geschäftsfähigkeit, § 106 BGB
  • volle Geschäftsfähigkeit

Die nachfolgenden Übersichten verdeutlichen das System der §§ 104ff. BGB:

a) Geschäftsunfähigkeit

Abb. 6

Geschäftsunfähigkeit

Tatbestand

Rechtsfolge

§ 104 Nr. 1 und Nr. 2 BGB

+ grds. Nichtigkeit der WE nach

§ 105 I BGB

Der Geschäftsunfähige kann überhaupt keine wirksamen WE abgeben.

+ Empfang von WE (§ 131 BGB) Die WE wird erst wirksam, wenn sie dem gesetzlichen Vertreter zugeht.

+ aber: § 105 a BGB 1. Geschäfte des täglichen Lebens 2. Geringwertigkeit 3. Bewirken von Leistung und Gegenleistung 4. Keine erhebliche Gefahr

Zu beachten ist bei § 105a BGB insbesondere die Rechtsfolgenseite. Es wird lediglich die Wirksamkeit von Leistung und Gegenleistung fingiert. Wegen § 105a BGB ist eine Rückforderung der ausgetauschten Leistungen ausgeschlossen

(§§ 812ff. BGB scheitern daran, dass der fingierte Vertrag einen rechtlichen Grund für die Erlangung darstellt; ebenso scheitern Vindikationsansprüche, da der fingierte Vertrag ein Recht zum Besitz darstellt).

Unklar ist bisher, ob von der Fiktion auch die Erfüllungsgeschäfte erfasst sind oder ob nur für die Prüfung der Voraussetzungen des § 105a BGB das Vorliegen eines Erfüllungsgeschäfts fingiert wird. Letzteres hätte zur Folge, dass Eigentum und berechtigter Besitz bei Veräußerungsgeschäften bis zur – möglicherweise erzwungenen – Übereignung auseinander fallen.

▪ Vgl. Bork, Allgemeiner Teil des BGB, 2. Aufl. 2006, Rdn. 989a; Casper, NJW 2002, 3427ff.; Heinrichs in: Palandt, BGB,

63. Aufl. 2004, § 105a Rdn. 6.

Die Regeln der Geschäftsunfähigkeit sind auch außerhalb des Vertragsrechts zu beachten. So entfällt ebenfalls eine Haftung aus culpa in contrahendo (Verschulden bei Vertragsschluss, § 280 Abs. 1 i.V.m. §§ 311 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB) und Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA), da es sich hierbei um Ansprüche aus geschäftsähnlichen Handlungen handelt und bei einer Haftung der Schutzzweck des § 105a BGB leer laufen würde. Ebenso haftet derjenige, der noch nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat, nicht für einem anderen zugefügte Schäden (§§ 828 Abs. 1, 829 BGB).

b) Beschränkte Geschäftsfähigkeit

Gemäß §§ 106ff. BGB kann ein beschränkt Geschäftsfähiger nur dann eine wirksame Willenserklärung abgeben, wenn er dadurch einen rechtlichen Vorteil erlangt, die Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters vorliegt oder eine Ausnahmevorschrift der §§ 110, 112 oder 113 BGB eingreift.

aa) Einwilligung, rechtlicher Vorteil und Ausnahmetatbestände

Ein lediglich rechtlich vorteilhaftes Rechtsgeschäft liegt dann vor, wenn sich die rechtliche Stellung des Minderjährigen verbessert. Dabei hat keine wirtschaftliche Betrachtung stattzufinden. Es empfiehlt sich bei der Betrachtung des rechtlichen Vorteils wie folgt zu unterscheiden:

  • Verpflichtungsgeschäfte: nur die Schenkung (bei der der beschränkt Geschäftsfähige Beschenkter ist) ist lediglich

rechtlich vorteilhaft. Die Leihe ist aufgrund der Rückgabepflicht nicht lediglich rechtlich vorteilhaft.

  • Verfügungsgeschäfte: Verfügungen des beschränkt Geschäftsfähigen sind nicht lediglich rechtlich vorteilhaft. Beim

Erwerb ist weiter zu differenzieren: – Unbelastete Gegenstände: der Erwerb ist lediglich rechtlich vorteilhaft – Belastete Gegenstände: soweit die Belastung zu keiner persönlichen Verpflichtung führt, ist der Erwerb vorteilhaft;

anderenfalls ist er aber nicht rechtlich vorteilhaft.

  • Einseitige Rechtsgeschäfte: nur die Mahnung

ist

lediglich

rechtlich vorteilhaft

(allerdings auch nur eine

rechtsgeschäftsähnliche Handlung)

Nicht unter den Wortlaut des § 107 BGB fallen neutrale Geschäfte. Das sind solche Rechtsgeschäfte, aus denen weder ein Vorteil noch ein Nachteil des beschränkt Geschäftsfähigen folgt. Aufgrund der den §§ 107, 1903 BGB vergleichbaren Situation ist auch bei diesen § 107 BGB anwendbar. Beispiele sind:

  • Willenserklärungen, die der Erklärende als Vertreter eines anderen abgibt (§ 165 BGB)
  • Leistungsbestimmung gemäß § 317 BGB
  • Verfügungen (im eigenen Namen) über fremde Rechte mit Einwilligung des Berechtigten

– Str. ist die dingliche Einigung über fremde Gegenstände ohne Einwilligung; nach der wohl h.M. liegt hier ein neutrales Geschäft vor; allerdings ist dann weiter der gutgläubige Erwerb zu prüfen; mit dem Problem, dass der Erwerber einen Minderjährigen für den Berechtigten (Eigentümer) hält, weswegen es erneut auf eine Einwilligung/Genehmigung ankommt.

▪ Vgl. Bork, Allgemeiner Teil des BGB, 2. Aufl. 2006, Rdn. 997ff.; Heinrichs in: Palandt, BGB, 63. Aufl. 2004, § 107 Rdn. 7.

Wird der rechtliche Vorteil verneint, kommt es auf die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters an (§§ 107, 183 BGB). Die Einwilligung kann sich auf ein bestimmtes Rechtsgeschäft oder einen bestimmbaren Kreis an Rechtsgeschäften beziehen.

Abb. 7

Beschränkte Geschäftsfähigkeit § 106 BGB

§ 107 BGB Einwilligung des gesetzlichen Vertreters

§ 107 BGB lediglich rechtlicher Vorteil

§ 110 BGB »TaschengeldParagraph«

§ 107 BGB Keine Einwilligung

(+)

(–)

(+)

(–)

Genehmigung §§ 108, 184 BGB

Genehmigung §§ 108, 184 BGB

Genehmigung §§ 108, 184 BGB

Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts

Die Ausnahmetatbestände der §§ 110, 112 und 113 BGB:

  • § 110 BGB: Gemäß § 110 BGB gilt ein vom beschränkt Geschäftsfähigen geschlossener Vertrag als von Anfang wirksam, wenn der in der Geschäftsfähigkeit Beschränkte die vertragsmäßige Leistung mit Mitteln bewirkt hat, die ihm zu diesem Zwecke oder zur freien Verfügung vom gesetzlichen Vertreter oder von einem Dritten mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters überlassen worden ist
  • § 112 BGB: Die Ausnahme des § 112 BGB verlangt (1.) die Ermächtigung des beschränkt Geschäftsfähigen durch den (2.) die Genehmigung des

gesetzlichen Vertreter zum selbstständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts, Vormundschaftsgerichts

  • § 113 BGB: Nötig ist die Ermächtigung des gesetzlichen Vertreters, in Dienst und Arbeit zu treten.

bb) Genehmigung

Soweit ein Rechtsgeschäft für den beschränkt Geschäftsfähigen weder lediglich rechtlich vorteilhaft noch neutral ist, kann das nicht durch eine Einwilligung (vorherige Zustimmung gemäß § 183 S. 1 BGB) gedeckte Handeln des in der Geschäftsfähigkeit Beschränkten erst durch eine Genehmigung des gesetzlichen Vertreters wirksam werden (§ 108 Abs. 1 BGB). Außerdem muss es sich beim angestreb-ten Rechtsgeschäft um einen Vertrag handeln (§ 108 Abs. 1 BGB).

Anders ausgedrückt: Hat der beschränkt Geschäftsfähige das Rechtsgeschäft ohne die an sich notwendige (Rechtsgeschäft ist nicht lediglich vorteilhaft oder neutral.) Einwilligung getätigt, so hängt die rechtliche Beurteilung davon ab, ob es sich bei dem getätigten Rechtsgeschäft um ein ein-seitiges Rechtsge-schäft oder um einen zwei- oder mehrseitigen Vertrag handelt. Handelt es sich um einen Vertrag, so ist die vertragliche Einigung gemäß § 108 Abs. 1 BGB schwebend unwirksam. Handelt es sich dagegen um ein einseitiges Rechtsgeschäft, so ist die Erklärung mangels einer notwendigen Ein-willigung gemäß § 111 S. 1 BGB unwirksam. Das Ge-setz will im zweiten Fall einen Schwebezustand im Interesse des Geschäftsgegners vermeiden, da dieser dem einseitigen Rechtsgeschäft nicht ausweichen kann.

Abb. 8

Ein vom beschränkt Geschäftsfähigen ohne die an sich notwendige Einwilligung vorgenommenes Rechtsgeschäft ist

nichtig (gem. § 111 S. 1 BGB), wenn es sich um ein einseitiges Rechtsgeschäft handelt

schwebend unwirksam (gem. § 108 I BGB), wenn es sich um einen Vertrag handelt

Eine Genehmigung ist nicht möglich. Das Rechtsgeschäft muss mit Einwilligung neu vorgenommen werden.

Das Rechtsgeschäft bedarf zu seiner Wirksamkeit der Genehmigung des gesetzlichen Vertreters.

Wie aufgezeigt, hat der gesetzliche Vertreter bei Verträgen, für die eine Einwilligung notwendig gewesen wäre und nicht vorlag, darüber zu befinden, ob er das Geschäft nachträglich billigen will. Wie jede Zustimmung bedarf auch die Genehmigung grundsätzlich gemäß § 182 Abs. 2 BGB nicht der für das Rechtsgeschäft bestimmten Form. Die Genehmigung wirkt gemäß § 184 Abs. 1 BGB auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses zurück. Wird die Genehmigung verweigert, so ist der Vertrag unwirksam.

Die Genehmigung kann, da sie Zustimmung ist, gemäß § 182 Abs. 1 BGB gegenüber dem Vertragspartner (Außengenehmigung) oder gegenüber dem beschränkt Geschäftsfähigen (Innengenehmigung) erklärt werden. Fordert der Vertragspartner den gesetzlichen Vertreter zur Erklärung über die Genehmigung auf, kann eine Genehmigung nur noch ihm gegenüber erfolgen (§ 108 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 BGB).

Die Genehmigung kann zudem nach Empfang der Aufforderung nur noch bis zum Ablauf von zwei Wochen erklärt werden (§ 108 Abs. 2 S. 2 Hs. 1 BGB). Wird sie nicht erklärt, gilt (Fiktion) sie als verwei-gert (§ 108 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BGB). Außerdem führt eine entsprechende Aufforderung des gesetzlichen Vertreters durch den Vertrags-partner dazu, dass eine vor der Aufforderung dem beschränkt Geschäftsfähigen gegenüber erklärte Genehmigung oder Verweigerung der Genehmigung unwirksam wird (§ 108 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 BGB).

Andererseits steht für den Fall der schwebenden Unwirksamkeit dem Vertragspartner ein Widerrufsrecht nach § 109 Abs. 1 S. 1 BGB zu. Denn der Vertragspartner hat, solange das Geschäft für den beschränkt Geschäftsfähigen schwebend un-wirksam ist, ein erhebliches Interesse, seinerseits nicht an den Vertrag gebunden zu sein. Eine Aus-nahme von diesem Grundsatz ist dann zu bejahen, wenn der Vertragspartner von der beschränkten Geschäftsfähigkeit wusste (§ 109 Abs. 1 Hs. 1 BGB). In diesem Fall kann der Vertragspartner seine Er-klärung grundsätzlich nicht widerrufen. Eine Ausnahme von der vorgenannten Ausnahme gilt aber dann, wenn der beschränkt Geschäftsfähige die Einwilligung des gesetzlichen (§ 109 Abs. 1 Hs. 1 BGB). Hier besteht grundsätzlich die Vertreters der Wahr-heit zuwider behauptet hat Widerrufsmöglichkeit des Vertragspartners. War dem Vertragspartner das Fehlen der Einwilligung bekannt, so steht ihm das Widerrufsrecht jedoch nicht zu (§ 109 Abs. 1 Hs. 2 BGB; die Ausnahme von der Aus-nahme von der Ausnahme).

c) Weitere Problembereiche:

Schenkung von gesetzlichen Vertretern: Fraglich ist, ob die Eltern als gesetzliche Vertreter ihrer Kinder gemäß §§ 1626 Abs. 1, 1629 Abs. 1 BGB die Annahme ihres Schenkungsangebots erklären können. Gemäß § 1629 Abs. 2 BGB findet hier

§§ 1795 i.V.m. 181 BGB Anwendung, so dass eine Schenkung nicht möglich wäre. Bei lediglich rechtlich vorteilhaften Geschäften ist das Insichgeschäft aber zulässig. Hier wird § 181 BGB teleologisch reduziert.

Schenkung von verpflichtenden Geschenken: str. ist, ob dem Minderjährigen durch seine Eltern z.B. eine Immobilie mit Verwaltervertrag etc. geschenkt werden kann. Das Problem ist unter dem zuvor beschriebenen Vertretungsverbot zu diskutieren:

  • Gesamtbetrachtung: Man kann mithilfe einer Gesamtbetrachtung des schuldrechtlichen und des dinglichen Vertrages

beurteilen, ob ein lediglich rechtlich vorteilhaftes Geschäft vorliegt

  • Teleologische Reduktion des § 181 BGB: Gegen diese Meinung kann man anführen, dass sie gegen das Abstraktionsprinzip verstößt. Danach darf die Erfüllung rechtlich nachteilig sein. Bei Wohnungseigentum ist aufgrund des WEG das Geschäft nur rechtlich vorteilhaft, soweit die Gemeinschaftsordnung keine über die gesetzlichen Pflichten hinausgehenden Verpflichtungen beinhaltet.

im Ergebnis nicht

Leistung an einen Minderjährigen zur Erfüllung: Hierbei ist streng zwischen dem Eigentumsübergang und der Erfüllungswirkung zu trennen. Der Eigentumsübergang ist zulässig. Eine Erfüllung gemäß § 362 BGB ist jedoch rechtlich nachteilig, da der Minderjährige seine Forderung verliert. Dem Minderjährigen fehlt die Empfangszuständigkeit. Allerdings hat der Leistende einen Rückforderungsanspruch (§ 812 BGB in analoger Anwendung).

▪ Vgl. Medicus, BGB, 19. Aufl. 2002, Rdn. 171

Abb. 9

gesetzlicher Vertreter eines nicht voll Geschäftsfähigen

Grundsatz

Ausnahme

Eltern (§§ 1626 I 1, 1629 I 1 BGB), i. d. R. gemeinschaftlich (§ 1629 I 2 Hs. 1 BGB)

oder

oder

Vormund BGB)

Betreuer BGB)

Ergänzungspfleger (§§ 1915, BGB)

2. Abgabe und Zugang (Wirksamwerden der Willenserklärung)

a) Allgemeines

Die §§ 130–132 BGB beschäftigen sich mit der Frage, ob und zu welchem Zeitpunkt eine Willenserklärung wirksam wird. Die beiden zentralen Begriffe in diesem Zusammenhang sind Abgabe und Zugang einer Willenserklärung.

Geregelt sind aber vom Gesetz nicht die Voraussetzungen von Abgabe und Zugang, sondern nur deren Wirkung. Zudem sind nur Abgabe und Zugang unter Abwesenden normiert.

Trennen muss man bei der Betrachtung des Wirksamwerdens zwischen empfangsbedürftigen und nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen. Bei letzterer ist lediglich die Abgabe Voraussetzung.

aa) Wirksamwerden unter Abwesenden

Eine Willenserklärung ist dann abgegeben, wenn sie vom Erklärenden so in Richtung auf den Empfänger in Bewegung gesetzt wird, dass er bei Zugrundelegung normaler Verhältnisse mit dem Zugang beim Empfänger rechnen darf.

Zugegangen ist eine Willenserklärung dann, wenn sie so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass unter normalen Umständen mit Kenntnisnahme zu rechnen ist. Tatsächliche Kenntnisnahme ist nicht erforderlich. Der Zugang erfolgt aber spätestens mit Kenntnisnahme.

Hinsichtlich des Verbringens in den Machtbereich ist zu verlangen, dass die Erklärung in eine gewisse räumliche Nähe zum Empfänger verbracht wird. Dies kann dadurch geschehen, dass die Erklärung direkt gegenüber dem Empfänger mündlich (nicht verkörpert) geäußert wird oder dass ihm eine schriftliche (verkörperte) Erklärung direkt übergeben wird. Ein Zugang liegt ebenfalls bei Verbringen zum Empfangsboten vor.

bb) Wirksamwerden unter Anwesenden

Für den Zugang einer Willenserklärung unter Anwesenden gilt § 130 BGB analog. Wie in diesem Fall aber der Zugang ermittelt wird, ist nicht abschließend geklärt. Nach der Vernehmungstheorie ist der Zugang gegeben, soweit der Empfänger die Erklärung richtig verstanden hat. Diese Theorie schützt einseitig die Interessen des Erklärungsempfängers. Daher ist der Zugang mit Hilfe der eingeschränkten Vernehmungstheorie zu bestimmen. Danach liegt Zugang vor, wenn der Erklärende keine vernünftigen Zweifel an der richtigen Vernehmung der Erklärung haben muss.

cc) Einschaltung einer Mittelsperson

Soll die Erklärung über eine Mittelsperson zum Empfänger gelangen, hängt der Eintritt des Zugangs von der Art der Mittelsperson ab.

Empfangsvertreter: Das ist derjenige, der in fremdem Namen mit Vertretungsmacht (§ 164 BGB) die Willenserklärung entgegennimmt. Die Erklärung ist dem Vertretenen bereits mit dem Zugang beim Empfangsvertreter zugegangen (§ 164 III BGB).

Empfangsbote: Ist derjenige, der vom Empfänger zur Entgegennahme von Willenserklärungen bestellt ist oder nach der Verkehrsanschauung als ermächtigt gilt, Willenserklärungen entgegenzunehmen (z.B. Ehegatten, nahe Angehörige, Betriebsangehörige abhängig von ihrer Stellung). Die Erklärung ist in dem Zeitpunkt zugegangen, zu dem regelmäßig die Weitergabe an den Empfänger zu erwarten ist.

Erklärungsbote: Ist die eingeschaltete Person weder Empfangsvertreter noch Empfangsbote, so ist sie Erklärungsbote. Die Erklärung geht dann erst mit der Übermittlung an den Empfänger selbst zu.

Abb. 10

Wirksamwerden einer Willenserklärung

empfangsbedürftige Willenserklärung

Zugang erforderlich (§ 130 BGB) z. B. Vertrag

nicht empfangsbedürftige Willenserklärung

Entäußerungszeitpunkt z. B. Testament

Abgabe unter Abwesenden

Zugang entscheidet (§ 130 BGB) Gelangen in den Machtbereich!

Abgabe unter Anwesenden

Vernehmungstheorie akustische Wahrnehmung

b) Besondere Fälle des Zugangs

Nachfolgend werden einige besondere Zugangskonstellationen beleuchtet.

aa) Zugang bei nicht voll Geschäftsfähigen

Das Wirksamwerden der gegenüber dem nicht voll Geschäftsfähigen abzugebenden Willenserklärung ist in § 131 BGB geregelt. Insoweit ist zwischen dem Zugang beim Geschäftsunfähigen (§ 131 Abs. 1 BGB) und dem Zugang beim beschränkt Geschäftsfähigen (§ 131 Abs. 2 BGB) zu unterscheiden.

Zugang beim Geschäftsunfähigen (§ 131 Abs. 1 BGB): Gemäß § 131 Abs. 1 BGB wird eine Erklärung gegenüber dem Geschäftsunfähigen erst wirksam, wenn sie dem gesetzlichen Vertreter zugeht. Der Geschäftsunfähige kann allerdings Empfangsbote oder Erklärungsbote sein. Ist der Geschäftsunfähige ein Erklärungsbote und übermittelt er eine andere als die ihm aufgetragene Willenserklärung, so ist hierbei zu unterscheiden zwischen einer versehentlichen Abänderung und einer wissentlichen Abänderung.

Zugang beim beschränkt Geschäftsfähigen (§ 131 Abs. 2 BGB): § 131 Abs. 2 BGB ist ein Spiegelbild der §§ 107ff. BGB. Eine Willenserklärung wird dem beschränkt Geschäftsfähigen gegenüber erst dann wirksam, wenn sie dem gesetzlichen Vertreter zugegangen ist.

Von diesem in § 131 Abs. 2 S. 1 BGB normierten Grundsatz sind folgende Ausnahmen zu machen:

  • Erklärung bringt lediglich einen rechtlichen Vorteil für den beschränkt Geschäftsfähigen (§ 131 Abs. 2 S. 2 BGB)
  • Vorliegen einer Einwilligung des gesetzlichen Vertreters (§ 131 Abs. 2 S. 2 BGB)
  • Fälle des § 109 Abs. 1 BGB (Widerruf des anderen Teils gegenüber dem beschränkt Geschäftsfähigen bei einem

schwebend unwirksamen Geschäft)

bb) Gegenüber einer Behörde abzugebende Willenserklärung

Die gegenüber einer Behörde abzugebende Willenserklärung wird gemäß § 130 Abs. 3 BGB einer empfangsbedürftigen Willenserklärung gleichgestellt. Für das Wirksamwerden kommt es also auf den Zugang an.

cc) Ersatzmittel für den Zugang

§ 132 BGB stellt die Zustellung als Surrogat für das Zugehen zur Verfügung. Die Erklärung wird folglich wirksam, auch wenn die Voraussetzungen des Zugangs, wie im Fall der Zustellung durch Niederlegung bei der Post (§ 182 ZPO) oder wie im Fall der öffentlichen Zustellung (§ 203ff. ZPO), an sich nicht erfüllt sind.

dd) Entbehrlichkeit des Zugangs

In einigen Fällen ist der Zugang einer an sich empfangsbedürftigen Erklärung ausnahmsweise entbehrlich. So ist die Annahme eines Angebotes auch ohne Zugang wirksam, wenn der Zugang nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist, oder der Anbietende auf den Zugang der Annahme verzichtet hat (§ 151 BGB). Eine ähnliche Bestimmung findet sich in § 152 BGB für die Annahme im Rahmen eines notariell beurkundeten Vertrages. Auch der Zuschlag bei der Versteigerung muss dem Ersteigerer nicht zugehen (§ 156 BGB i.V.m. § 15 S. 2 BeurkG).

Zu beachten ist aber: Nicht die Annahme selbst ist in den vorgenannten Fällen entbehrlich, sondern lediglich deren Zugang.

c) Abhanden gekommene Willenserklärung

Wie der Fall zu beurteilen ist, dass eine Erklärung den Bereich des Erklärenden ohne dessen Wissen verlässt, ist umstritten. Man spricht bei solchen Fällen von einer Scheinabgabe oder einer abhanden gekommenen Willenserklärung. Hier ist zwar eine willentliche Entäußerung zu bejahen. Es fehlt jedoch daran, dass der Erklärende die Erklärung (willentlich) in Richtung Empfänger in Bewegung setzt. Dieses Merkmal ist aber, wie oben gezeigt, eine notwendige Voraussetzung der Abgabe einer empfangsbedürftigen Willenserklärung.

Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht ist der Fall der Scheinabgabe einer Willens-erklärung mit dem Fall des fehlenden Erklärungsbewusstseins zu vergleichen. Die Vertreter dieser Ansicht wollen diesen Fall deshalb entsprechend behandeln. Danach ist es ausreichend, wenn der Erklärende durch sein Verhalten in zurechenbarer Weise den Eindruck hervorgerufen hat, die Erklärung sei mit seinem Willen abgegeben worden.

Nach Rechtsprechung und herrschender Lehre ist das willentliche Inverkehrbringen notwendige Voraussetzung der Abgabe. Der Erklärende soll jedoch auf den Vertrauensschaden gemäß § 122 BGB analog haften. Liegt ein Verschulden vor, so kommt auch eine Haftung aus culpa in contrahendo in Betracht.

▪ Vgl. BGH, NJW 1979, 2032; Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, 7. Aufl. 1997, Rdn. 266

d) Zugangshindernisse

Besondere Probleme ergeben sich, wenn die Willenserklärung wegen eines Verhaltens des Erklärungsempfängers diesem nicht oder verspätet zugeht. Man spricht bei diesen Fällen auch von Zugangshindernissen. Regelungen zu diesem Problembereich finden sich nicht im Gesetz. Man kann allgemein zwischen Zugangsverweigerung, Zugangsverzögerung und Zugangsverhinderung unterscheiden.

aa) Zugangsverweigerung

Bei der Zugangsverweigerung verweigert der Empfänger, sein Empfangsvertreter oder sein Empfangsbote die Annahme der schriftlichen oder das Anhören der mündlichen Erklärung. Bei einer berechtigten Zugangsverweigerung gilt die Willenserklärung als nicht zugegangen (z.B. unzureichende Frankierung; Ohren zuhalten, da Erklärung eine Beleidigung enthält; Anschrift ist nicht eindeutig). Bei einer unberechtigten Zugangsverweigerung gilt die Willenserklärung dagegen als zugegangen. Die Verweigerung geht damit zu Lasten des Empfängers.

bb) Zugangsverzögerung

Wie sich eine Zugangsverzögerung auf die Rechtzeitigkeit des Zugangs auswirkt, hängt davon ab, ob die Verzögerung dem Empfänger zuzurechnen ist. Ist sie das, gilt (Fiktion) der Zugang als zu dem Zeitpunkt erfolgt, zu dem der Zugang ohne die Verzögerung eingetreten wäre (z.B. bewusste, grundlose Verhinderung des rechtzeitigen Zugangs; Obliegenheit, Vorsorge für den rechtzeitigen Zugang zu treffen bei Vertrag, angebahnten Geschäftsverbindungen, Berufsstellung oder Geschäftsverlegung). Ist die Zugangsverzögerung nicht dem Empfänger zuzurechnen, bleibt es beim verzögerten Zugang. Der Grund für die Differenzierung ist der Rechtsgedanke des § 162 BGB.

cc) Zugangsverhinderung

Bei einer Zugangsverhinderung fehlt es gänzlich am Zugang. Wie sich eine Zugangsverhinderung auf die Wirksamkeit einer Willenserklärung auswirkt, hängt – ähnlich wie bei der Zugangsverzögerung – davon ab, ob die Zugangsverhinderung dem Empfänger zuzurechnen ist. Wenn ja, ist die Rechtsfolge streitig. Man kann hier vertreten, dass der Zugang in jedem Fall fingiert wird. Eine neuere Ansicht differenziert danach, ob der Erklärende alles ihm Zumutbare unternimmt, damit die Willenserklärung in den Machtbereich des Empfängers gelangt, oder nicht. Bei erster Variante gilt die Fiktion, ansonsten bleibt es beim verhinderten Zugang.

e) Widerruf (§ 130 Abs. 1 S. 2 BGB)

Wie oben gezeigt, wird eine empfangsbedürftige Willenserklärung mit ihrem Zugang wirksam. Von diesem Grundsatz ist nach § 130 Abs. 1 S. 2 BGB dann eine Ausnahme zu machen, wenn dem Empfänger vor dem Zugang der Erklärung oder gleichzeitig mit ihm ein Widerruf der Erklärung zugeht. Ist der Widerruf rechtzeitig erfolgt, so wird die widerrufene Erklärung nicht wirksam. Wie sich aus dem Wortlaut des § 130 Abs. 1 S. 2 BGB ergibt, ist die Reihenfolge der Kenntnisnahme für die Rechtzeitigkeit des Widerrufs irrelevant. Entscheidend ist allein, dass der Widerruf mindestens gleichzeitig mit der widerrufenen Erklärung zugeht. Der Widerruf ist die einzige Möglichkeit, das Wirksamwerden der abgegebenen Erklärung zu verhindern.

Achtung: der Widerruf nach § 130 Abs. 1 S. 2 BGB ist strikt vom Widerruf nach § 355 BGB zu trennen. Die weiteren Widerrufsrechte (Verbraucherverträge; Haustürgeschäfte; Fernabsatz; etc.) sind aufgrund der geänderten Marktlage gesetzlich ausgestaltet worden. Es soll gegenüber Überrumpelungsgefahr und der Schnelligkeit des Rechtsverkehrs ein Ausgleich geschaffen werden.

Hier ist die Willenserklärung dem Vertragspartner grundsätzlich zugegangen, kann aber innerhalb einer bestimmten Frist widerrufen werden, so dass der Erklärende nicht mehr an seine Willenserklärung gebunden ist. Diese Möglichkeit stellt eine Durchbrechung des Grundsatzes »pacta sunt servanda« dar.

3. Vertragsschluss

Der Vertrag besteht aus inhaltlich übereinstimmenden und korrespondierenden Willens-erklärungen von mindestens zwei Personen, Angebot und Annahme gem. §§ 145ff. BGB. Die Parteien müssen sich über die »essentialia negotii« wie Kaufpreis und Kaufgegenstand mit Rechtsbindungswillen geeinigt haben.

Die beiden Willenserklärungen sind zwar jeweils auch ohne die Übereinstimmung wirksam. Der Vertrag, auf den sie abzielen, kommt aber erst durch deren Übereinstimmung zustande.

Abb. 11

Der Vertragsschluss §§ 145 ff. BGB

Angebot

A

B

Probleme: + verspätete oder modifizierte Annahme (§ 150 BGB) + Anwesende oder Abwesende (§ 147 BGB) + invitatio ad offerendum

a) Angebot

Definition: Das Angebot ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, durch die ein Vertragsschluss einem anderen so angetragen wird (Bestimmtheit des Angebotes), dass das Zustandekommen des Vertrages nur von dessen Einverständnis abhängt (einfaches »Ja«).

Wie sich aus dem oben dargelegten Begriff des Angebotes ergibt, sind neben den bei allen Willenserklärungen erforderlichen Voraussetzungen noch die Bestimmtheit des Angebotes und der Zugang des Angebotes zu verlangen.

aa) Bestimmtheit des Angebotes

Da das Zustandekommen des Vertrages von dem Einverständnis des anderen abhängt, muss das Angebot inhaltlich so bestimmt sein, dass die Annahme durch die bloße Zustimmung des anderen Teils erfolgen kann. Voraussetzung ist, dass das Angebot die wesentlichen Punkte (essentialia negotii) des zukünftigen Vertrages enthält. Das sind idR Leistung, Gegenleistung und Vertragsparteien.

In bestimmten Fällen liegt auch ohne eine ausreichende Bestimmtheit ein Angebot vor:

– Einigung über Bestimmbarkeit und Möglichkeit der sachgerechten Ergänzung (§§ 315–319 BGB) – Ergänzung durch eine gesetzliche Regelung (§§ 612, 632 BGB) – Bestimmungskauf (§ 375 BGB) – Vertragliche Wahlschuld – Angebot an jedermann (invitatio ad incertas personas; z.B. Zigarettenautomat)

bb) Rechtsbindungswille

Das Angebot muss in dem Willen abgegeben worden sein, sich rechtlich zu binden. D.h., der Erklärende muss mit Rechtsbindungswille gehandelt haben. An diesem fehlt es bei einer »invitatio ad offerendum«, denn diese stellt lediglich eine Aufforderung an eine unbestimmte Personenzahl dar, ihrerseits ein Angebot auf Abschluss des Vertrages abzugeben (z.B. Ausstellen von Ware im Schaufenster; Verschicken von Bestellscheinen; etc.). Hier wäre der Werbende ansonsten unbegrenzt gebunden, ohne seine Vertragspartner nach Kriterien der Liquidität, Zuverlässigkeit o.ä. aussuchen zu können.

Strittig ist die Frage, zu welchem Zeitpunkt der Vertragsschluss bei Kauf von Waren in einem SB-Supermarkt vorliegt. Es wird vertreten, dass bereits das Aufstellen der Ware ein verbindliches Angebot ist. Das Legen in den Wagen sei aber wegen der Möglichkeit des Zurücklegens noch keine Annahme. Überwiegend wird das Ausstellen der Ware aber als invitatio ad offerendum gewertet. Das Angebot wird durch Vorzeigen der Ware an der Kasse durch den Kunden abgegeben. Auswirkung entfaltet der Streit bei falscher Auszeichnung der Ware. Das Problem sollte unter Berücksichtigung der verschiedenen Interessenlagen gelöst werden.

▪ Vgl. Bork, Allgemeiner Teil des BGB, 2. Aufl. 2006, Rdn. 699ff.; Dietrich, DB 1972, 958; -Heinrichs in: Palandt, BGB,

63. Aufl. 2004, § 145 Rdn. 8; Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, 7. Aufl. 1997, Rdn. 363.

Neben der »invitatio ad offerendum« ist auch ein Ausschluss der Bindung durch sog. »Freiklauseln« denkbar, vgl. § 145 BGB aE. Regelmäßig findet man Formulierungen wie z.B. »freibleibend entsprechend unserer Verfügbarkeit« oder »Lieferung vorbehalten«. Derartige Klauseln müssen spätestens mit dem Angebot zugehen bzw. bei Annahme erklärt werden.

Gemäß § 145 BGB ist der Antragende grundsätzlich an sein Angebot gebunden.

cc) Erlöschensgründe

Abb. 12

Erlöschensgründe

Ablehnung des Antrags (§ 146 Alt. 1 BGB) • Ablehnung des Antrags ist empfangsbedürftige WE; Liegt auch bei Erweiterung, Einschränkung oder Abänderung vor, vgl. § 150 II BGB

Ablauf der Annahmefrist (§ 146 Alt. 2 BGB) • ist eine Annahmefrist

(§§ 147 – 149 BGB) bestimmt, so erlischt das Angebot bei Ablauf

BGB »regelmäßige Umstände«

Ausnahmefälle (§ 153 aE BGB) • grds. kein Erlöschens-

grund

  • ABER: § 153 aE BGB,

wenn ein anderer Wille des Antragenden anzunehmen ist

b) Annahme

Definition: Die Annahme ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, durch die der Antragsempfänger dem Antragenden sein Einverständnis mit dem angebotenen Vertragsschluss zu verstehen gibt.

Neben den generellen Voraussetzungen einer Willenserklärung sind also noch die Bezugnahme auf den Antrag sowie grundsätzlich der Zugang der Annahme beim Antragenden zu verlangen.

Ausnahmsweise kann der Zugang der Annahme aber entbehrlich sein. So ist die Annahme eines Angebotes auch ohne Zugang wirksam, wenn der Zugang nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist oder der Anbietende auf den Zugang der Annahme verzichtet hat (vgl. § 151 BGB). Ähnliches gilt gemäß § 152 BGB für die Annahme im Rahmen eines notariell beurkundeten Vertrages. Auch der Zuschlag bei der Versteigerung muss dem Ersteigernden nicht zugehen (§ 156 BGB i.V.m. § 15 S. 2 BeurkG).

Abb. 13

Entbehrlichkeit des Zugangs der Annahmeerklärung

Fälle des § 152 S. 1 BGB • notarielle Beurkundung

Fälle des § 156 BGB

  • Zuschlag bei Versteigerung

Fälle des § 151 S. 1 BGB • Zugang ist nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten • Anbietende hat auf die Annahme verzichtet

aa) Schweigen als Annahme

Ein Schweigen lässt grundsätzlich keinen Schluss auf einen bestimmten Geschäftswillen zu. Durch ein Schweigen wird folglich grundsätzlich keine Willenserklärung – auch nicht durch konkludentes Verhalten – abgegeben. Dies gilt auch dann, wenn der Antragende in seinem Angebot um Antwort bittet. Gleiches gilt für den Fall, dass der Antragende erklärt, dass er im Falle des Schweigens von einer Annahme ausgehe; denn dem Angebotsempfänger kann durch das Angebot nicht einseitig ein bestimmtes Verhalten aufgezwungen werden.

Vom Grundsatz, dass ein Schweigen keinen Erklärungswert hat, sind jedoch Ausnahmen zuzulassen. So lässt ein Schweigen dann auf einen bestimmten Geschäftswillen schließen und ist somit als Willenserklärung zu werten, wenn dies kraft Gesetzes bestimmt ist, wenn der Erklärungswert des Schweigens – ausdrücklich oder konkludent – zwischen den Parteien vereinbart wurde, wenn das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben folgt und bestimmte Umstände hinzutreten oder wenn das Schweigen gemäß § 242 BGB als Willenserklärung zu werten ist.

Kraft Gesetzes gilt das Schweigen zum Beispiel gemäß § 362 Abs. 1 HGB als Annahme und somit als Willenserklärung, wenn dem schweigenden Kaufmann, dessen Gewerbebetrieb die Besorgung von Geschäften für andere mit sich bringt, in vorher ein Antrag über die Besorgung solcher Geschäfte von Geschäftsverbindung steht und er nicht unverzüglich geantwortet hat. Gleiches gilt gemäß § 516 Abs. 2 S. 2 BGB für das Schweigen des Beschenkten auf einen Schenkungsantrag, wenn der Schenkende eine angemessene Frist zur Erklärung über die Annahme aufgefordert hat und diese Frist abgelaufen ist. Dass die Parteien vereinbaren können, dass ihrem Schweigen schon ein Erklärungswert zukommt, ergibt sich aus dem Grundsatz der Privatautonomie. Man spricht vom beredten Schweigen.

jemandem zugegangen

ist, mit dem er

Abb. 14

Erklärungswert des Schweigens

Grundsatz Schweigen hat keinen Erklärungswert

Vier Ausnahmefälle • Kraft Gesetzes (§ 362 I HGB;

§ 516 II 2 BGB)

  • Kraft Vereinbarung
  • Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben BGB als WE gewertet (sehr selten)

bb) Zusendung unbestellter Waren

Die Zusendung unbestellter Waren ist ein Problem, dass zwar nicht unbedingt zur Annahme gehört, hier aber gut besprochen werden kann.

Die Zusendung unbestellter Waren ist regelmäßig als Angebot auszulegen. Das Schweigen nach Erhalt der Ware darf jedoch nicht als Annahme gewertet werden. § 241a BGB normiert, dass durch die Zustellung unbestellter Sachen oder die Erbringung sonstiger Leistungen durch einen Unternehmer an einen Verbraucher kein Anspruch gegen diesen begründet wird.

Fraglich ist die Rechtsfolge. Es kommt zunächst weder ein Kaufvertrag noch ein Verwahrungsvertrag (§ 688 BGB) zustande. Problematisch wird es, wenn die Ware beim Empfänger untergeht oder beschädigt wird.

Ausgeschlossen sind nicht nur der Anspruch auf Schadenersatz und Nutzungsherausgabe, sondern auch die Ansprüche aus §§ 985 und 812 BGB und bei einer Weiterveräußerung der Anspruch aus § 816 BGB. Er hat ein Recht zum Besitz und bei Beschädigung durch Dritte einen Anspruch gemäß § 823 BGB.

Von der grundsätzlichen Freistellung jeglicher Inanspruchnahme gibt es aber zwei Ausnahmen:

  • Die Leistung ist in der irrigen Annahme einer Bestellung erfolgt
  • Die Leistung war nicht für den Empfänger bestimmt

▪ Vgl. Bork, Allgemeiner Teil des BGB, 2. Aufl. 2006, Rdn. 167ff.; Heinrichs in: Palandt, BGB, 63. Aufl. 2004, § 148 Rdn. 8.

c) Dissens

aa) Begriff des Dissenses

Wie oben dargestellt, ist die inhaltliche Übereinstimmung der Annahme mit dem Angebot grundsätzlich Voraussetzung jeder wirksamen Annahme und damit Voraussetzung eines jeden wirksamen Vertrages.

Welche Folgen es hat, wenn eine Einigung nicht zustande kommt, also ein Einigungsmangel (Dissens) besteht, ist dadurch noch nicht gesagt. Die §§ 154ff. BGB nehmen sich eines Teiles dieser Problematik an. Nicht geregelt wurde allerdings der Fall, dass sich die Parteien nicht über die essentialia negotii geeinigt haben (auch als »Totaldissens« bezeichnet). Ebenfalls nicht geregelt ist die Frage, ob im Falle des Dissenses Schadenersatzansprüche bestehen können.

Zunächst ist aber stets die Frage zu klären, ob überhaupt ein Dissens vorliegt.

Das Vorliegen eines Dissenses ist durch Auslegung (Kap. IV. 3. c) zu ermitteln:

  • Stehen hinter beiden Erklärungen übereinstimmende Willen, dann liegt kein Dissens vor (falsa demonstratio non nocet)
  • Der objektive Erklärungswert beider Erklärungen stimmt überein

Da dieses Vorgehen in den meisten Fällen zur Annahme eines Vertragsschlusses führt, ist ein Dissens in der Praxis sehr selten.

bb) Wirkungen des Dissenses auf das Zustandekommen des Vertrages

Abb. 15

Dissens

offener Dissens § 154 BGB Wissen um die Lückenhaftigkeit des Vertrags

versteckter Dissens § 155 BGB fehlendes Wissen um die Lückenhaftigkeit des Vertrags

grundsätzlich kein Vertragsabschluss

Hinsichtlich der Wirkung eines Dissenses auf das Zustandekommen des Vertrages ist zwischen dem offenen und dem verdeckten Dissens zu unterscheiden. Außerdem ist diesbezüglich relevant, ob der Dissens die wesentlichen Vertragsbestandteile betrifft oder nicht.

Beim offenen Dissens (§ 154 BGB) über essentialia negotii liegt bereits kein Vertragsschluss vor. Bezieht sich der offene Dissens auf vertragliche Nebenpunkte, muss der Parteiwille durch Auslegung ermittelt werden. Sollte der Vertrag erst geschlossen sein, wenn alle Punkte geregelt sind, dann liegt kein Vertragsschluss vor. Sollte der Vertrag hingegen auch bei Nichtregelung von Nebenpunkten als geschlossen gelten, liegt ein Vertragsschluss vor.

Beim versteckten Dissens (§ 155 BGB) erfolgt die Prüfung ähnlich. Bei einem Einigungsmangel über essentialia negotii liegt überhaupt kein Vertrag vor. Bei verstecktem Dissens über Nebenpunkte ist wie zuvor beschrieben auszulegen.

▪ Vgl. Bork, Allgemeiner Teil des BGB, 2. Aufl. 2006, Rdn. 761ff.; Heinrichs in: Palandt, BGB, 63. Aufl. 2004, §§ 154, 155;

»Geschäfte auf dem Pausenhof«

Der 17-jährige B leiht sich das neue Fahrrad des 19-jährigen S mit Zustimmung dessen Eltern und fährt damit zur Schule. Auf dem Pausenhof wird das Fahrrad aufgrund neuester Technik von allen bewundert und bestaunt. Der 18-jährige M ist derart begeistert, dass er B fragt, ob er es ihm für € 100 abkaufen könne. B ist einverstanden und übergibt M gegen Zahlung von € 100 das Fahrrad. M hatte dabei keine Zweifel, dass das Fahrrad dem B gehört.

1. Kann S von M Herausgabe des Fahrrads verlangen?

2. Abwandlung: Kann S Ansprüche gegen B geltend machen, für den Fall, dass der M nicht mehr

auffindbar ist?

▪ Vgl. Hommelhoff/Stüsser, Jura 1985, 654ff.

C. Stellvertretung

Grundsätzlich geht das Gesetz davon aus, dass derjenige, der eine Willenserklärung abgibt, für sich selbst handelt, und derjenige, der eine Willenserklärung empfängt, auch Adressat der Willenserklärung ist. Beließe man es dabei, müsste jeder, der mit Hilfe von Willenserklärungen Rechtsfolgen herbeiführen will, also rechtsgeschäftlich tätig werden will, alle für und gegen ihn wirkenden Willenserklärungen selbst abgeben oder empfangen. Häufig ist dies aber schwierig möglich, so dass die Einschaltung einer Hilfsperson erforderlich ist.

▪ vgl. Fallsammlung von Mock, JuS 2008, 391ff.

I. Stellvertretung als Rechtsordnung der Zurechnung

Im deutschen Zivilrecht finden sich mehrere Vorschriften, die das Verhalten einer Person -einer anderen Person zurechnen. So ist etwa über § 278 BGB dem Geschäftsherrn ein Verschulden des Erfüllungsgehilfen zuzurechnen. Eine Wissenszurechnung findet über § 166 BGB statt.

Primäres Anliegen der Stellvertretungsnormen ist die Zurechnung von Willenserklärungen; genauer: die Zurechnung der Abgabe (§ 164 Abs. 1 S. 1 BGB) und des Empfangs (§ 164 Abs. 3 BGB) von Willenserklärungen. Die vom Vertreter abgegebene Erklärung wird, wenn alle Voraussetzungen einer Stellvertretung vorliegen, dem Vertretenen zugerechnet, als habe er die Erklärung selbst abgegeben. Gleiches gilt hinsichtlich des Empfangs einer Erklärung: Die vom Vertreter zugegangene Erklärung wird ihm so zugerechnet, als habe er sie selbst empfangen.

II. An der Stellvertretung beteiligte Personen

In Fallkonstellationen, in denen das Rechtsinstitut der Stellvertretung eingreift, stehen sich regelmäßig drei Personen gegenüber.

Abb. 16

Stellvertretung I

Mittelbare Stellvertretung

Unmittelbare Stellvertretung Vertretener

Vertretener

Auftrag § 662 BGB

Mittelsperson

Vertrag

Dritter

Vertreter

Vertrag

Dritter

Unterschied: Insolvenzrisiko für den Vertreter / Mittelsperson

Die Vertretungsregeln der §§ 164ff. BGB regeln nur die unmittelbare Stellvertretung. Dabei ist der Fall gemeint, dass eine Person (Vertretener) eine weitere Person (Vertreter) bevollmächtigt, ein bestimmtes Rechtsgeschäft in seinem Namen mit einem Dritten abzuschließen.

Die mittelbare Stellvertretung hingegen gestaltet sich so, dass die Rechtsfolgen des Geschäfts erst mal nur den Handelnden treffen. Sie ist die historisch ursprüngliche Form der Stellvertretung und vor allem durch ihre fehlende Erkennbarkeit charakterisiert. Dies wird andererseits gelegentlich auch als Vorteil der mittelbaren Vertretung angesehen. Der Hintermann nimmt an den vertraglichen Beziehungen in keiner Weise teil und erlangt auch kein eigenes Forderungsrecht gegenüber dem Dritten. Allerdings hat er mit der Mittelsperson einen Vertrag geschlossen, nach dem dieser zur Herausgabe des durch das Geschäft Erlangten verpflichtet ist, sowie sämtliche Rechte auf ihn überzuleiten. Beispiele für die mittelbare Stellvertretung sind:

  • Kommission (§§ 383ff. BGB)
  • Geschäfte im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses

Die Unterschiede liegen in den vollkommen unterschiedlichen Rechtsbeziehungen der Be-teiligten.

Bei der mittelbaren Stellvertretung schließt der Vertreter ein Geschäft im eigenen Namen, aber »für fremde Rechnung« ab – es soll wirtschaftlich seinen »Hintermann« treffen. Diesem gegenüber ist er aus Auftrag (§ 662 BGB) oder einem vergleichbaren Rechtsverhältnis (wie Kommission) verpflichtet, das Geschäft auf ihn überzuführen – also etwa den gekauften Gegenstand, an dem der mittelbare Vertreter in der Regel Eigentum erlangt hat, seinem Auftraggeber zu übereignen (§ 667 BGB: Herausgabe des Erlangten). Andererseits hat der mittelbare Stellvertreter einen Aufwendungsersatzanspruch hinsichtlich des von ihm aus eigenem Vermögen gezahlten Kaufpreises gegen den Hintermann, seinen Auftraggeber (§ 670 BGB).

III. Voraussetzungen der Stellvertretung

Abb. 17

Stellvertretung II

1. eigene WE / Abgrenzung zum Boten

2. in fremdem Namen – Offenkundigkeitsprinzip

Ausnahmen: + Geschäft für den, den es angeht + unternehmensbezogenes Geschäft

3. mit Vertretungsmacht

im eigenen Namen

mit Vertretungsmacht

ohne Vertretungsmacht § 177 BGB

Genehmigung §§ 182, 184 BGB

keine Genehmigung § 164 I 1 BGB (-)

§ 164 I 1 BGB

§ 179 BGB

Selbstverpflichtung

Die aktive Stellvertretung – nur sie wird, soweit nichts anderes gesagt wird, nachfolgend behandelt – setzt nach § 164 Abs. 1 BGB voraus, dass eine Stellvertretung überhaupt zulässig ist, dass der Handelnde eine eigene Willenserklärung abgibt, dass er dabei im Namen des Vertretenen und mit Vertretungsmacht handelt.

1. Zulässigkeit der Stellvertretung

Grundsätzlich ist die Stellvertretung bei allen Willenserklärungen zulässig; für rechtsgeschäftsähnliche Handlungen gilt das Vertretungsrecht analog. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt dann, wenn die Stellvertretung – sei es durch Gesetz oder Rechtsgeschäft – ausgeschlossen ist. Man spricht dann von höchstpersönlichen Rechtsgeschäften, weil die betreffenden Personen sie selbst vornehmen müssen.

Abb. 18

Zulässigkeit der Stellvertretung

Grundsatz

Ausnahmefälle

Stellvertretung ist zulässig

Stellvertretung ist nicht zulässig

gesetzliche Höchstpersönlichkeit

angeordnet durch Gesetz

Beispiele

bei höchstpersönlichen Rechtsgeschäften

gewillkürte Höchstpersönlichkeit

vereinbart

Eheschließung

(§ 1311 S. 1 BGB)

Anfechtung der Vaterschaft

(§ 1600a BGB)

Testament

(§ 2064 BGB)

Widerruf des Testaments

(§§ 2253, 2254, 2064 BGB; BGB)

Erbverzicht

(§ 2347 II 1 Hs. 1 BGB)

Aufhebung des Erbverzichts

Hs. 1 BGB)

2. Eigene Willenserklärung des Vertreters

Der Vertreter muss für eine wirksame Stellvertretung eine eigene Willenserklärung abgeben. Der Vertreter formuliert die Erklärung folglich selbstständig und entscheidet im Regelfall über das »ob« und »wie« des Rechtsgeschäfts.

a) Geschäftsfähigkeit des Vertreters

Da der Vertreter selbst rechtsgeschäftlich handeln muss, ist die von ihm abgegebene Willenserklärung unwirksam, wenn er geschäftsunfähig ist (§§ 105 Abs. 1, 165 BGB). Gleiches gilt für den Zugang bei der passiven Stellvertretung, wenn die Willenserklärung einem Geschäftsunfähigen gegenüber abgegeben wird (§§ 131 Abs. 1, 165 BGB).

Ist der Vertreter beschränkt geschäftsfähig, so hindert ihn dies an einer wirksamen Vertretung nicht, da den Vertreter die Folgen seiner Willenserklärung nicht treffen und er somit ein neutrales Rechtsgeschäft vornimmt. § 165 BGB stellt dies nur klar.

b) Abgrenzung zwischen Boten und Vertreter

Die Stellvertretung verlangt ein eigenes rechtsgeschäftliches Handeln des Vertreters. Dies ist das Abgrenzungsmerkmal zur Botenschaft. (Wer das Geschäft nicht selbst abschließt, sondern nur eine fremde Erklärung überbringt, ist Bote.)

Auftreten gegenüber dem Erklärungsempfänger als Anknüpfungspunkt der Abgrenzung: Zur Abgrenzung zwischen Bote und Stellvertreter ist aus Vertrauens- und Verkehrsschutzgesichtspunkten darauf abzustellen, wie die Mittelsperson tatsächlich gegenüber dem Dritten auftritt. Der Grund dafür liegt in den Auslegungsgrundsätzen, nach denen die Willenserklärung vom Empfängerhorizont aus zu betrachten ist. Erscheint die Willenserklärung vom Empfängerhorizont aus als lediglich übermittelt, ist die Mittelsperson folglich Bote. Erscheint die Willenserklärung vom Empfängerhorizont aus als eigene Willenserklärung der Mittelsperson, ist die Mittelsperson ein Vertreter.

▪ Vgl. Bork, Allgemeiner Teil des BGB, 2. Aufl.2006, Rdn. 1345ff.; Heinrichs in: Palandt, BGB, 63. Aufl. 2004, § 164 Rdn. 4ff.

aa) Relevanz der Abgrenzung

Vielfach ist es unerheblich, ob die Hilfsperson als Bote oder als Vertreter auftritt. So ist es regelmäßig gleichgültig, ob eine Willenserklärung des Vertreters vorliegt, die dem Vertretenen zugerechnet wird, oder ob die Mittelsperson lediglich eine Willenserklärung übermittelt. Es gibt allerdings Fälle, in denen der Unterscheidung eine Relevanz zukommt:

Abb. 19

Fälle, in denen die Unterscheidung zwischen Botenschaft und Vertretung relevant ist

angestrebtes Rechtsgeschäft bedarf einer Form

mangelnde Geschäftsfähigkeit der handelnden Person

Fehler bei der Übermittlung / Abgabe der Willenserklärung

Botenschaft

Vertretung

Botenschaft

Vertretung

Botenschaft

Vertretung

Erklärung des Geschäftsherrn muss der Form genügen.

Erklärung des Vertreters muss der Form genügen.

Bote muss nicht geschäftsfähig sein.

Vertreter muss mindestens beschränkt geschäftsfähig sein (§ 165 BGB).

Soweit die Voraussetzungen der Vertretung, insbesondere die Vertretungsmacht, vorliegen, ist dem Vertretenen die Erklärung gemäß § 164 I 1 BGB zuzurechnen. Für die Anfechtbarkeit kommt es auf die Kenntnis des Vertreters an (§ 166 I BGB).

Abänderung der Erklärung durch den Erklärungsboten

Differenzierung zwischen

versehentlicher Abänderung

wissentlicher Abänderung

Die Erklärung wirkt mit dem zugegangenen Inhalt für und gegen den Erklärenden. Der Erklärende kann jedoch nach § 120 BGB anfechten.

Der Bote (hier Pseudobote) gibt eine eigene Willenserklärung ab, die nicht für und gegen den ursprünglich Erklärenden wirkt. Es gelten die §§ 177 ff. BGB analog: – Geschäftsherr kann genehmigen (§ 177 I BGB analog) – Im Fall der Verweigerung der Genehmigung haftet der Bote gemäß § 179 BGB analog.

bb) Problem des falsch auftretenden Handelnden

Besondere Probleme können auftreten, wenn der Handelnde ein Bote ist (bestimmt nach dem tatsächlichen Auftreten), aber nach dem Innenverhältnis als Vertreter auftreten soll. Gleiches gilt, wenn der Handelnde ein Vertreter ist, aber nach dem Innenverhältnis lediglich eine Willenserklärung übermitteln, also lediglich als Bote auftreten soll.

Im ersten Fall lag gar keine Willenserklärung des Geschäftsherrn vor, die der Bote hätte übermitteln können; seine bestehende Vertretungsmacht nutzte er dabei nicht aus, da er keine eigene Willenserklärung abgegeben hat. Man käme – beließe man es bei der herkömmlichen Dogmatik – zu dem Ergebnis, dass der Geschäftsherr durch das Verhalten des Handelnden weder berechtigt noch verpflichtet wird.

Im zweiten oben genannten Fall, bei dem der Vertreter an sich nach dem Innenverhältnis lediglich eine Willenserklärung übermitteln sollte, übermittelte er die Willenserklärung des Geschäftsherrn nicht, sondern gab eine eigene ab; die eigene, im Namen des Geschäftsherrn abgegebene Erklärung konnte den Geschäftsherrn aber an sich nicht binden, da insoweit streng genommen keine Vertretungsmacht, sondern lediglich Botenmacht bestand.

Soweit das getätigte Rechtsgeschäft von der Boten- bzw. Vertretungsmacht gedeckt wird, werden die oben dargelegten Ergebnisse als unbillig angesehen. So ist im ersten Fall, bei dem der Bote an sich nach dem Innenverhältnis als Vertreter

auftreten sollte, eine Bindung des Geschäftsherrn mit der Begründung anzunehmen, dass es ihm lediglich darauf angekommen sei, ob und mit welchem Inhalt, nicht aber wie das Rechtsgeschäft zustande kommt.

Im zweiten Fall erreicht man dogmatisch eine Bindung des Geschäftsherrn dadurch, dass man aus dem Vorliegen der Botenmacht das Bestehen der Vertretungsmacht ableitet.

▪ Vgl. Schramm in: MünchKomm-BGB, 5. Aufl. 2006, vor § 164 Rdn. 47a, 49

3. Handeln im fremden Namen

a) Interessenlage

Es ist ein berechtigtes Interesse des Erklärungsempfängers zu erfahren, wem die Erklärung zugerechnet werden soll, die der Handelnde ihm gegenüber abgibt (z.B. wegen des Insolvenzrisikos; unseriösem Geschäftsgebaren, etc.). Dieses Interesse würde verletzt, wenn der Erklärungsempfänger erst später – etwa bei vertraglichen berechtigte Vollzugshandlungen – erfährt, dass die ihm zugegangene Willenserklärung nicht dem Handelnden, sondern einem – ihm bis dahin unbekannten – Vertretenen zuzurechnen ist. Dem trägt das Gesetz in § 164 Abs. 1 S. 1 BGB dadurch Rechnung, dass es für eine wirksame Vertretung verlangt, dass der Handelnde im Namen desjenigen handelt, den er vertreten will (Offenkundigkeitsgrundsatz). Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Erklärung ausdrücklich im Namen des Vertretenen abgegeben wird oder ob die Umstände ergeben, dass die Erklärung im Namen des Vertretenen erfolgen soll (§ 164 Abs. 1 S. 2 BGB).

Ist der Wille, im fremden Namen zu handeln, aber nicht erkennbar, liegt ein Eigengeschäft des Handelnden vor.

Erklärungsempfänger

Handeln im Namen des Vertretenen

abgegebene Willenserklärung

Abb. 20

Vertretener

Zurechnung

Vertretener

b) Offenkundigkeit

Die Offenkundigkeit wird gewahrt, wenn der Handelnde ausdrücklich im Namen des Vertretenen handelt (§ 164 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BGB) oder sich die Vertretung aus den Umständen ergibt (§ 164 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB). Im zweiten Fall ist insbesondere an unternehmensbezogene Geschäfte zu denken, bei denen hinsichtlich der Annahme des Handelns im Namen des Unternehmensträgers recht großzügig verfahren wird. So ist beim Vorliegen eines unternehmensbezogenen Geschäfts ein Handeln im Namen des Unternehmensträgers selbst dann zu bejahen, wenn die Person des

Unternehmensträgers dem Erklärungsempfänger gar nicht bekannt ist oder eine andere Person für den Träger des Unternehmens hält.

(cid:2) Beispiel: Wer bei einem Franchise-Unternehmen (McDonald’s, OBI) einkauft, ist regelmäßig nicht daran

interessiert zu wissen, ob er mit der Muttergesell-schaft eines Konzern oder dem das lokale Unternehmen betreibenden Franchise--nehmer kontrahiert.

Teilweise wird bei unternehmensbezogenen Geschäften auch von einer Ausnahme des Offenkundigkeitsprinzips gesprochen.

▪ Vgl. K. Schmidt, Handelsrecht, 5. Aufl. 1999, S. 124

c) Ausnahmen vom Offenkundigkeitsgrundsatz

Ausnahmen vom Offenkundigkeitsgrundsatz sind in folgenden Fällen möglich:

Geschäft für den, den es angeht: Dieses Rechtsinstitut greift ein, wenn der Erklärende kein Interesse daran hat, den hinter dem Handelnden stehenden Vertretenen, also denjenigen, dem die Erklärung zuzurechnen ist, zu kennen. Das ist insbesondere bei Bargeschäften des täglichen Lebens der Fall.

§ 1357 BGB: Die durch einen Ehegatten getätigten Geschäfte »zur Deckung des angemessenen Lebensbedarfs« berechtigen und verpflichten grundsätzlich beide (§ 1357 Abs. 1 S. 2 BGB). Mithilfe von § 1357 BGB wird sowohl die mangelnde Offenkundigkeit als auch eine fehlende Vertretungsmacht überwunden. Will ein Ehegatte ein Rechtsgeschäft nur für sich abschließen, muss er dies deutlich machen.

Diese Konstellation kann in der Falllösung auch maßgeblich werden, wenn es wie z.B. bei einem Haftungsausschluss um Wirkungen eines Vertrages geht, den zunächst nur der eine Ehegatte geschlossen hat. Ist der andere Ehegatte auch Vertragspartner, gelten auch für ihn die Wirkungen des Vertrages.

▪ Vgl. BGHZ 94, 1; Bork, Allgemeiner Teil des BGB, 2. Aufl. 2006, Rdn. 1396ff.; Medicus, -Bürgerliches Recht, 19. Aufl. 2002,

Rdn. 88.

§ 129 Abs. 2 AktG: Grundsätzlich muss die Vertretung der Aktionäre (anders als bei der Legitimationsübertragung) in der Hauptversammlung, die, wie § 134 Abs. 3 S. 1 AktG zeigt, zulässig ist, offen erfolgen. Handelt es sich bei dem Bevollmächtigten aber um ein Kreditinstitut, um eine Aktionärsvereinigung oder um eine nach § 135 Abs. 9 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 AktG gleichgestellte Person, so kann die Vertretung, wenn die Vollmacht entsprechend gestaltet ist (§ 135 Abs. 4 S. 2 AktG), für den, den es angeht, und damit versteckt, erfolgen (§ 129 Abs. 2 AktG).

Unternehmensbezogene Geschäfte: vgl. oben, werden zum Teil als Ausnahme eingestuft.

d) Auswirkungen fehlender Offenkundigkeit

Will der Vertreter zwar im Namen eines anderen handeln, bringt dies aber nicht zum Ausdruck und ist dem Dritten die Stellvertretung auch sonst nicht erkennbar (sowie kein Eingreifen einer Ausnahme), so handelt es sich mangels Offenkundigkeit um ein Eigengeschäft des Vertreters. In einem solchen Fall liegt an sich ein Erklärungsirrtum nach § 119 Abs. 1 BGB vor. Dennoch kann der Vertreter seine Erklärung nicht anfechten und damit vernichten, da § 164 Abs. 2 BGB eine solche Anfechtung ausschließt. § 164 Abs. 2 BGB schützt quasi das Offenkundigkeitsprinzip vor Aushöhlung durch etwaige Anfechtung, indem es den in § 164 Abs. 2 BGB benannten Willensmangel für eine Anfechtung nicht ausreichen lässt.

e) Abgrenzung des Handelns im fremden Namen von anderen Erscheinungsformen

aa) Handeln unter fremdem Namen und das Handeln unter Angabe eines fremden Namens

Gelegentlich erweckt ein Handelnder nicht etwa den Eindruck, dass er für einen anderen handeln wolle, sondern, dass er ein anderer sei bzw. einen anderen Namen habe.

Tritt der Handelnde etwa unter dem Namen des als sehr solvent bekannten Kaufmanns A auf (Der Handelnde sagt also: »Ich bin A«; im Gegensatz zum Vertreter, der sagt: »Ich handle für A«), spricht man vom Handeln unter fremdem Namen. Dem Geschäftspartner kommt es in diesen Fällen gerade auf die (möglicherweise sehr solvente) Person des Namensträgers an. Das Recht der Stellvertretung ist auf diese Fälle zumindest analog anzuwenden. Danach treffen die Rechtsfolgen des Geschäfts den Namensträger, wenn der Handelnde mit Vertretungsmacht handelte. Ansonsten haftet der Handelnde nach § 179 Abs. 1 BGB.

Vom Handeln unter fremdem Namen ist das Handeln unter lediglich falscher Namensangabe zu trennen. In besagten Fällen hat die Namensabgabe nach dem Parteiwillen keine (privatrechtliche) Bedeutung. Dem Betreiber eines Hotels ist es, wenn die zu entrichtende Miete – wie regelmäßig üblich – vorab entrichtet wird, meist gleichgültig, ob es sich bei dem bei ihm übernachtenden Paar um den Konzernlenker und seine Frau oder seine Sekretärin handelt. In einem solchen Fall treffen die Rechtsfolgen allein den Handelnden.

bb) Auftreten in fremdem Zuständigkeitsbereich

Noch anders als in den eben dargestellten Fällen liegt es bei der in § 185 geregelten Verfügung eines Nichtberechtigten. Hier tritt der Handelnde unter seinem richtigen Namen auf. Jedoch nimmt er für sich in Anspruch, Berechtigter über einen Gegenstand (etwa eine Sache) zu sein. Die Verfügung ist erst mit Einwilligung des Berechtigten wirksam.

4. Vertretungsmacht

a) Allgemeines

Wie oben gezeigt, schützt der Offenkundigkeitsgrundsatz den Dritten vor dem ihm unbekannten Geschäftspartner. Aber auch der vom Handelnden Vertretene hat ein berechtigtes Interesse, beim rechtsgeschäftlichen Handeln des Vertreters geschützt zu werden. So wäre es aus Sicht eines jeden potentiellen Vertretenen untragbar, wenn jede beliebige Person in seinem Namen Willenserklärungen abgeben könnte, die ihm zuzurechnen sind. Dies ist nur dann anders, wenn der Vertretene selbst oder das Gesetz dem Vertreter die Rechtsmacht erteilt, mit Wirkung für den Vertretenen rechtsgeschäftlich zu handeln. Aufbauend auf der geschilderten Interessenlage verlangt § 164 Abs. 1 S. 1 BGB für eine wirksame Stellvertretung, dass der Vertreter innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht handelt.

Der berechtigte Schutz des Vertretenen vor ungewollten rechtsgeschäftlichen Bindungen führt aber auch dazu, dass der Dritte, gegenüber dem der Handelnde auftritt, stets Gefahr läuft, in seinem Vertrauen auf die Wirksamkeit der Vertretung enttäuscht zu werden. Es liegt hier zur Lösung des Konflikts nahe, dass sich der Dritte an den vermeintlichen Vertreter wenden kann. Der Dritte hat auf das Bestehen des Rechtsgeschäfts vertraut. Durch § 179 Abs. 1 BGB wird ihm ein Erfüllungs- oder Schadenersatzanspruch gegen den vermeintlichen Vertreter gegeben, so dass dem Dritten bei Verträgen jedenfalls eine haftende Person zur Verfügung steht und der Vertreter gehalten wird, nicht ins Blaue hinein zu vertreten.

Unterscheiden kann man die Arten der Vertretungsmacht auf verschiedene Weisen: – nach dem Rechtsgrund: rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht (Vollmacht, § 166 Abs. 2 S. 1 BGB) oder gesetzliche

Vertretungsmacht

  • nach dem Umfang der Vertretungsmacht: Spezialvertretungsmacht

(bestimmtes Rechtsgeschäft) oder

Gattungsvertretungsmacht (Gattung von Rechtsgeschäften) oder Generalvertretungsmacht (alle Rechtsgeschäfte)

  • nach Mitwirkungsbedürftigkeit: Einzelvertretungsmacht oder Gesamtvertretungsmacht
  • nach der Person: Hauptvertretungsmacht und Untervertretungsmacht
  • nach der Erklärung: Innenvollmacht, § 167 Abs. 1 Alt. 1 BGB (ggü. dem Bevollmächtigten) oder Außenvollmacht, § 167

Abs. 1 Alt. 2 (ggü. dem Dritten)

b) Vertretungsmacht als Voraussetzung

Abb. 21

Stellvertretung III

Innenverhältnis

Vertretener

Vertreter

Dritter

Außenverhältnis

  • Erteilung und Widerruf der Vollmacht (§§ 167, 168 BGB)
  • gesetzliche Vollmacht
  • Anscheins- oder Duldungsvollmacht
  • Beschränkung der Vertretungsmacht

Der Vertreter muss innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht handeln (§ 164 Abs. 1 S. 1 BGB) und von der ihm zustehenden Vertretungsmacht Gebrauch machen. Die Vertretungsmacht kann sich aus Rechtsgeschäft oder aus einer gesetzlichen Regelung ergeben.

In Ausnahmefällen kann aus Rechtscheinsgesichtspunkten das Vorliegen einer Vertretungsmacht entbehrlich sein (Duldungs- und Anscheinsvollmacht).

aa) Erteilung der Vollmacht

Die durch Rechtsgeschäft erteilte Vertretungsmacht bezeichnet § 166 Abs. 2 BGB als Vollmacht. Sie ist in den §§ 167– 176 BGB relativ ausführlich geregelt.

festlegt,

Der Vollmacht liegt in der Regel ein Vertragsverhältnis zwischen Vollmachtgeber und Bevollmächtigtem zugrunde. Dieses Vertragsverhältnis nennt man Grundverhältnis. Während die Vollmacht das Außenverhältnis betrifft und damit das Innenverhältnis zwischen Vollmachtgeber und rechtliche Können Bevollmächtigtem und legt somit das rechtliche Dürfen fest. Als Grundverhältnis kommt jedes Verpflichtungsgeschäft in Betracht, das auf die Vornahme von Tätigkeiten (z.B. Dienstvertrag, Geschäftsbesorgungsvertrag, Auftrag). Liegt im Zeitpunkt der Vollmachterteilung noch kein Grundverhältnis vor, so ist in der Regel davon auszugehen, dass mit Erteilung der Vollmacht konkludent ein Auftragsvertrag gemäß § 662 BGB zustande gekommen ist.

regelt das Grundverhältnis das

für einen anderen gerichtet

ist

Zwischen dem Innen- und Außenverhältnis ist strikt zu trennen. Grundsätzlich hat die Unwirksamkeit des Grundgeschäftes keine Auswirkung auf die Wirksamkeit der Vollmacht.

Abb. 22

Einfluss der Unwirksamkeit des Grundgeschäftes auf die Wirksamkeit der Vollmacht

Differenzierung

Innenvollmacht (§ 167 I Alt. 1 BGB)

Differenzierung

Außenvollmacht (§ 167 I Alt. 2 BGB)

nicht nach außen mitgeteilte (»reine«) Innenvollmacht

strittig

nach außen mitgeteilte Innenvollmacht

a. A.

h. M. und h. L.

Unwirksamkeit des Grundverhältnisses führt grundsätzlich zur Unwirksamkeit der Vollmacht.

Unwirksamkeit des Grundverhältnisses führt grundsätzlich nicht zur Unwirksamkeit der Vollmacht.

Die rechtsgeschäftliche Vollmacht muss im Wesentlichen zwei Voraussetzungen erfüllen:

– Wirksame Vollmachterteilung: Die Vollmachterteilung ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung (§ 167 BGB). Demnach sind die Elemente der Willenserklärung zu erfüllen (innerer und äußerer Tatbestand, Abgabe und Zugang), der Bevollmächtigte muss grundsätzlich geschäftsfähig sein und es dürfen keine Nichtigkeitsgründe eingreifen (insbesondere § 125 S. 1 BGB und § 142 Abs. 1 BGB). Wie bereits erläutert, kann der Erklärungsempfänger der Vollmacht sowohl der zu Bevollmächtigende als auch der Dritte sein.

  • Kein Erlöschen der Vollmacht: Die Vollmacht kann nach den in § 168 BGB geregelten Gründen (Grundverhältnis oder Widerruf) oder durch Erledigung, Eintritt einer auflösenden Bedingung, Ablauf einer Frist, Tod/Geschäftsunfähigkeit und Verzicht erlöschen

(1) Formnichtigkeit gemäß § 125 S. 1 BGB

Eine Nichtigkeit der Vollmachterteilung gemäß § 125 S. 1 BGB setzt voraus, dass die Vollmachterteilung nach dem Gesetz formbedürftig war und sie nicht diesem Formerfordernis genügte.

Die Vollmachterteilung ist grundsätzlich formlos gültig. Die gilt nach § 167 Abs. 2 BGB selbst dann, wenn das Rechtsgeschäft, auf das sich die Vollmacht bezieht, einer Form bedarf. So ist etwa die Erteilung der Vollmacht, einen Grundstückskaufvertrag abzuschließen, grundsätzlich formfrei möglich, obwohl der Kaufvertrag nach § 311b Abs. 1 BGB notariell beurkundet werden muss.

Ausnahmsweise kann aber auch die Erteilung formbedürftig sein:

– Spezialvorschriften: § 1945 Abs. 3 S. 1 BGB (Ablehnung der fortgesetzten Gütergemeinschaft; § 2 Abs. 2 GmbHG

(Unterzeichnung einer GmbH-Satzung);

  • Schutzzweck der Formvorschriften: Die

für das Rechtsgeschäft geltenden Schutzvorschriften gebieten eine

Einschränkung des § 167 Abs. 2 BGB

Abb. 23

Nichtigkeit der Vollmachtserklärung nach § 125 S. 1 BGB

Voraussetzungen

Vollmachterteilung ist nach dem Gesetz formbedürftig

Getätigte Vollmachterteilung genügt diesem Erfordernis nicht

Eine Vollmachterteilung ist wie jede Willenserklärung grundsätzlich formlos möglich. Dies gilt gemäß § 167 II BGB auch dann, wenn das Geschäft, zu dessen Vornahme eine Vollmacht erteilt werden soll, formbedürftig ist. In Ausnahmefällen bedarf die Vollmachterteilung jedoch einer Form.

Grundsatz Vollmachterteilung unabhängig vom Grundgeschäft formlos

Ausnahmen

Spezialvorschriften ordnen die Formbedürftigkeit der Vollmachterteilung an.

Beispiele

Schutzzweck der Formvorschriften, die für das angestrebte Rechtsgeschäft gelten (etwa beim Kauf eines Grundstückes § 311 b I BGB), gebietet eingeschränkte Anwendung des § 167 II BGB.

Voraussetzungen

§ 1945 III 1 BGB

§ 1484 II 1 BGB

§ 2 II GmbHG

§ 23 I 2 AktG

§ 134 III AktG

§ 47 III GmbHG

§ 492 IV BGB

herrschende Meinung

a. A.

Warnfunktion der Formvorschrift

Weitgehende Bindung des Vollmachtgebers

Warnfunktion der Formvorschrift

(2) Nichtigkeit wegen wirksamer Anfechtung gemäß § 142 Abs. 1 BGB

Da die Vollmachterteilung eine Willenserklärung ist, kann der Vollmachtgeber, der sich bei der Erteilung der Vollmacht in einem Irrtum im Sinne der §§ 119, 123 BGB befunden hat, nach dem Wortlaut des Gesetzes die Vollmachterteilung grundsätzlich anfechten. Eine wirksame Anfechtung bewirkt nach § 142 Abs. 1 BGB, dass die Vollmachterteilung als von Anfang an nichtig anzusehen ist (ex tunc) und der Vertreter, wenn er schon rechtsgeschäftlich tätig geworden ist, ohne Vertretungsmacht gehandelt hat.

Hinsichtlich der Anfechtung der Vollmachterteilung ist wegen der Rückwirkung der Anfechtung zunächst danach zu unterscheiden, ob der Bevollmächtigte von seiner Vertretungsmacht bis zum Anfechtungszeitpunkt Gebrauch gemacht hat oder nicht.

– Anfechtung vor Vornahme des Rechtsgeschäfts: Hat der Bevollmächtigte das Rechtsgeschäft noch nicht getätigt, so beseitigt eine Anfechtung der Vollmachterteilung zwar rückwirkend (§ 142 Abs. 1 BGB) die rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht (Vollmacht, § 166 Abs. 2 S. 1 BGB); die Rechtsbeziehung zu einem etwaigen Dritten wird davon aber nicht berührt, da der Bevollmächtigte noch nicht tätig geworden ist. Auswirkungen hätte die Anfechtung der Vollmachterteilung nur auf zukünftig vom Vertreter im Namen des (ehemaligen) Vollmachtgebers getätigte Rechtsgeschäfte, da in der Vergangenheit keine Rechtsgeschäfte getätigt wurden (möglich ist vor der Vornahme des Rechtsgeschäft aber auch noch ein Widerruf der Vollmacht gemäß § 168 S. 2 BGB).

– Anfechtung nach Vornahme des Rechtsgeschäfts: Anders stellt sich die Rechtslage bei einer Anfechtung der Vollmachterteilung nach Gebrauch der Vollmacht dar. Die wirksame Anfechtung beseitigt die Vollmachterteilung rückwirkend (§ 142 Abs. 1 BGB). Dadurch entfällt die rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht ebenfalls rückwirkend. Hier ist aber streitig, ob eine Anfechtung überhaupt möglich ist. Einerseits könnte man nach Gebrauch der Vollmacht von einem Ausschluss der Anfechtung ausgehen. Andererseits erscheint es vorzugswürdiger, dass auch in diesem Fall die Vollmacht wie jede Willenserklärung auch nach Gebrauch anfechtbar ist. Folgeproblem ist dann aber, wer richtiger Anfechtungsgegner ist. Denkbar ist die Anfechtung gegenüber dem Vertretenen, dem Dritten oder eine Auswahl des Anfechtungsgegners danach, ob eine Innen- oder Außenvollmacht vorliegt.

Entschieden werden sollte der Streit unter Beachtung der unterschiedlichen Rechtsfolgen. Lässt man eine Anfechtung gegenüber dem Vertreter zu, so haftet der Vertreter dem Dritten aus § 179 Abs. 2 BGB und der Vollmachtgeber dem Vertreter auf Ersatz des Vertrauensschadens gemäß § 122 Abs. 1 BGB.

Bei einer Anfechtung gegenüber dem Dritten hat dieser gegen den Vollmachtgeber einen Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens gemäß § 122 Abs. 1 BGB. Der Vertreter haftet dem Dritten aus § 179 Abs. 2 BGB (ABER: der Schaden, den § 179 Abs. 2 BGB ersetzen will, wird regelmäßig schon durch die Haftung des Vollmachtgebers nach § 122 Abs. 1 BGB ausgeglichen. Deshalb entfällt eine Haftung des Vertreters meist mangels Schadens).

Dieses Ergebnis ist nicht interessengerecht. Es beinhaltet die Gefahr, dass der Dritte wegen einer möglichen Insolvenz des Vertreters auf seinem Schaden sitzen bleibt. Daher sollte dem Dritten ein Ersatzanspruch gegen den Vollmachtgeber analog § 122 Abs. 1 BGB zugesprochen werden.

Abb. 24

Bei Zulassung einer Anfechtung ist danach zu differenzieren, gegenüber wem (wirksam) angefochten wurde.

Anfechtung gegenüber dem Vertreter (Diese Möglichkeit besteht nur bei der ersten und zweiten Ansicht.)

Anfechtung gegenüber dem Dritten (Diese Möglichkeit besteht bei allen drei Ansichten.)

1. Vertreter hat gegen den Vollmacht-

geber einen Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens gemäß § 122 I BGB.

1. Dritter hat gegen den Vollmachtgeber

einen Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschaden gemäß § 122 I BGB.

2. Vertreter haftet dem Dritten aus

2. Vertreter haftet dem Dritten aus

§ 179 II BGB.

§ 179 II BGB.

Aber: Der Schaden, den § 179 II BGB ersetzen will, wird regelmäßig schon durch die Haftung des Vollmachtgebers nach § 122 I BGB ausgeglichen. Deshalb entfällt eine Haftung des Vertreters aus § 179 II BGB meist mangels Schadens des Dritten.

Dieses Ergebnis wird überwiegend für nicht interessengerecht gehalten. Es beinhaltet die Gefahr, dass der Dritte wegen einer möglichen Insolvenz des Vertreters auf seinem Schaden »sitzen bleibt«.

Deshalb

räumen die meisten Vertreter der Ansichten, die zu dieser Konstellation gelangen können, dem Dritten einen gegen den Vollmachtgeber gerichteten Ersatzanspruch gemäß § 122 I BGB analog ein. Dies führt auch dazu, dass eine Haftung des Vertreters aus § 179 II BGB meist mangels Schadens des Dritten entfällt.

bb) Erlöschen der Vollmacht

§ 168 BGB regelt die Erlöschensgründe der Vollmacht.

(a) Erlöschensgründe

§ 168 S. 1 BGB lässt das Grundverhältnis grundsätzlich über das Erlöschen (mit Wirkung für die Zukunft) entscheiden. Danach ist mit Beendigung des Grundverhältnisses in der Regel anzunehmen, dass auch die Vollmacht enden soll. Der Vollmachtgeber kann jedoch etwas anderes bestimmen.

Zu beachten ist im Rahmen des § 168 S. 1 BGB die Fiktion nach § 674 (Fortbestehen des Auftrags) bzw. § 729 BGB (Fortdauer der Geschäftsführungsbefugnis). Danach wird trotz Beendigung des Grundverhältnisses dessen Fortdauer zu Gunsten des Beauftragten bzw. zu Gunsten des Gesellschafters als fortbestehend fingiert. Diese Regelungen wirken sich jedoch nur dann zu Gunsten des Dritten aus, wenn dieser gutgläubig ist (§ 169 BGB).

Erlischt die Vollmacht nach § 168 S. 1 BGB, kann dies beim Dritten zu Problemen führen. Denn der Dritte braucht das sich aus dem Ablauf des Grundverhältnisses ergebende Ende der Vollmacht nicht zu kennen. Daraus ergibt sich ein Schutzbedürfnis des Dritten, dem die §§ 170ff. BGB Rechnung tragen.

Abb. 25

Erlöschensgründe bei der Vollmacht

die in § 168 BGB geregelten Erlöschensgründe

weitere Erlöschensgründe (keine Vollständigkeit)

§ 168 S. 1 BGB

§ 168 S. 2 u. 3 BGB

§ 168 S. 1 BGB lässt das Grundverhältnis grundsätzlich über das Erlöschen der Vollmacht entscheiden.

Widerruf

Voraussetzungen eines wirksamen Widerrufs

Zulässigkeit des Widerrufs

ordnungsgemäße Widerrufserklärung (§§ 168 S. 3, 167 I BGB)

Grundsatz

Ausnahme

Vollmacht ist frei widerruflich (§ 168 S. 2 BGB)

Widerruf ist ausgeschlossen

Vorliegen einer Widerrufserklärung (alle Voraussetzungen einer WE)

Widerrufender ist Widerrufsberechtigter

Widerruf muss gegenüber dem Bevollmächtigten oder gegenüber dem Dritten erfolgen

(Innenwiderruf oder Außenwiderruf; allerdings keine Symmetrie zur Erteilung erforderlich; dem Schutzinteresse des Dritten wird durch §§ 170 ff. BGB Rechnung getragen)

(b) Widerruf der Vollmacht (§ 168 S. 1 und 3 BGB)

Eine Vollmacht kann (mit Wirkung für die Zukunft) widerrufen werden. Voraussetzung ist, dass der Widerruf zulässig ist und ordnungsgemäß erklärt wird.

(c) Weitere Erlöschensgründe

Neben den in § 168 BGB aufgeführten kommen weitere Erlöschensgründe in Betracht. War die Vollmacht nur für bestimmte Geschäfte erteilt und sind diese durchgeführt oder undurchführbar geworden, erlischt die Vollmacht durch Erledigung.

Die Vollmacht erlischt grundsätzlich auch, wenn beim Bevollmächtigten der Tod oder die Geschäftsunfähigkeit eintritt. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Erteilung der Vollmacht typischerweise einen persönlichen Vertrauensbeweis beinhaltet, der nicht ohne Weiteres auf die Erben oder den Betreuer übertragen werden kann.

Außerdem erlischt die Vollmacht durch einen Verzicht des Bevollmächtigten, durch Ablauf der Frist bei einer befristeten Vollmacht und durch Eintritt einer auflösenden Bedingung.

cc) Folgen des Erlöschens der Vollmacht

Abb. 26

Die Folgen des Erlöschens der Vollmacht

Grundsatz

Ausnahmen

dem bisher Bevollmächtigten fehlt (mit Wirkung für die Zukunft) die Vertretungsmacht

Die gesetzlichen Ausnahmevorschriften der §§ 170 –173 BGB schützen den Dritten in bestimmten Fällen in seinem guten Glauben an das Fortbestehen einer einmal wirksam erteilten Vollmacht.

Ein Handeln im Namen des Vollmachtgebers wirkt nicht für und nicht gegen den Vollmachtgeber.

Handelnder haftet dem Dritten als Vertreter ohne Vertretungsmacht gemäß § 179 BGB.

die gesetzlich geregelten Fälle im einzelnen

§ 170 BGB

§ 171 BGB

§ 172 BGB

Voraussetzungen – Vorliegen einer Außenvollmacht

Voraussetzungen – Kundgabe der Bevollmächtigung

+

  • Erlöschen wurde dem

Dritten vom Vollmachtgeber noch nicht angezeigt

+

durch – Mitteilung an den Dritten oder – durch öffentliche Bekanntmachung

  • Gutgläubigkeit des Dritten

+

(§ 173 BGB)

  • Kundgabe ist noch nicht in derselben Weise widerrufen worden, wie sie erfolgt ist

+

  • Gutgläubigkeit des Dritten

(§ 173 BGB)

Voraussetzungen – Bevollmächtigtem wurde vom Vollmachtgeber eine Vollmachturkunde ausgehändigt

+

  • Vertreter hat dem Dritten die Urkunde vorgelegt

+

  • Vollmachturkunde ist dem Vollmachtgeber noch nicht zurückgegeben oder für kraftlos erklärt worden

+

  • Gutgläubigkeit des Dritten

(§ 173 BGB)

Wirkungen Die Vollmacht wird im Verhältnis zum Dritten so angesehen, als bestünde sie weiter.

Wirkungen Die Vollmacht wird im Verhältnis zum Dritten so angesehen, als bestünde sie weiter.

Wirkungen Die Vollmacht wird im Verhältnis zum Dritten so angesehen, als bestünde sie weiter.

c) Vertretungsmacht aus einer gesetzlichen Regelung

Die Vertretungsmacht kann auf einer gesetzlichen Vorschrift beruhen – gesetzliche Vertretungsmacht. Die gesetzliche Vertretungsmacht ist die Vertretungsmacht, die das Gesetz bestimmten Personen verleiht.

Ob das Gesetz eine Vertretungsmacht vorsieht, richtet sich nach der Person des Vertretenen. Wenn dieser Vertretene nicht selbst rechtswirksame Erklärungen abgeben kann (und deshalb auch keine Vollmacht erteilen kann), bestimmt das Gesetz für ihn einen gesetzlichen Vertreter:

  • Kinder können wirksame Willenserklärung überhaupt nicht (§§ 104 Nr. 1, 105 Abs. 1 BGB) und Jugendliche nur

beschränkt (§§ 107ff. BGB) abgeben, weswegen sie ihrer Eltern als ihrer gesetzlichen Vertreter bedürfen

  • eine Gesellschaft kann als juristische Person (so jedenfalls Aktiengesellschaft und GmbH) weder reden noch hören und

bedarf deshalb erst recht eines gesetzlichen Vertreters

Auf die gesetzliche Vertretung finden die §§ 164ff. BGB Anwendung, soweit das Gesetz nicht ausdrücklich eine Vollmacht voraussetzt (wie z.B. in den §§ 166 Abs. 2, 167, 168 BGB).

Abb. 27

Gesetzliche Vertreter

bei nicht voll geschäftsfähigen Personen

bei juristischen Personen und Personen(handels)- gesellschaften

bei besonderen Vermögensmassen

Eltern Vormund Betreuer

Insovenzverwalter Nachlassverwalter Testamentsvollstrecker

Organe bzw. gesetzliche Vertreter (Vorstand, GmbHGeschäftsführer, Gesellschafter der OHG, persönlich haftende Gesellschafter der KG)

aa) Eltern

Der klassische Fall der gesetzlichen Vertretungsmacht ist die der Eltern für ihre nicht volljährigen Kinder (§§ 1626 Abs. 1 S. 1, 1629 Abs. 1 S. 1 BGB).

bb) Vormund und Betreuer

Eine ähnliche Vertretungsmacht wie die der Eltern hat der an ihre Stelle tretende Vormund -eines Minderjährigen (§ 1793 BGB). Auch der Betreuer eines Volljährigen hat die Stellung eines gesetzlichen Vertreters (§ 1902 BGB). Der Unterschied zur gesetzlichen Vertretungsmacht der Eltern ist insbesondere der, dass die Eltern nicht von irgendjemand zu Eltern ernannt werden müssen, während Vormund und Betreuer amtlich bestellt werden.

cc) Gesetzliche Vertreter juristischer Personen

Nach § 26 Abs. 2 BGB hat der Vorstand eines Vereins »die Stellung eines gesetzlichen Vertreters«. Die Vertretungsmacht des Vereinsvorstandes geht noch über den Umfang der elterlichen Sorge hinaus, weil es keine Geschäfte gibt, für die der Vereinsvorstand der Genehmigung des Gerichts bedürfte. Gesetzliche Vertreter ihrer Gesellschaften sind auch der Vorstand einer AG (§ 78 AktG), der Geschäftsführer einer GmbH (§ 35 Abs. 1 GmbHG) sowie die Gesellschafter der OHG (§ 125 HGB) und die persönlich haftenden Gesellschafter der KG (§§ 161 Abs. 2, 125 HGB).

dd) Insolvenzverwalter und andere »Parteien kraft Amtes«

Der Insolvenzverwalter hat kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 1 InsO) das Verwaltungs- und Verfügungsrecht hinsichtlich des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens des Gemeinschuldners.

Die Rechtsstellung des Insolvenzverwalters ist strittig. Nach der herrschenden Amtstheorie ist der Insolvenzverwalter als amtlich bestelltes Organ ein Amtstreuhänder, der im eigenen -Namen handelt und deshalb im Prozess selbst Partei ist, also Kläger und/oder Beklagter. Im Übrigen kommt seine Rechtsstellung auch nach herrschender Auffassung der des gesetzlichen Vertreters recht nahe.

Das Gleiche gilt für den Nachlassverwalter (§ 1985 BGB). Auch die Stellung des Testamentsvollstreckers (§ 2205 BGB) ist der des gesetzlichen Vertreters im weiteren Sinne in gewissen Beziehungen angenähert.

d) Rechtsscheinvollmacht

Fehlt das Vorliegen einer gesetzlichen oder rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht, so kann dies dadurch überwunden werden, dass der zurechenbare Rechtsschein einer Vollmacht gesetzt wurde.

Erfasst werden davon Fälle, in denen eine Vollmacht von vornherein nicht bestand und der Dritte nur aufgrund des Erscheinungsbildes annehmen durfte, dass eine Vollmacht erteilt worden sei (im Gegensatz zu §§ 170–173 BGB, wo es um den Fortbestand erteilter und später erloschener Vollmachten geht). Wenn der Vertretene in solchen Fällen seinerseits dazu beigetragen hat, dass sich für den Dritten der Schein einer Vollmacht des Vertreters ergibt, dann ist der Dritte schutzwürdiger als der Vertretene. Deshalb ist es berechtigt, den Vertretenen im Interesse des Dritten so zu behandeln, als ob er den Vertreter bevollmächtigt hätte. Aus den allgemeinen Rechtsgedanken der §§ 170ff. BGB wurde insofern die Duldungs- und Anscheinsvollmacht entwickelt.

aa) Duldungsvollmacht

Eine Duldungsvollmacht ist gegeben, wenn:

  • der Vertretene das Auftreten des Handelnden kennt und duldet (Setzen des Rechtsscheins)
  • Geschäftsfähigkeit des Vertretenen vorliegt
  • der Dritte gutgläubig bzgl. der Vertretungsmacht ist (§ 173 BGB analog)
  • und Kausalität des Rechtsscheins für das Handeln des Dritten gegeben ist.

Bei Vorliegen der Voraussetzungen bestimmen sich die Rechtsfolgen so, als ob eine Vollmacht vorläge.

bb) Anscheinsvollmacht

Eine Anscheinsvollmacht liegt vor bei:

  • Auftreten eines Vertreters von einer gewissen Häufigkeit und Dauer
  • wenn der Vertretene dieses Auftreten bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können (Setzen des

Rechtsscheins)

  • Geschäftsfähigkeit des Vertretenen
  • Gutgläubigkeit des Dritten bzgl. der Vertretungsmacht (§ 173 BGB analog)
  • Kausalität des Rechtsscheins für das Handeln des Dritten.

Bei Vorliegen der Voraussetzungen bestimmen sich analog die Rechtsfolgen so, als ob eine Vollmacht vorläge.

IV. Wirkungen der Stellvertretung

Abb. 28

mögliche Wirkungen der Stellvertretung

Normalfall (Alle Voraussetzungen einer wirksamen Stellvertretung liegen vor.)

kein Handeln im fremden Namen

fehlende Vertretungsmacht

Differenzierung

Verträge

einseitige Rechtsgeschäfte

Ausnahmefall des § 180 S. 2 BGB

Grundsatz

wirksame Vertretung (§§ 164 I 1, III BGB), Rechtsgeschäft wirkt zwischen dem Vertretenen und dem Dritten

Eigengeschäft des Handelnden, bei einem Irrtum diesbezüglich ist die Anfechtung ausgeschlossen (§ 164 II BGB)

Möglichkeit der Genehmigung (§ 177 I BGB); Haftung des Vertreters auf Erfüllung bzw. Schadenersatz (§ 179 BGB)

Vertretung unzulässig (§ 180 S. 1 BGB)

V. Begrenzung der Vertretungsmacht

Der (gesetzlichen und der rechtsgeschäftlichen) Vertretungsmacht sind in besonderen Fällen Grenzen gesetzt.

1. Missbrauch der Vertretungsmacht

für das Oben wurde bereits gezeigt, dass die Vertretungsmacht grundsätzlich vom Grundverhältnis, welches Innenverhältnis relevant ist, zu unterscheiden ist. Das Abstraktionsprinzip bezweckt nun, die Vertretungsmacht im Interesse des Dritten von dem Innenverhältnis zwischen Vertreter und Vertretenen unabhängig zu machen.

Handelt der Vertreter im Rahmen der Vertretungsmacht, so wirkt das Geschäft grundsätzlich für und gegen den Vertretenen. Diese Wirkung tritt in der Regel auch dann ein, wenn der Vertreter im Innenverhältnis gegenüber dem Vertretenen nicht so handeln darf. Dieser Grundsatz schützt das Interesse des Dritten und bürdet dem Vertretenen grundsätzlich das Risiko des Missbrauchs auf.

Von diesem Grundsatz sind jedoch zwei Ausnahmen anerkannt:

  • Kollusion: Wirken Vertreter und Dritter bewusst zum Nachteil des Vertretenen zusammen, wird der Vertretene trotz bestehender Vertretungsmacht nicht gebunden. Das bewusste Zusammenwirken stellt ein gegen die guten Sitten verstoßendes Verhalten dar (§ 138 BGB)
  • Evidenz: Bei Evidenz hat der Vertreter ersichtlich (evident) missbräuchlich von seiner Vertretungsmacht Gebrauch gemacht, so dass der Dritte Zweifel haben musste. Hier kann der Vertretene die Arglisteinrede gemäß § 242 BGB erheben

Soweit der Vertretene den Vertreter nicht in zumutbarer Weise kontrolliert hat, kommt die Anrechnung eines Mitverschuldens gemäß § 254 BGB in Betracht.

Trotz Missbrauchs der Vertretungsmacht hat der Geschäftsherr analog § 177ff. BGB die Möglichkeit, das Geschäft zu genehmigen und an sich zu ziehen.

2. Insichgeschäft

Das Insichgeschäft ist ein Rechtsgeschäft, das eine Person mit sich selbst vornimmt, wobei sie auf mindestens einer Seite als Vertreter auftritt.

Der Wortlaut des § 181 BGB bestimmt positiv und negativ die Voraussetzungen.

Abb. 29

Voraussetzungen des Insichgeschäftes nach dem Wortlaut des § 181 BGB

positive Voraussetzungen

negative Voraussetzungen

oder

und

§ 181 Alt. 1 BGB

§ 181 Alt. 2 BGB

Vertreter nimmt im Namen des Vertretenen mit sich im eigenen Namen ein Rechtsgeschäft vor.

Vertreter nimmt im Namen des Vertretenen mit einem Dritten als Vertreter des Dritten ein Rechtsgeschäft vor.

Dem Vertreter ist die Vornahme eines Insichgeschäftes nicht gestattet.

Das Rechtsgeschäft besteht nicht ausschließlich in der Erfüllung einer Verbindlichkeit.

Eine interessengerechte Einschränkung des § 181 BGB wird dahingehend vorgenommen, das die Norm nicht für lediglich rechtlich vorteilhafte Rechtsgeschäfte gilt. Zu erweitern ist die Anwendung des § 181 BGB auf Umgehungsversuche, wie z.B. die Umgehung durch Erteilung einer Untervollmacht.

Ist § 181 BGB einschlägig, ist das vorgenommene Geschäft aufgrund der fehlenden Vertretungsmacht schwebend unwirksam.

»Der Spülmaschinen-Fachmann«

A hat gerade sein Abitur erfolgreich bestanden und möchte sich nun den Rechtswissenschaften widmen. Bei den Verhandlungen über eine neue Wohnung bietet ihm der Vormieter X seine gebrauchte Spülmaschine zum Kauf an. Da A in technischen Dingen aber wenig bewandert ist, bittet er seinen Schulfreund und E-Technik Studenten B, sich das Gerät anzuschauen. X gegenüber erklärt A, sein Freund B werde am nächsten Tag die Spülmaschine prüfen und bei technisch tadellosem Zustand das Gerät für

ihn kaufen. Aufgrund von universitären Verpflichtungen hat es sich B inzwischen anders überlegt und lehnt die Hilfe beim Kauf der Spülmaschine ab. Da aber eine Vorlesung ausfällt, geht B trotzdem zu X, prüft das Gerät und einigt sich über den Kauf. Es ist bei den Verhandlungen nicht ersichtlich geworden, ob der B nun für sich oder für den A erwerben will. Benachrichtigt wurde der A von X, der die Lieferung an dessen Vertreter B gegen Zahlung berichtete.

A verlangt von B Herausgabe der Spülmaschine. B weigert sich.

Ansprüche A gegen B?

D. Anfechtung

Die Anfechtung stellt das Bindeglied zwischen Parteiautonomie und Schutz des Rechtsverkehrs dar. Sie ist eines der klausurrelevantesten Gestaltungsrechte. Die (grds.) Rechtsfolge – ex-tunc-Nichtigkeit der Willenserklärung – ist in § 142 BGB geregelt, die Anfechtungsgründe in den §§ 119ff. BGB.

I. Voraussetzungen einer wirksamen Anfechtung

Folgende Voraussetzungen müssen für eine wirksame Anfechtung gegeben sein:

Abb. 30

Anfechtung

  • Voraussetzungen
  • (Zulässigkeit der Anfechtung)

1. Anfechtungserklärung (§ 143 I BGB) 2. Anfechtungsgrund (§§ 119 I (Alt. 1 oder Alt. 2), II; 120; 123 BGB) 3. Anfechtungsfrist (§§ 121, 124 BGB)

II. Rechtsfolge

Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts ex tunc (von Anfang an) (§ 142 BGB)

Für Gestaltungsrechte kann man sich grundsätzlich drei Elemente merken: Gestaltungsgrund, Erklärung, kein Ausschluss.

1. Zulässigkeit der Anfechtung

Grundsätzlich ist jede Willenserklärung nach den §§ 119ff. BGB anfechtbar. Dennoch gibt es mehrere Ausnahmen, nach denen eine Anfechtung unzulässig ist.

a) Unzulässigkeit aufgrund gesetzlicher Sonderregelung

Im Familien- und Erbrecht bestehen Sondervorschriften, die die §§ 119ff. BGB ausschließen

– §§ 1313ff. BGB (ehemals §§ 31ff. EheG) – §§ 1598 BGB (Anerkennung der Vaterschaft) – §§ 1949ff. BGB (Irrtum über den Berufungsgrund bei der Erbschaftsannahme) – §§ 2078, 2080, 2281, 2283 BGB (Anfechtung einer letztwilligen Verfügung im Testament; gilt gemäß § 2281 BGB auch

für letztwillige Verfügungen im Erbvertrag), wobei hier keine vollständige Verdrängung der §§ 119ff. BGB erfolgt

(P) Es

ist umstritten, ob die Vorschrift des § 119 Abs. 2 BGB

ist ausgeschlossen, wenn die

Sachmängelgewährleistungsregeln eingreifen.

▪ Vgl. Bork, Allgemeiner Teil des BGB, 2. Aufl. 2006, Rdn. 856 mwN.

b) Unzulässigkeit bei bestimmten Gründungs- und Beitrittserklärungen

In bestimmten Fällen sind die Gründungs- und Beitrittserklärungen zu bestimmten Verbänden (insb. Gesellschaften) nicht wegen Willensmängeln gemäß §§ 119ff. BGB anfechtbar, wenn das Rechtsinstitut der fehlerhaften Gesellschaft eingreift.

Gleiches gilt bei Kapitalgesellschaften auf der Grundlage der gesellschaftsrechtlichen Sonderregeln mit Blick auf den sonst beeinträchtigten Gläubigerschutz.

c) Unzulässigkeit bei fingierten Willenserklärungen und Rechtsscheintatbeständen

Die §§ 119ff. BGB sind nicht uneingeschränkt bei fingierten Willenserklärungen und Rechtsscheintatbeständen anwendbar.

Abb. 31

Zulässigkeit der Anfechtung

Grundsatz:

Anfechtung zulässig

Ausnahmen: Anfechtung unzulässig

gesetzliche Sonderregelungen bestehen

bei bestimmten Gründungs- oder Beitrittsakten

bei fingierten Willenserklärungen und bei Rechtsscheintatbeständen

Wenn Rechtsscheintatbestände Rechtsfolgen auslösen, die im Regelfall durch Abgabe einer WE herbeigeführt werden, kann dieser Rechtsschein nicht durch Anfechtung gem. §§ 119 ff. BGB beseitigt werden (Erman / H. Palm, BGB, 10. Aufl., § 119 Rdn 11; Soergel / Hefermehl § 119 Rdn 74).

Ausgeschlossen ist eine Anfechtung idR bei fingierten und unwiderlegbar vermuteten Willenserklärungen (Erman / H. Palm, BGB, 10. Aufl., § 119 Rdn 10; Soergel / Hefermehl § 119 Rdn 74 und vor § 116 Rdn 67). Dies ergibt sich daraus, dass die Fiktion meist Ausdruck einer Rechtsfolge ist, die im Interesse des Verkehrs ohne Rücksicht darauf eintreten soll, ob diese Wirkung dem Willen eines Beteiligten entspricht (Beispiele: Genehmigung eines Vertragsschlusses durch den gesetzlichen Vertreter nach Aufforderung durch den Vertragspartner gem. § 108 II 2 BGB, Genehmigung des Vertragsschlusses eines Vertreters ohne Vertretungsmacht durch den Geschäftsherrn (Vertretenen) nach Aufforderung durch den Geschäftsgegner gem. § 177 II 2 BGB).

Eine Ausnahme hiervon ist dann zu machen, wenn die Fiktion Ausdruck eines vermuteten Willens ist (z.B. bei § 568 BGB oder § 362 I HGB). In diesen Fällen ist die Berufung auf Willensmängel nicht stets verwehrt. Der Betreffende kann sich aber auch in diesen Fällen nicht darauf berufen, dass er die Bedeutung seines Verhaltens (häufig seines Schweigens) nicht kannte.

2. Anfechtungsgrund

Zu einer wirksamen Anfechtung bedarf es eines Anfechtungsgrundes. Zur Orientierung mag die folgende Übersicht dienen.

Abb. 32

Anfechtungsgründe

§ 119 I BGB

§ 119 II BGB Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft

§ 120 BGB Falschübermittlung durch einen Boten

§ 123 BGB

  • arglistige Täuschung
  • widerrecht- liche Drohung

Inhaltsirrtum Alt. 1

Erklärungsirrtum Alt. 2

er weiß nicht,

was er damit erklärt

was er erklärt

a) Der Anfechtungsgrund des § 119 Abs. 1 BGB

Eine Willenserklärung ist gemäß § 119 Abs. 1 BGB anfechtbar, wenn die abgegebene Erklärung und das mit der Erklärung Gewollte unbewusst auseinander fallen.

§ 119 Abs. 1 BGB enthält zwei zu unterscheidende Fälle:

– Inhaltsirrtum, § 119 Abs. 1 Fall 1 BGB: Hier entspricht der äußere Tatbestand der Erklärung dem Willen des Erklärenden, dieser irrt aber über die Bedeutung oder Tragweite der Erklärung. »Der Erklärende weiß, was er sagt, er weiß aber nicht, was er damit sagt« (z.B. Irrtum über die Person des Geschäftsgegners; Irrtum über Kaufobjekt; Irrtum über Rechtsnatur des Geschäfts). In den Bereich des Inhaltsirrtums ist auch der Irrtum über Rechtsfolgen der Erklärung einzuordnen. Dieser Irrtum ist aber grundsätzlich unbeachtlich.

(P) Es ist umstritten, ob auch ein Kalkulationsirrtum zur Anfechtung gem. § 119 Abs. 1 BGB berechtigt (bzw. sollte dies thematisiert werden. Hierbei wird nicht etwa unbewusst ein falscher Preis genannt, sondern der Irrtum in der Preiserstellung entsteht bereits im vorbereitenden Stadium. Dabei ist zunächst zwischen einem verdeckten und einem offenen Kalkulationsirrtum zu unterscheiden. Bei einem verdeckten Kalkulationsirrtum wird die Berechnungsgrundlage dem Erklärungsempfänger nicht mitgeteilt und somit auch nicht Teil der Erklärung. Dies soll nach der h.M. auch dann gelten, wenn der Erklärungsempfänger den Irrtum erkannt hat oder hätte erkennen müssen (z.B. bei deutlich zu günstigen Angeboten). Bei einem offenen Kalkulationsirrtum wird dem Erklärungsempfänger neben dem Preis auch die Berechnungsgrundlage mitgeteilt. Hier ist nach h.M. jedoch auch die Anfechtung abzulehnen, denn auch hier liegt kein Irrtum über die Erklärung als solche vor; eine Korrektur ist jedoch über Auslegung oder Dissens, § 242 BGB oder § 313 BGB zu lösen.

▪ Vgl. Bork, Allgemeiner Teil des BGB, Rdn. 856 mwN.

  • Erklärungsirrtum, § 119 Abs. 1 Fall 2 BGB: Dieser Irrtum liegt vor, wenn schon der äußere Erklärungstatbestand nicht

dem Willen des Erklärenden entspricht (z.B. Versprechen, Verschreiben, Vertippen, Vergreifen etc.).

b) Der Anfechtungsgrund des § 119 Abs. 2 BGB

Als Anfechtungsgrund kommt gemäß § 119 Abs. 2 BGB auch der Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft einer Person oder Sache in Betracht.

(P) Es

ist umstritten, ob die Vorschrift des § 119 Abs. 2 BGB ausgeschlossen

ist, wenn die

Sachmängelgewährleistungsregeln eingreifen. Nach h.M. ist dies in jedem Fall ausgeschlossen, da sich zum einen der Verkäufer nicht seien gesetzlichen Gewährleistungspflichten entziehen soll. Zum anderen soll auch nicht der Käufer das Recht der zweiten Andienung des Verkäufers umgehen können. Die ist wohl jedenfalls dann der Fall, wenn der Gefahrübergang stattgefunden hat. Nach a.A. soll zwar § 119 Abs. 2 BGB auch in diesen Fällen einschlägig sein, jedoch soll sich der Anfechtende nach § 242 BGB nicht auf den Anfechtungsgrund berufen können, wenn er damit die Regelungen des Sachmängelgewährleistungrechts umgeht.

▪ Vgl. Bork, Allgemeiner Teil des BGB, Rdn. 856 mwN.

Irrtumsobjekt – Sache oder Person: Nach dem Wortlaut des § 119 Abs. 2 BGB greift dieser nur ein, wenn es sich um eine Eigenschaft einer Sache oder Person handelt. Es ist aber allgemein anerkannt, dass der Sachbegriff des § 119 Abs. 2 BGB nicht der des § 90 BGB ist, sondern alle Gegenstände (nicht nur körperliche) umfasst.

Eigenschaft: Eigenschaften sind alle Merkmale, die dem Irrtumsobjekt auf Dauer anhaften und seinen Wert bestimmen.

Verkehrswesentlichkeit: Eine Eigenschaft ist verkehrswesentlich, wenn sie für die Abwicklung des Rechtsgeschäftes von Bedeutung ist.

(P) Umstritten ist, ob § 119 Abs. 2 BGB ausgeschlossen ist, wenn die beiden Parteien sich gemeinsam über eine Eigenschaft geirrt haben (sog. Doppelirrtum). Die Rechtsprechung verneint eine Anfechtung und wendet den § 313 Abs. 2 BGB »Störung der Geschäftsgrundlage« an. Ein Teil der Literatur lässt die Anfechtung aus § 119 Abs. 2 BGB in solchen Fällen zu.

Vgl. Heinrichs in: Palandt, BGB, § 119 Rdn. 30. § 313 Rdn. 21 mwN.

c) Der Anfechtungsgrund des § 120 BGB

Der Anfechtungsgrund des § 120 BGB liegt vor, wenn die Willenserklärung des Erklärenden durch eine Person oder Anstalt unrichtig übermittelt wurde. Er ist auch einschlägig, wenn durch ein Fehler in der EDV statt dem eingegebenen Preis an anderer Preis, z.B. in einem Webshop, angezeigt wird.

Das setzt voraus, dass der Übermittelnde Erklärungsbote ist und die Erklärung unbewusst unrichtig übermittelt hat. Bei bewusst unrichtiger Übermittlung ist der Übermittelnde ein Pseudobote. Bei ihm greifen die Vertretungsregeln analog (§§ 177ff. BGB).

d) Arglistige Täuschung als Anfechtungsgrund gemäß § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB

Gemäß § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB ist zur Anfechtung berechtigt, wer durch arglistige (und widerrechtliche) Täuschung zur Abgabe der Willenserklärung veranlasst worden ist.

Voraussetzungen sind demnach: – Täuschungshandlung – Irrtum – Kausalität zwischen Täuschungshandlung, Irrtum und Abgabe der Willenserklärung – Widerrechtlichkeit – Arglist – Kein Ausschluss gemäß § 123 Abs. 2 BGB

Täuschungshandlung: Eine Täuschungshandlung verlangt (1.) eine Einwirkung auf das Vorstellungsbild eines anderen, (2.) bezogen auf (innere oder äußere) Tatsachen (Vorgänge oder Zustände, die sinnlich wahrnehmbar in Erscheinung getreten sind), die nicht zutreffen, (3.) durch ein Verhalten, das einen bestimmten Erklärungswert hat.

Relevant ist damit grundsätzlich nur positives Tun (ausdrückliche Erklärung/konkludentes Verhalten). Insbesondere ist auf Fragen wahrheitsgemäß und umfassend zu antworten.

(P) In bestimmten Konstellationen kann jedoch auch das Unterlassen einer Aufklärung als Täuschungshandlung im Sinne des § 123 Abs. 1 Fall 1 BGB gewertet werden. Dies ist dann der Fall, wenn sich aus Gesetz, besonderem Vertrauensverhältnis, pflichtwidrigem Vorverhalten oder Treu und Glauben Aufklärungspflichten ergeben. Dies ist insbesondere der Fall bei Fragen, nach denen umfassend geantwortet werden muss (BGH NJW-RR 1998, 1406), Situationen, bei denen eine Seite überlegenes Wissen hat oder die entsprechende Informationen entscheidenden Einfluss auf das Zustandekommen eines Vertrages hat (z.B. Zustand als Unfallwagen, BGHZ 47, 224, 227 ff).

Irrtum: Der Täuschende muss bei einem anderen einen Irrtum erregt, verstärkt oder unterhalten haben. Irrtum ist jede Fehlvorstellung über Tatsachen.

Kausalität: Die abgegebene Willenserklärung muss durch den Irrtum, und dieser wiederum muss durch die Täuschung verursacht worden sein.

Widerrechtlichkeit: Diese Voraussetzung erschließt sich nicht aus dem Gesetzestext. Der Gesetzgeber war der Ansicht, dass eine Täuschung – anders als die Drohung – per se widerrechtlich sei. Dabei wurde jedoch übersehen, dass in bestimmten Fällen die Widerrechtlichkeit fehlen kann. Um in diesen Fällen – bei denen zwar eine Täuschung vorliegt, diese aber nicht widerrechtlich ist – eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung auszuschließen, ist auch bei § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB das Merkmal der Widerrechtlichkeit zu verlangen.

(P) Einschlägige Fälle treten zumeist bei unzulässigen Fragestellungen im Rahmen von Bewerbungsgesprächen um

einen Arbeitsplatz auf.

Arglist: Der Täuschende muss arglistig gehandelt haben. Arglist setzt zunächst voraus, dass der Täuschende das Bewusstsein hat – Eventualvorsatz ist insoweit ausreichend –, dass die erklärte Tatsache nicht zutrifft und die Willenserklärung ohne Täuschung nicht oder mit einem anderen Inhalt abgegeben worden wäre. Eine Schädigungsabsicht oder ein Schädigungsvorsatz ist nicht erforderlich.

(P) Streitig ist allerdings, ob das Merkmal der Arglist ausgeschlossen ist, wenn der Täuschende lediglich »das Beste« des Getäuschten gewollt hat. Der BGH vertritt die Auffassung, dass in diesem Fall das Merkmal der Arglist ausgeschlossen sei. Die Literatur folgt dem nicht, da jeder voll Geschäftsfähige selbst darüber bestimmen sollte, was für ihn am besten ist.

▪ Vgl. BGH, NJW 1974, 1505; Bork, Allgemeiner Teil des BGB, 2. Aufl. 2006, Rdn. 865ff.; Medicus, Allgemeiner Teil

des BGB, 7. Aufl. 1997, Rdn. 789.

(P) Problematisch sind zudem Aussagen „Ins Blaue hinein“, also Aussagen, bei denen der Erklärende tatsächlich nicht weiß, ob seine Aussage korrekt ist. Nachdem jedoch in Bezug auf Arglist dolus eventualis ausreicht, ist auch in diesen Fällen in der Regel Arglist anzunehmen.

Kein Ausschluss (§ 123 Abs. 2 BGB): Hat ein Dritter die Täuschung begangen und war die Erklärung des Getäuschten empfangsbedürftig, so kann der Getäuschte seine Willenserklärung nur unter bestimmten Voraussetzungen anfechten.

Im Einzelnen ist im Rahmen des § 123 Abs. 2 BGB folgende gedankliche Differenzierung vorzunehmen:

Abb. 33

Differenzierung im Rahmen der Prüfung des § 123 Abs. 2 BGB

nicht empfangsbedürftige Willenserklärung

empfangsbedürftige Willenserklärung

Diffenzierung: Wer täuscht?

Erklärungsempfänger oder eine Person, deren Verhalten dem Erklärungsempfänger zuzurechnen ist (die zweite Alt. ergibt sich nur aus dem Sinn des § 123 II BGB), täuscht.

Dritter täuscht.

Ausnahmen

Grundsatz

Empfänger der Willenserklärung war bösgläubig (§ 123 II 1 BGB).

Ein anderer (als derjenige, gegenüber dem die Erklärung abzugeben war), der aus der Erklärung unmittelbar ein Recht erworben hat, war bösgläubig (§ 123 II 2 BGB).

§ 123 II BGB greift nicht = Eine Anfechtung nach § 123 I Alt. 1 BGB ist nicht gemäß § 123 II BGB ausgeschlossen.

Gegenüber dem anderen ist die Erklärung anfechtbar.

§ 123 II BGB greift = Eine Anfechtung nach § 123 I Alt. 1 BGB ist gemäß § 123 II BGB ausgeschlossen.

e) Widerrechtliche Drohung

Gemäß § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB ist zur Anfechtung berechtigt, wer durch widerrechtliche Drohung zur Abgabe der Willenserklärung veranlasst worden ist. Dabei kommt es im Gegensatz zum Anfechtungsgrund des § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB (arglistige Täuschung) mangels Anwendbarkeit des § 123 Abs. 2 BGB nicht auf die Person des Drohenden an.

Die Voraussetzungen sind demnach:

  • Drohung
  • Kausalität zwischen Drohung und Abgabe der Willenserklärung
  • Wille des Drohenden, den anderen zur Abgabe einer Willenserklärung zu bestimmen
  • Widerrechtlichkeit
  • Bewusstsein der Widerrechtlichkeit

Drohung: Drohung ist die Ankündigung eines empfindlichen Übels, dessen Eintritt der Handelnde aus Sicht des Adressaten beeinflussen kann.

Kausalität: Es ist zwischen der Drohung und der Abgabe der Willenserklärung Kausalität zu verlangen.

Wille des Drohenden: Außerdem ist der Wille des Drohenden, den anderen zur Abgabe einer Willenserklärung zu bestimmen, erforderlich.

Widerrechtlichkeit: Der Erklärende muss zur Abgabe seiner Willenserklärung widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden sein. Widerrechtlichkeit ist gegeben, wenn das Zwangsmittel, der verfolgte Zweck oder die Verknüpfung des Mittels mit dem angestrebten Zweck rechtswidrig ist (fraglich bei Drohung mit Strafanzeige).

3. Ordnungsgemäße Anfechtungserklärung

Eine ordnungsgemäße Anfechtungserklärung setzt sich aus folgenden Komponenten zusammen:

  • Vorliegen einer Anfechtungserklärung
  • Anfechtender ist Anfechtungsberechtigter
  • Anfechtung erfolgt gegenüber dem Anfechtungsgegner
  • Einhaltung der Anfechtung(-erklärungs)frist

a) Vorliegen einer Anfechtungserklärung

Die Anfechtungserklärung ist ein einseitiges, empfangsbedürftiges Rechtsgeschäft (§ 143 Abs. 1 BGB). Demzufolge muss sie alle Merkmale einer Willenserklärung enthalten; so müssen etwa die Elemente einer Willenserklärung vorliegen. Die Anfechtungserklärung muss insoweit unmissverständlich darauf schließen lassen, dass die angefochtene Willenserklärung wegen des Willensmangels nicht gelten soll (Schließen lassen auf einen bestimmten Geschäftswillen); die Nennung des Wortes „Anfechtung“ ist dabei jedoch nicht nötig. Dabei ist die Anfechtungserklärung als rechtsgestaltende Erklärung bedingungsfeindlich.

b) Anfechtungsberechtigung des Erklärenden

Die Anfechtung muss von dem zur Anfechtung Berechtigten erklärt werden oder ihm zurechenbar sein. Zur Anfechtung berechtigt in dessen Person die Rechtsfolgen der wirksam gewordenen Willenserklärung eingetreten sind.

ist grundsätzlich derjenige,

c) Richtiger Anfechtungsgegner

richtigen Anfechtungsgegner erklärt worden sein. Richtiger Die Anfechtungserklärung muss gegenüber dem Anfechtungsgegner ist gemäß § 143 Abs. 2 BGB regelmäßig der Vertragspartner. Bei einseitigen empfangsbedürftigen Willenserklärungen richtiger Anfechtungsgegner der Erklärungsempfänger. Bei nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen ist es derjenige, der auf Grund des Rechtsgeschäftes unmittelbar einen rechtlichen Vorteil erlangt hat (§ 143 Abs. 4 BGB).

ist

Zur Anfechtung einer Vollmacht oben Kap. III 4. b) aa) (2).

d) Einhaltung der Anfechtungsfrist

Die Anfechtungserklärung muss fristgerecht erfolgen. Hinsichtlich der Frist, innerhalb derer die Anfechtung erfolgen muss, ist nach den Anfechtungsgründen zu differenzieren. Erfolgt die Anfechtung nach den §§ 119f. BGB, ist die Anfechtung gemäß § 121 BGB unverzüglich, nachdem der Anfechtungsberechtigte vom Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat, zu erklären. Bei Abwesenden ist dabei für den Zeitpunkt auf die Abgabe der Erklärung abzustellen. Stützt sich die Anfechtung aber auf § 123 BGB, beträgt die Anfechtungsfrist ein Jahr (§ 124 Abs. 1 BGB). Diese einjährige Anfechtungsfrist beginnt bei der arglistigen Täuschung in dem Zeitpunkt, in dem der Anfechtungsberechtigte die Täuschung entdeckt hat, und bei der widerrechtlichen Drohung in dem Zeitpunkt, in dem die Zwangslage aufhört.

Eine Anfechtung ist aber in jedem Fall dann nicht mehr möglich, wenn seit der Abgabe der (anfechtbaren) Willenserklärung zehn Jahre verstrichen sind (§ 121 Abs. 2 BGB bzw. § 124 Abs. 3 BGB).

Abb. 34

Anfechtungs(erklärungs)frist

Differenzierung nach Anfechtungsgründen

Anfechtung stützt sich auf §§ 119 f. BGB.

Anfechtung stützt sich auf § 123 BGB.

§ 121 BGB

§ 124 BGB

Anfechtung hat unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern), nachdem der Anfechtungsberechtigte vom Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat, zu erfolgen.

Für die Einhaltung der Frist genügt die Rechtzeitigkeit der Absendung (§ 121 I 2 BGB)

Anfechtung hat innerhalb eines Jahres, nachdem die Täuschungs- bzw. Zwangslage beendet war, zu erfolgen.

Für die Einhaltung der Frist genügt die Rechtzeitigkeit der Absendung (§ 121 I 2 BGB analog).

Eine Anfechtung ist aber dann nicht mehr möglich, wenn seit der Abgabe der (anfechtbaren) Willenserklärung dreißig Jahre verstrichen sind (§ 121 II BGB).

Eine Anfechtung ist aber dann nicht mehr möglich, wenn seit der Abgabe der (anfechtbaren) Willenserklärung dreißig Jahre verstrichen sind (§ 124 III BGB).

4. Kein Ausschluss der Anfechtung

Die Anfechtung darf nicht ausgeschlossen sein.

a) Kein Ausschluss gemäß § 144 BGB

Ein Ausschluss der Anfechtung kann sich aus § 144 BGB ergeben. Danach ist die Anfechtung ausgeschlossen, wenn der Anfechtungsberechtigte das Rechtsgeschäft bestätigt hat. Erforderlich ist insoweit ein Verhalten, das den Willen offenbart, trotz Anfechtbarkeit an dem Rechtsgeschäft festzuhalten. Diese Erklärung ist nach ganz herrschender Meinung nicht empfangsbedürftig (vgl. Wortlaut des § 144 Abs. 1 BGB), so dass sie auch einem Dritten gegenüber erfolgen kann. Die Bestätigung bedarf nicht der für das Rechtsgeschäft bestimmten Form (§ 144 Abs. 2 BGB).

b) Kein Ausschluss gemäß § 242 BGB

Eine Anfechtung ist nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB ausgeschlossen, wenn der Vertragspartner bereit ist, das Rechtsgeschäft mit dem vom Erklärenden gewollten Inhalt abzuschließen. In einem solchen Fall soll es bei dem Geschäft mit dem vom Irrenden gemeinten Inhalt bleiben. Weiterhin soll nach § 242 BGB ein Anfechtungsrecht des Verkäufers ausgeschlossen sein, wenn es nur dazu dient, dass er sich der Gewährleistungspflicht entzieht.

▪ Vgl. Bork, Allgemeiner Teil des BGB, 2. Aufl. 2006, Rdn. 941; Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, Rdn. 781

c) Kein Ausschluss gemäß §§ 121 Abs. 2, 124 Abs. 3 BGB

Eine Anfechtung ist auch ausgeschlossen, wenn seit der Abgabe der (anfechtbaren) Willenserklärung zehn Jahre verstrichen sind (§ 121 Abs. 2 BGB bzw. § 124 Abs. 3 BGB).

II. Rechtsfolgen einer wirksamen Anfechtung

1. Unmittelbare Wirkung

Grundsätzlich ist mit dem Zugang der Anfechtungserklärung die angefochtene Willenserklärung gemäß § 142 Abs. 1 BGB von Anfang an nichtig (ex tunc). Dabei ist aber das Abstraktionsprinzip zu beachten, d.h. in der Regel wird nur das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft angefochten. Eine Ausnahme ist vor allem bei der Fehleridentität gegeben. Bei dieser ist der Anfechtungsgrund derart schwerwiegend, dass sowohl Verpflichtungs- als auch Verfügungsgeschäft nichtig sind (vor allem bei § 123 BGB).

Exkurs: Wird ein Verfügungsgeschäft angefochten und hat der Erwerber schon eine Verfügung zu Gunsten des Dritten getroffen, so stellt sich diese Verfügung an den Dritten wegen der Rückwirkung der Anfechtung als Verfügung eines Nichtberechtigten dar. Bei der Prüfung eines gutgläubigen Erwerbs des Dritten ist § 142 Abs. 2 BGB zu beachten, wonach die Kenntnis der Anfechtbarkeit der Verfügung mit der Kenntnis der Nichtigkeit der Verfügung (und damit der Kenntnis der Nichtberechtigung) gleichgestellt wird.

(P) Bei Gesellschafts- und Arbeitsverträgen, die in Vollzug gesetzt sind, gelten die Grundsätze der fehlerhaften fehlerhaften Arbeitsvertrages. Nach diesen Rechtsinstituten hat die Anfechtung

Gesellschaft bzw. des ausnahmsweise keine ex-tunc-Wirkung, sondern eine ex-nunc-Wirkung.

2. Folgeansprüche nach einer wirksamen Anfechtung

a) Schadenersatz gemäß § 122 BGB

Derjenige, der eine Willenserklärung abgibt, für die ihm ein Anfechtungsrecht zusteht, wird durch dieses Anfechtungsrecht grundsätzlich hinreichend geschützt. Soweit der Erklärende jedoch nicht unzulässig vom Erklärungsempfänger in seiner Freiheit der Willensbildung beeinträchtigt wird, ist der Geschäftsgegner insoweit schutzwürdig, als er auf die Wirksamkeit der Willenserklärung vertraute. Folgerichtig erhält der Erklärungsempfänger gemäß § 122 BGB in diesen Fällen einen Schadenersatzanspruch (nur bei §§ 119, 120 und nicht bei § 123 BGB).

So muss der Anfechtende in den Fällen, in denen der Anfechtungsgrund sich aus den §§ 119, 120 BGB ergibt, dem Anfechtungsgegner Schadenersatz gemäß § 122 Abs. 1 BGB leisten (negatives Interesse begrenzt durch das positive Interesse; so zu stellen, wie wenn er nicht auf die Wirksamkeit des Geschäfts vertraut hätte).

Der Schadenersatzanspruch besteht allerdings gemäß § 122 Abs. 2 BGB dann nicht, wenn der Geschädigte den Grund der Anfechtbarkeit kannte oder infolge Fahrlässigkeit nicht kannte.

b) Herausgabeanspruch gemäß § 985 BGB

In den Fällen, in denen auch oder nur das dingliche Veräußerungsgeschäft angefochten wird, besteht, da die Übereignung durch die Anfechtung rückwirkend gescheitert ist, ein Herausgabeanspruch gemäß § 985 BGB.

c) Kondiktionsanspruch

Haben die Parteien eines Vertrages die vertraglich geschuldeten Leistungen schon ausgetauscht und ist der geschlossene Vertrag durch eine wirksame Anfechtung ex tunc nichtig -geworden, müssen die ausgetauschten Leistungen – wie grundsätzlich bei allen unwirksamen Verträgen – gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zurückgewährt werden, weil der Leistungsempfänger diese Leistungen ohne Rechtsgrund erlangt hat.

E. Form des Rechtsgeschäftes

I. Grundsatz

Rechtsgeschäfte sind grundsätzlich formlos wirksam. Der Erklärende ist folglich grundsätzlich frei in der Wahl des Erklärungsmittels (z.B. mündliche oder schriftliche Erklärung).

Nur wenn das Gesetz eine besondere Form verlangt oder die Parteien eine Form vereinbaren, gilt etwas anderes. Soweit das Gesetz die Schriftform oder die öffentliche Beglaubigung verlangt, können diese Formerfordernisse jeweils durch die notarielle Beurkundung ersetzt werden (§§ 126 Abs. 4, 129 Abs. 2 BGB).

Gemäß § 126 Abs. 3 BGB kann die Schriftform ferner durch die elektronische Form ersetzt werden, wenn sich aus dem Gesetz nichts anderes ergibt.

II. Sinn und Zweck der Formvorschriften

Die Anordnung einer besonderen Form erfolgt aus unterschiedlichen Gründen. Dabei kann eine Formvorschrift mehreren Zwecken dienen. Nachfolgend werden die wichtigsten Funktionen von Formvorschriften in einer Übersicht aufgeführt.

Abb. 35

(unvollständige) Aufzählung der Funktionen (Zwecke) der Formvorschriften

Beweisfunktion

Warn- und Schutzfunktion

Aufklärungsfunktion

Kontrollfunktion

Dem durch den Formzwang Begünstigten soll im Interesse der Rechtssicherheit eine bessere Beweislage geschaffen werden (z.B. § 550 BGB n.F. [= § 566 BGB a.F.]).

Die Form soll wegen der Tragweite des Rechtsgeschäfts vor Übereilung schützen (§ 311b I BGB n.F. [= § 313 BGB a.F.], § 311b III BGB n.F. [= § 311 BGB a.F.] BGB).

Die Form soll eine Gelegenheit zu einer sachverständigen Beratung geben (§ 311b I und III BGB n.f. [= § 313, 311 BGB a.F.], 2232 BGB i.V.m. §§ 17ff. BeurkG).

Form soll der Überwachung und Erkennbarkeit von Rechtsgeschäften dienen, die im öffentlichen Interesse liegen (z.B. § 1597 I BGB – Formbedürftigkeit der Vaterschaftsanerkennung und der entsprechenden Zustimmung der Mutter).

Rechtsfolge eines Formverstoßes

Rechtsfolge eines Formverstoßes

Rechtsfolge eines Formverstoßes

Rechtsfolge eines Formverstoßes

Rechtsgeschäft ist wirksam

Nichtigkeit (§ 125 S. 1 BGB)

Nichtigkeit (§ 125 S. 1 BGB)

Nichtigkeit (§ 125 S. 1 BGB)

III. Einzelne Formvorschriften

1. Schriftform

Ist durch Gesetz schriftliche Form vorgeschrieben, so muss eine Urkunde erstellt und von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder durch notariell beglaubigtes Handzeichen unterzeichnet werden (§ 126 Abs. 1 BGB).

Unter Urkunde ist die schriftliche Verkörperung der Erklärung zu verstehen. Dabei braucht der Text der Urkunde nicht vom Erklärenden selbst niedergelegt zu werden. Ist die Erklärung auf verschiedenen Blättern enthalten, so bilden die einzelnen Seiten grundsätzlich nur dann eine Urkunde, wenn zwischen ihnen eine auf Dauer gewollte körperliche Verbindung hergestellt ist. Entgegen früherer Rechtsprechung soll nun auch eine entsprechende Paginierung ausreichen.

Die Unterzeichnung muss den Text der Urkunden räumlich abschließen. Folglich wird nur der Text von der Unterschrift gedeckt, der vor der Unterschrift steht. Bei einem Vertrag ist die Unterzeichnung der Parteien auf derselben Urkunde erforderlich (§ 126 Abs. 2 S. 1 BGB). Beachte aber die Erleichterung des § 126 Abs. 2 S. 2 BGB.

Damit der Aussteller der Urkunde zweifelsfrei festgestellt werden kann, bedarf es der eigenen Namensunterschrift. Es genügt ein Pseudonym, soweit dadurch der Erklärende ermittelt werden kann.

(P) Umstritten ist, ob der Vertreter mit dem Namen des Vertretenen eigenhändig unterzeichnen kann. Seit RGZ 74, 69

geht die h.M. ganz klar von dieser Möglichkeit aus.

(P) Fraglich ist, ob die Zeichnung mit dem Vornamen als taugliche Unterschrift gewertet werden kann. Dies lehnt die Rechtsprechung mit dem Argument der fehlenden Unterscheidbarkeit ab. Unter der Berücksichtigung des Nachnamens „Müller“ ist diese Rechtsprechung allerdings zu kritisieren.

Möglich ist neben der gesetzlichen Schriftform nach § 127 BGB auch die Vereinbarung einer solchen durch die Parteien. In der Folge gilt nach § 127 Abs. 1 BGB die Form grds. so, wie wenn das Gesetz sie vorgeschrieben hätte. Zu beachten ist allerdings § 127 Abs. 2 BGB, nach der es bei der gewillkürten Schriftform grds. zur Wahrung der Schriftform die telekommunikative Form, sprich ein Telefax oder eine Email, genügt.

(P) Vertraglich festgelegte Schriftformerfordernisse können jederzeit – auch mündlich oder stillschweigend – aufgehoben werden können. Dies gilt prinzipiell auch für sog. qualifizierte Schriftformerfordernisse, nach denen auch Vertragsänderungen der Schriftform bedürfen. Hier ist allerdings bei einer stillschweigenden Annahme eines Antrags auf Aufhebung der Schriftformklausel, z.B. durch Annahme einer Lieferung, Vorsicht geboten.

2. Elektronische Form (§§ 126 Abs.3, 126a BGB)

Die elektronische Form erfordert, dass der Aussteller der Erklärung seinen Namen hinzufügt und das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versieht. Die qualifizierte elektronische Signierung dient im Rahmen der elektronischen Form als Substitut für die bei dieser Form entbehrliche eigenhändige Unterschrift. Da die Signatur – neben der eindeutigen Bestimmung des Erklärenden – auch gewährleistet, dass die Erklärung bei ihrem Transport durch die offenen Netze nicht verfälscht oder verändert wurde. Die technische Erzeugung des eindeutigen Dokumentenkomprimats erfolgt mit der sog. Hashfunktion.

Nicht erfüllt ist das Erfordernis, wenn jeder Vertragspartner lediglich seine Willenserklärung elektronisch signiert. Vielmehr müssen die Parteien zumindest ein gleichlautendes Dokument elektronisch signieren. Die gesetzliche Schriftform kann beim Vertragsschluss auch dadurch gewahrt werden, dass eine Kombination aus § 126 Abs. 2 BGB und § 126a BGB gewählt wird. So ist es durchaus schriftformwahrend, wenn der eine Vertragspartner das Dokument nach § 126a BGB in elektronischer Form signiert und der andere ein gleichlautendes Dokument in Schriftform nach § 126 Abs. 1 BGB unterzeichnet.

Nicht anwendbar ist die elektronische Form in folgenden Fällen:

  • für die Beendigung von Arbeitsverhältnissen (§ 623 Hs. 2 BGB)
  • bei der Zeugniserstellung (§ 630 S. 3 BGB)
  • für die Erteilung der Bürgschaftserklärung (§ 766 S. 2 BGB)
  • für die Erteilung eines abstrakten Schuldanerkenntnisses (§ 780 S. 2 BGB)
  • beim Verbraucherdarlehensvertrag (§ 492 Abs. 1 S. 2 BGB)

3. Textform

Wenn im Gesetz Textform vorgeschrieben ist, so muss nach § 126b BGB die Erklärung zunächst in einer Urkunde oder auf andere zur dauerhaften Wiedergabe in Schriftzeichen geeigneter Weise abgegeben werden. Sodann verlangt § 126b BGB, dass die Person des Erklärenden angegeben und der Abschluss der Erklärung in geeigneter Weise erkennbar gemacht wird.

Nach § 126b BGB ist für die Textform weniger als für die Schriftform nach § 126 Abs. 1 BGB zu verlangen.

Das Merkmal der Urkundenerstellung wird im Rahmen des § 126b BGB durch das Merkmal der Fixierung der Erklärung in lesbaren Schriftzeichen ersetzt. Das Merkmal der Unterzeichnung, das im Rahmen des § 126 BGB die Funktion hat, den Text räumlich abzuschließen, wird im Rahmen des § 126b BGB dadurch ersetzt, dass der Abschluss der Erklärung in geeigneter Weise erkennbar gemacht ist. Das Merkmal der Namensunterschrift wird dadurch ersetzt, dass die Erklärung die Person des Erklärenden angeben muss. Auf jegliche Eigenhändigkeit wird im Rahmen des §126b BGB verzichtet (Bsp. für die Textform: § 554 Abs. 3 S. 1 BGB; § 556b Abs. 2 S. 1 Alt. 1 und Alt. 2 BGB; § 109 Abs. 3 AktG; § 47 Abs. 3 GmbHG).

4. Öffentliche Beglaubigung

Die öffentliche Beglaubigung ist gemäß §§ 39, 40 BeurkG das Zeugnis des Notars darüber, dass die Unterschrift in seiner Gegenwart zu dem angegebenen Zeitpunkt von dem Erklärenden vollzogen oder anerkannt worden ist. Die öffentliche Beglaubigung bezieht sich somit allein auf die Unterschrift. Es wird folglich nicht der Inhalt der Erklärung beurkundet.

Anwendungsbereich: Anmeldung zum Vereinsregister (§ 77 BGB); Ausschlagung der Erbschaft (§ 1945 Abs. 1 Hs. 2 Alt. 2 BGB); Anmeldung zur Eintragung in das Handelsregister sowie die Zeichnung von Unterschriften (§ 12 Abs. 1 HGB), etc.

5. Notarielle Beurkundung

Für Willenserklärungen von erheblicher Bedeutung ist die notarielle Beurkundung vorgeschrieben. Sie ist unter den Formen des BGB die stärkste. Die notarielle Beurkundung ersetzt daher auch die Schriftform und die öffentliche Beglaubigung.

Bei der notariellen Beurkundung bezeugt der Notar, dass die in der Urkunde genannte Person (bzw. die dort genannten Personen) in seiner Gegenwart eine Erklärung des beurkundeten Inhaltes abgegeben hat. Das Zeugnis des Notars bezieht sich folglich nicht nur auf die Unterschrift, sondern auch auf den Inhalt der Erklärung.

Durch die Mitwirkung einer Amtsperson soll bei der notariellen Beurkundung den Beteiligten die Bedeutung ihrer Erklärungen bewusst gemacht werden (Warn- und Schutzfunktion).

Durch die gesetzlich vorgeschriebene Prüfungs- und Belehrungspflicht des Notars (§ 17 BeurkG) sollen zugehörige Informationen über die rechtliche Tragweite des Geschäfts vermittelt werden (Belehrungsfunktion). Außerdem soll die Übereinstimmung von Wille und Erklärung kontrolliert und eine eindeutige Formulierung herbeigeführt werden.

Anwendungsbereich: Die Fälle des § 311b BGB; § 873 Abs. 2 BGB; § 2 Abs. 1 GmbHG; § 15 Abs. 3 GmbHG; § 23 Abs. 1 S. 1 AktG, etc.

IV. Rechtsfolgen von Verstößen gegen die Rechtsform

Abb. 36

Rechtsfolgen von Verstößen gegen die gesetzliche Form

Differenzierung

kein Eingreifen von Spezialvorschriften, die die Rechtsfolgen bestimmter Formverstöße regeln.

Spezialvorschriften (z.B.: § 550 S. 2 BGB) regeln die Rechtsfolgen eines Formverstoßes

Grundsatz

Ausnahmefälle

Umdeutung (§ 140 BGB)

Heilung des Formmangels – Heilung des Grundstückkaufvertrages durch Auflassung und Eintragung (§ 311b I 2 BGB). – Heilung des Kaufvertrages bezüglich eines GmbH-Anteils durch Abtretung des GmbHAnteils (§ 15 IV 2 GmbHG).

  • Heilung des Formmangels der Schenkung

durch Bewirkung der versprochenen Leistung (§ 518 II BGB).

  • Heilung des Formmangels der Bürgschaft

durch Erfüllung der Hauptverpflichtung durch den Bürgen (§ 766 S. 3 BGB).

  • § § 494 II BGB n.F.

Formnichtigkeit §(§ 125 S. 1 BGB)

keine Formnichtigkeit

Rechtsfolgen bestimmen sich nach denSpezialvorschriften

Grundsatz

Ausnahmefall Wirkung des Rechtsgeschäftes ist nach § 242 BGB erforderlich, um schlechthin untragbare Ergebnisse zu vermeiden. Betreffende Partei kann sich deshalb auf den Formmangel nicht berufen (Beispiel: Eine Partei hat die andere Partei arglistig von der Wahrung der Form abgehalten, um sich später auf den Formmangel berufen zu können).

Rechtsgeschäft entfaltet keine Wirkung

Rechtsgeschäft entfaltet »Wirkung«/Wirkung

Wirkungen des Rechtsgeschäftes bestimmen sich nach den Spezialvorschriften

F. Verjährung

I. Allgemeines

Die dauernde Einrede der Verjährung ist in den §§ 194ff. BGB geregelt. Gemäß § 214 Abs. 1 BGB ist der Schuldner berechtigt, die Leistung zu verweigern, soweit der Anspruch auf diese verjährt ist. Die Verjährungsregeln dienen dem Schuldnerschutz sowie dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit. Mit Ablauf der Verjährungsfrist erlischt die Forderung aber keineswegs, sondern kann lediglich vom Gläubiger nicht mehr durchgesetzt werden. Somit kann auch der trotz oder in Unkenntnis der Verjährung leistende Schuldner das Geleistete nicht unter Verweis auf die Verjährung zurückfordern.

Darüber hinaus kann mit der verjährten Forderung noch aufgerechnet werden (§ 215 BGB) oder ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht werden, soweit dies in dem Zeitpunkt bestand, in dem die Forderung noch nicht verjährt war. Ferner besteht die Haftung für Hypothek und Grundschuld weiter (§ 216 BGB). In Ausnahmefällen kann der verjährte Anspruch auch noch einredeweise geltend gemacht werden (vgl. §§ 478, 639, 821, 853 BGB).

II. Regelmäßige und besondere Verjährung

Das Gesetz unterscheidet zwischen der Regelverjährung von drei Jahren (§ 195 BGB) und den besonderen Verjährungsregeln für Schadenersatz, Gewährleistung, dingliche Ansprüche etc. Dabei wird der Anwendungsbereich der Regelverjährung durch die besonderen Fälle bestimmt. Alles, was nicht gesondert geregelt ist, fällt daher unter die Regelverjährung. Bei den abweichenden Verjährungsfristen sind insbesondere die Regeln für die Geltendmachung von Gewährleistungsrechten zu beachten.

Die Frist beginnt regelmäßig gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Tatsachen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Beim Anspruch auf Schadenersatz beginnt die Verjährung mit der Verletzungshandlung (§ 199 Abs. 2 BGB).

Die Verjährung kann gemäß § 209 BGB z.B. bei Verhandlungen (§ 203 BGB) oder Rechtsverfolgung (§ 204 BGB) gehemmt sein. In dieser Zeit ruht die Verjährung. Im Ergebnis wird die Zeit der Hemmung zur Verjährungsfrist hinzu addiert.

III. Regelung der Verjährung durch Parteivereinbarung

Grundsätzlich können die Parteien die Verjährung von Ansprüchen untereinander auch abweichend von den gesetzlichen Regelungen durch Parteivereinbarung regeln. Hier gilt ebenfalls der Grundsatz der Privatautonomie.

Das Gesetz begrenzt die Möglichkeiten aber

  • bei Vorsatz (§ 202 Abs. 1 BGB)
  • bei einer Verjährung von mehr als 30 Jahren (§ 202 Abs. 2 BGB),
  • beim Verbrauchsgüterkauf (§ 475 Abs. 2 BGB)
  • bei Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB’s) (§§ 307, 309 Nr. 7, 309 Nr. 8 b ff. BGB).

Abb. 37

Regelverjährung (§§ 194 ff. BGB) Dauer: 3 Jahre (§ 195 BGB) Beginn: Mit dem Schluss des Jahres in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 I Nr. 1 BGB) oder mit Kenntnis bzw. grobfahrlässiger Unkenntnis.

Besondere Verjährung bei Schadenersatz: wegen Körperverletzung: 30 Jahre ab Begehung der Handlung (§ 199 II BGB) andere Schadenersatzansprüche: 10 Jahre nach Entstehung (§ 199 III Nr. 1 BGB) oder 30 Jahre nach dem auslösenden Ereignis (§ 199 III Nr. 2 BGB)

Besondere Verjährung bei Ansprüchen aus Grundstücken: 10 Jahre ab Entstehung (§ 198 BGB) Gewährleistungsansprüchen: Kaufvertrag (§ 438 BGB) – 2, 3, 30 Jahre; Werkvertrag (§ 634 a BGB) 2, 5, 3 Jahre; Reisevertrag (§ 651 g) 1, 2 Jahre

30-jährige Verjährung (§ 197 BGB) bei: – dinglichen Ansprüchen – familien- / erbrechtlichen Ansprüchen – rechtskräftig festgestellten Ansprüchen – Ansprüche aus vollstreckbaren Vergleichen und Urkunden

Hemmung der Verjährung (§ 209 BGB): – in den in §§ 203 – 208 BGB genannten Fällen – Ablaufhemmung, § 212 BGB – Neubeginn: § 212 BGB

Rechtsfolge: Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners (§ 214 I BGB) und Unwirksamkeit der Ausübung von Gestaltungsrechten (§ 218 BGB)

G. Fristen und Termine

Zahlreiche Rechtswirkungen sind im BGB an Zeitbestimmungen gebunden. Diese Zeitbestimmungen werden Fristen oder Termine genannt. Sie finden ihre gesetzliche Regelung in den §§ 186ff. BGB. Die Regelungen zu Fristbeginn, Fristende und Fristberechnung gelten nicht nur im BGB, sondern über Verweise in zahlreichen Gesetzen und insbesondere im Prozessrecht. Dementsprechend legt § 186 BGB auch fest, dass die Regeln der §§ 187ff. BGB vorbehaltlich von Sonderregelungen für die in Gesetzen, gesetzlichen Verfügungen und Rechtsgeschäften enthaltenen Fristen- und Terminbestimmungen gelten. Die einheitliche Regelung dient vor allem der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit.

Unter einer Frist versteht man eine abgegrenzte, d.h. bestimmt bezeichnete oder jedenfalls bestimmbare Zeitspanne. Der Begriff Termin wiederum beschreibt einen bestimmten Zeitpunkt, an dem etwas geschehen soll oder eine Rechtswirkung eintritt.

I. Fristbeginn

Den Beginn einer Frist regelt §187 BGB. Danach ist für den Beginn der Frist zu unterscheiden, ob für ein Ereignis ein in den Lauf des Tages fallender Zeitpunkt maßgeblich ist (Abs. 1) oder ob der Beginn eines Tages maßgeblich ist (Abs. 2).

Nach Abs. 1 wird im ersten Fall bei der Fristberechnung der dem Ereignis folgende Tag als Fristbeginn normiert. Der Tag, auf den das eigentliche Ereignis fällt, wird somit nicht mitgezählt (z.B. Übergabe der Kaufsache bei Berechnung der Gewährleistungsfrist).

Nach Abs. 2 wird von dem zuvor genannten Grundsatz eine Ausnahme gemacht, wenn die Frist mit dem Tagesanfang beginnt oder das Lebensalter berechnet wird. Als Folge beginnt der »Geburtstag« schon um 0:00 Uhr des jeweiligen Tages, obwohl die Geburt in aller Regel erst irgendwann im Laufe des Tages der Geburt vollendet war.

II. Fristende

Das Fristende fällt regelmäßig auf Mitternacht des letzten Tages, da nur in vollen Tagen gerechnet wird, vgl. § 187 Abs. 1 BGB. Im Einzelnen sind zwei Arten an Fristenden zu unterscheiden.

Zum einen können die Parteien eine festen Endtermin bestimmt haben. In diesem Fall endet die Frist mit dem Ablauf des Tages, also um 24 Uhr.

Zum anderen kann die Frist durch Ablauf der gesetzlich festgelegten Fristdauer enden. Bei einer Bestimmung der Frist nach Tagen endet sie am letzten Tag (§ 188 Abs. 1 BGB). Bei einer Bestimmung nach Wochen, Monaten oder längeren Zeiträumen endet die Frist mit Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats der Frist, der dem Tag entspricht, auf den das für den Beginn der Frist maßgebliche Ereignis fällt. Im Übrigen werden gemäß § 191 BGB Monate mit 30 Tagen und Jahre mit 365 Tagen gerechnet.

Zu beachten ist aber in jedem Fall der § 193 BGB. Fällt das Fristende auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag, wird dieser Tag nicht mitgerechnet und die Frist endet mit Ablauf des folgenden Werktages.

▪ Vgl. Grothe in: MüKo-BGB, 5. Aufl. 2006, § 186ff.

H. Lösungen der Übungsfälle

Nachfolgend werden die Lösungen der Übungsfälle dargestellt:

Fall 1 »Die zwei Schreiben«

I. Anspruch des Verlags (V) gegen X auf Zahlung und Abnahme der juristischen

Fachliteratur gemäß § 433 Abs. 2 BGB

V könnte gegen X einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises und Abnahme der Fachliteratur gemäß § 433 Abs. 2 BGB haben.

1. Anspruch entstanden

Der Anspruch ist entstanden, wenn V und X einen wirksamen Kaufvertrag i.S.d. § 433 BGB geschlossen hätten.

a) Kaufvertrag

Ein Kaufvertrag kommt durch zwei übereinstimmende und aufeinander bezogene Willenserklärungen, Angebot und Annahme gemäß §§ 145ff. BGB, zu Stande. Dabei müssen die Vertragsparteien mit Rechtsbindungswillen gehandelt und die essentialia negotii benannt haben.

aa) Angebot des V

Ein Angebot des V könnte in der Zusendung des Bestellscheins liegen. Ein Angebot ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, durch die dem anderen Teil ein Vertragsschluss dergestalt angeboten wird, dass dieser nur noch sein Einverständnis zu erklären braucht, um den Vertragsschluss herbeizuführen.

Der Bestellschein des V enthält die essentialia negotii, denn aus ihm gehen Vertragsgegenstand, Preis sowie konkludent auch die Parteien hervor. Fraglich ist aber, ob der Verlag auch mit Rechtsbindungswillen handelte.

(1) Rechtsbindungswille

Der Rechtsbindungswille würde fehlen, wenn sich der V mit dem Bestellschein gar nicht abschließend rechtlich binden wollte. Der Verlag schickt seine Bestellscheine als Werbung an eine Vielzahl an Personen. Von einem rechtlich bindenden Angebot kann dabei nicht ausgegangen werden, denn ansonsten würde der V mit jedem, der den Schein zurückschickt, eine vertragliche Beziehung eingehen müssen.

Vielmehr handelt es sich vorliegend um eine reine invitatio ad offerendum. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass eine Person einer anderen lediglich eine Aufforderung übergibt, ihrerseits ein Angebot auf Abschluss eines Vertrages abzugeben. In diesem Fall will sich die Person, die eine invitatio ad offerendum abgibt, vorbehalten, mit wem sie einen Vertrag schließt. Der V wollte hier lediglich Werbung für seine Literatur machen. Mit Rechtsbindungswillen handelte er dabei nicht.

(2) Zwischenergebnis

Ein Angebot des V scheidet mangels Rechtsbindungswillens aus.

bb) Angebot des X

Durch das Unterschreiben und Abschicken des Bestellscheins könnte aber der X seinerseits ein Angebot abgegeben haben. Die essentialia negotii sind durch den Bestellschein bekannt. Zudem ist auch der äußere Tatbestand erfüllt, denn das Unterschreiben eines Bestellscheins lässt aus Sicht eines objektiven Empfängers eindeutig einen Rechtsbindungswillen erkennen.

Fraglich ist aber, ob auch der innere Tatbestand der Willenserklärung erfüllt ist.

(1) Innerer Tatbestand

Dieser setzt sich zusammen aus dem Handlungswillen, dem Erklärungsbewusstsein und dem Geschäftswillen. Der Handlungswille liegt vor, denn X hat bei Unterschreiben des Bestellscheins willentlich gehandelt.

Des Weiteren müsste er aber auch mit Erklärungsbewusstsein unterschrieben haben. Das Erklärungsbewusstsein liegt immer dann vor, wenn sich der Handelnde bewusst ist, eine rechtlich relevante Erklärung abzugeben. Hier dachte X, er würde lediglich eine Glückwunschkarte unterschreiben. Es ist davon auszugehen, dass er dabei von keinerlei rechtlicher Bindung ausging. Mithin handelte der X ohne Erklärungsbewusstsein.

Wie das Fehlen des Erklärungsbewusstseins zu lösen ist, ist umstritten.

(a) Eine Ansicht

Man kann vertreten, dass darauf abzustellen ist, ob der Handelnde den Willen hatte, eine rechtlich erhebliche Erklärung abzugeben. Fehlte ihm dieser Wille, liegt auch kein bindendes Angebot vor. Auf diese Weise wird der Erklärende vor Rechtsfolgen geschützt, die er gar nicht herbeiführen wollte.

Nach dieser Ansicht wäre der X hier nicht gebunden, da er nicht den Bestellschein ausfüllen wollte.

(b) Andere Ansicht

Andererseits lässt sich auch objektiv auf das Erklärte abstellen. Hat also der Erklärende rein äußerlich eine entsprechende Erklärung abgegeben, dann ist er auch gebunden. Diese Ansicht stellt den Schutz des Erklärungsempfängers in den Vordergrund.

Vorliegend wäre demnach X gebunden, denn äußerlich erweckte das Unterschreiben des Bestellscheins durchaus den Eindruck, dass X die Literatur bestellen wollte.

(c) Weitere Ansicht

Weiterhin kann man eine vermittelnde Ansicht vertreten. Danach ist maßgeblich, ob der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, dass sein Verhalten vom Empfänger nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefasst werden durfte.

Wendet man diese Ansicht auf den vorliegenden Fall an, ist der X an seine Erklärung gebunden, denn bei der Durchsicht seiner Post hätte er erkennen können, dass es sich um einen Bestellschein handelt. Regelmäßig enthält die Tagespost rechtlich erhebliche Schreiben, so dass nicht ohne weiteres nur von unbedeutenden Schreiben ausgegangen werden kann.

(d) Streitentscheid

Die vorgenannten Ansichten kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, so dass der Meinungsstreit zu entscheiden ist.

Die erste Ansicht (Willenstheorie) ist abzulehnen, da sie einseitig nur die Interessen des Erklärenden schützt. Die Privatautonomie gibt jedem das Recht, Verträge zu schließen. Mit diesem Recht geht aber zumindest die Pflicht einher, darauf zu achten, was man unterschreibt. Ähnlich einseitig verhält es sich mit der zweiten Ansicht (Erklärungstheorie). Das Abstellen auf rein objektive Gesichtspunkte ist zwar einfach nachvollziehbar und schützt auch grundsätzlich begrüßenswert den Empfänger von Willenserklärungen. Jedoch fehlt es auch hier an einer alle Interessen berücksichtigenden Abwägung.

Diese nimmt die letztgenannte Ansicht vor (Theorie vom potentiellen Erklärungsbewusstsein). Hier werden sowohl objektive Gesichtspunkte als auch subjektive in einen angemessenen Ausgleich gebracht. Dieser Ansicht ist daher zu folgen.

(2) Zwischenergebnis

Nach der vorzugswürdigen Ansicht ist X an seine Erklärung gebunden, der innere Tatbestand ist mithin erfüllt. Ein wirksames Angebot des X liegt vor.

cc) Annahme des V

Der V müsste das Angebot des X angenommen haben. Die Annahme ist ebenfalls eine empfangsbedürftige Willenserklärung, durch die der Erklärende sein Einverständnis zum Vertragsschluss erklärt. Diese Annahme müsste dem X auch zugegangen sein. Hier hat X aber keine Annahmeerklärung seitens des V bekommen.

Jedoch könnte der Zugang der Annahme entbehrlich sein gemäß § 151 BGB. Danach ist der Zugang der Annahmeerklärung entbehrlich, wenn die Parteien dies ausdrücklich vereinbart haben oder der Zugang nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist. Eine Parteivereinbarung wurde hier nicht getroffen. In Betracht kommt aber eine Entbehrlichkeit aufgrund der Verkehrssitte. Bei Bestellungen mittels Bestellschein ist es regelmäßig der Fall, dass die Ware ohne vorherige Annahmeerklärung zugesandt wird. Demnach entspricht es hier der Verkehrssitte, dass die Annahme nicht zugeht.

Eine wirksame Annahme des V ist mithin gegeben.

b) Zwischenergebnis

Der Kaufpreisanspruch ist grundsätzlich entstanden.

2. Anspruch erloschen

Der Anspruch des V könnte aber durch eine Anfechtung erloschen sein (§ 142 BGB). Voraussetzung einer wirksamen Anfechtung sind die Erklärung der Anfechtung, das Vorliegen eines Anfechtungsgrundes sowie kein Ausschluss der Anfechtung.

a) Anfechtungserklärung gemäß § 143 BGB

X hat hier die Anfechtung nicht ausdrücklich erklärt. Jedoch muss nicht das Wort Anfechtung gewählt werden, vielmehr genügt es, wenn der Anfechtende zum Ausdruck bringt, nicht an den Vertrag gebunden sein zu wollen. X erklärt hier gegenüber V, dass er sich geirrt hätte und daher doch nicht gebunden sein könnte. Einer solchen Erklärung eines juristischen Laien ist eine Anfechtungserklärung zu entnehmen.

b) Anfechtungsgrund

Zudem müsste X einen Anfechtungsgrund haben. Vorliegend hat X sich über das, was er unterschreibt, geirrt. In Betracht kommt mithin ein Erklärungsirrtum gemäß § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB. Dieser Irrtum liegt vor, wenn schon der äußere Erklärungstatbestand nicht dem Willen des Erklärenden entspricht. So verhält es sich auch beim Unterschreiben des Bestellscheins. X wollte lediglich das Glückwunschschreiben signieren.

Damit liegt ein Erklärungsirrtum vor.

c) Kein Ausschluss

Ein Ausschluss der Anfechtung ist nicht ersichtlich.

d) Zwischenergebnis

Der Anspruch ist mithin durch Anfechtung erloschen.

3. Ergebnis

V hat gegen X keinen Anspruch auf Kaufpreiszahlung und Abnahme der Literatur gemäß § 433 Abs. 2 BGB.

II. Anspruch auf Schadenersatz gemäß § 122 Abs. 1 BGB

Der V könnte aber zumindest einen Anspruch auf Schadenersatz gemäß § 122 Abs. 1 BGB haben. Danach hat der Anfechtende dem Anfechtungsgegner den Schaden zu ersetzen, den er im Vertrauen auf den Bestand des Rechtsgeschäfts erlitten hat. Ersetzt wird somit der Vertrauensschaden.

Dem V sind mithin alle Schäden zu ersetzen, die er im Vertrauen auf den Bestand des Kaufvertrages erlitten hat.

Fall 2 »Geschäfte auf dem Pausenhof«

Frage 1: Ansprüche des S gegen M

I. Anspruch gemäß § 985 BGB

S könnte gegen M einen Anspruch auf Herausgabe des Fahrrads gemäß § 985 BGB haben. Dafür müsste S Eigentümer des Fahrrads sein und M Besitzer ohne ein Recht zum Besitz gemäß § 986 BGB.

1. Anspruch entstanden

a) Eigentum des S

Fraglich ist, ob S nach wie vor Eigentümer des Fahrrads ist. Mangels gegenteiliger Sachverhaltsangaben ist davon auszugehen, dass der S ursprünglich Eigentümer des Fahrrads war. Möglicherweise hat er es aber gemäß § 929 S. 1 BGB verloren. Dabei kommt zunächst kein Verlust an B in Betracht, denn die Leihe begründet keinen Übergang des Eigentums.

aa) Eigentumsverlust des S an M

In Betracht kommt aber ein Eigentumsverlust des S an M gemäß § 929 S. 1 BGB durch Übereignung des B an M auf dem Pausenhof. Voraussetzung wäre die Einigung, Übergabe und Berechtigung des B.

(1) Einigung

Eine Einigung i.S.d. § 929 S. 1 BGB setzt zwei übereinstimmende Willenserklärungen voraus, Angebot und Annahme gemäß §§ 145ff. BGB.

Fraglich ist vorliegend, ob der B eine wirksame Willenserklärung abgeben konnte. B ist 17 Jahre alt und damit lediglich beschränkt geschäftsfähig. Seine Willenserklärung könnte demnach gemäß §§ 107, 108 Abs. 1 BGB unwirksam sein. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn seine Erklärung lediglich rechtlich vorteilhaft war, eine Einwilligung oder Genehmigung der gesetzlichen Vertreter vorlag oder einer der Ausnahmetatbestände der §§ 110ff. BGB einschlägig ist.

(a) Lediglich rechtlich vorteilhaft

Vorliegend kommt mangels Einwilligung der Eltern nur die Möglichkeit des lediglich rechtlich vorteilhaften Rechtsgeschäfts in Betracht. Gemäß § 107 BGB ist die Willenserklärung des beschränkt Geschäftsfähigen auch dann wirksam, wenn sie lediglich rechtlich vorteilhaft ist. Dabei ist allein auf die unmittelbaren rechtlichen Folgen des Geschäfts abzustellen. Mittel-bare Folgen bleiben außer Betracht.

Vorliegend übereignet der B das Fahrrad des S. Er einigt sich über den Eigentumsübergang an einer fremden Sache. Er hat damit kein Recht verloren, insoweit als er selbst gar nicht Eigentümer des Fahrrads war. Damit kann zunächst festgehalten werden, dass das Geschäft weder rechtlich nachteilig noch vorteilhaft war. Es handelt sich bei der Übereignung fremder Sachen um ein neutrales Geschäft. Fraglich ist, ob der beschränkt Geschäftsfähige auch ein rechtlich neutrales Geschäft vornehmen kann. Zur Beantwortung dieser Frage ist auf den Rechtsgedanken des § 165 BGB abzustellen. Danach kann der Minderjährige Stellvertreter eines anderen sein, da die rechtlichen Folgen seiner Willenserklärung einen anderen verpflichten, für ihn selbst somit neutral sind. Dieser Gedanke ist auch auf die Übereignung fremder Sachen anzuwenden. Hier ist der Minderjährige nicht schutzwürdig, da ihn keinerlei Nachteile treffen. § 107 BGB ist in diesem Fall auch auf neutrale Rechtsgeschäfte anwendbar.

(b) Zwischenergebnis

Der B konnte mithin wirksam die Einigung erklären.

(2) Übergabe

Eine Übergabe zwischen B und M hat ebenfalls stattgefunden.

(3) Berechtigung

Allerdings war der B nicht berechtigt, das Fahrrad zu übereignen. Zur Eigentumsübertragung ist grundsätzlich nur der Eigentümer einer Sache berechtigt und das war zum Zeitpunkt der Übergabe der S.

(a) Gutgläubiger Erwerb des M gemäß §§ 929 S. 1, 932 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB

Der M könnte das Eigentum an dem Fahrrad jedoch gutgläubig erworben haben. Da B vorliegend im Besitz der Sache war, kommt M zunächst die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 BGB zu Gute.

Des Weiteren dürfte er nicht bösgläubig gewesen sein. Aus Sicht des M sind keinerlei Gründe ersichtlich, weswegen er nicht davon ausgehen konnte, dass der B Eigentümer des Fahrrads ist. Er war somit gutgläubig.

Fraglich ist aber, wie es sich auswirkt, dass der M wusste, dass B minderjährig war. Nach seiner Vorstellung wäre also auch bei Eigentum des B die Einwilligung der Eltern nötig gewesen. Man kann demnach vertreten, dass der Erwerb auch bei Richtigkeit der Vorstellung des Erwerbers an anderen Hindernissen scheitert. Die §§ 932ff. BGB bezwecken den Schutz des Erwerbers nur insoweit, wie er bei Richtigkeit seiner Vorstellung stehen würde.

Andererseits könnte man auch vertreten, dass zwischen dem Schutzzweck der §§ 932ff. BGB und §§ 104ff. BGB zu unterscheiden ist mit der Folge, dass der Erwerb nicht an dem Wissen um die Minderjährigkeit scheitert (beides gut vertretbar).

Letztlich ist der letztgenannten Ansicht zu folgen.

(b) Kein Abhandenkommen

Weitere Voraussetzung eines gutgläubigen Erwerbs wäre aber, dass das Fahrrad nicht abhanden gekommen i.S.d. § 935 BGB ist. Abhandenkommen liegt bei jedem unfreiwilligen Verlust des unmittelbaren Besitzes vor. Ein unfreiwilliger Besitzverlust liegt aber bereits weder bei S noch bei B vor. Die Minderjährigkeit ändert daran nichts, denn für § 935 BGB kommt es nur auf den natürlichen Willen und nicht auf einen rechtsgeschäftlichen an. Man kann also nicht sagen, dass bei einer Weggabe eines Minderjährigen stets ein Abhandenkommen vorliegt.

bb) Zwischenergebnis

Somit hat der M das Eigentum an dem Fahrrad gutgläubig von B erworben.

b) Zwischenergebnis

S hat sein Eigentum an M verloren.

2. Ergebnis

Ein Anspruch des S gegen M scheitert mangels Eigentums des S.

II. Ansprüche gemäß § 861 BGB oder § 1007 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 BGB

Herausgabeansprüche kommen weder aus § 861 BGB noch aus § 1007 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 BGB in Betracht. Für § 861 BGB fehlt es entweder bereits an der verbotenen Eigenmacht durch die Weitergabe von B an M, zumindest aber muss sich M die Fehlerhaftigkeit des Besitzes gemäß § 858 Abs. 2 S. 2 mangels Kenntnis nicht entgegenhalten lassen.

Der Anspruch aus § 1007 BGB scheidet ebenfalls aus, da der M gutgläubig war und das Fahrrad auch nicht gemäß §§ 1007 Abs. 2 S. 1, 935 Abs. 1 BGB abhanden gekommen ist.

III. Anspruch gemäß § 604 Abs. 4 BGB

S könnte weiterhin gegen M einen Anspruch auf Rückgabe des Fahrrads gemäß § 604 Abs. 4 BGB haben.

1. Anspruch entstanden

Dafür müsste zunächst ein wirksamer Leihvertrag gemäß § 598 BGB zwischen S und B zu Stande gekommen sein.

a) Leihvertrag

Ein Leihvertrag kommt durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen, Angebot und Annahme gemäß den §§ 145ff. BGB, zu Stande.

Fraglich ist erneut allein die Willenserklärung des B. Als beschränkt Geschäftsfähiger kann er gemäß §§ 106ff. BGB eine wirksame Willenserklärung nur bei Einwilligung der Eltern oder lediglich rechtlich vorteilhaften Folgen abgeben. Ansonsten wäre die Erklärung schwebend unwirksam.

Vorliegend haben die Eltern in die Leihe eingewilligt, so dass eine vorherige Zustimmung gemäß §§ 107, 183 BGB gegeben ist. B und S konnten insofern wirksam einen Leihvertrag schließen.

b) Zwischenergebnis

Folglich steht dem S gemäß § 604 Abs. 4 BGB grundsätzlich auch gegen den M ein Anspruch auf Rückgabe der Leihsache zu.

2. »Dolo facit«-Einwand

Fraglich ist jedoch, wie es sich auswirkt, dass der M Eigentümer des Fahrrads geworden ist. Er könnte somit nach Herausgabe des Fahrrads an S seinerseits die (Rück-)herausgabe verlangen. Er könnte mithin den Einwand des »dolo facit qui petit quod statim redditurus est« erheben, nachdem ein Anspruch dann gemäß § 242 BGB erlischt, wenn der Anspruchsgegner sofort wieder die Rückgängigmachung verlangen könnte.

Der M kann somit die Herausgabe aufgrund seines Eigentums an dem Fahrrad gegenüber S verweigern.

3. Ergebnis

Ein Anspruch des S gemäß § 604 Abs. 4 BGB besteht somit nicht.

IV. Anspruch gemäß § 816 Abs. 1 S. 2 BGB

S könnte ferner einen Anspruch gemäß § 816 Abs. 1 S. 2 BGB geltend machen.

1. Anspruch entstanden

Voraussetzung eines solchen Anspruchs sind die unentgeltliche Verfügung eines Nichtberechtigten, die dem Berechtigten gegenüber wirksam ist. Verfügt wird über das Eigentum an dem Fahrrad. Aufgrund des gutgläubigen Eigentumserwerbs ist die Verfügung dem S gegenüber auch wirksam.

Fraglich ist aber die Unentgeltlichkeit. Eine Verfügung ist dann unentgeltlich, wenn der Verfügende keinerlei Gegenleistung erhält. Hier erhält der B aber € 100 als Gegenleistung für das Fahrrad. Eine unentgeltliche Verfügung liegt demzufolge nicht vor.

2. Ergebnis

Ein Anspruch gemäß § 816 Abs. 1 S. 2 scheidet mangels Unentgeltlichkeit aus.

V. Anspruch gemäß § 816 Abs. 1 S. 2 BGB analog

Dem S könnte aber ein Anspruch aus analoger Anwendung des § 816 Abs. 1 S. 2 BGB zustehen.

1. Anspruch entstanden

Eine Analogie kommt vor dem Hintergrund in Betracht, dass der Kaufvertrag zwischen B und M aufgrund der Minderjährigkeit unwirksam war und er demzufolge ohne Rechtsgrund leistete.

a) Rechtsgrundlos gleich unentgeltlich

Fraglich ist demnach, ob die rechtsgrundlose Verfügung der unentgeltlichen gleichgestellt werden muss. Voraussetzung einer Analogie sind eine Regelungslücke, die Planwidrigkeit der Regelungslücke und vergleichbare Interessenlagen.

Man kann hier vertreten, dass ein rechtsgrundloser Erwerb weniger schützenswert ist als ein unentgeltlicher Erwerb – und wenn schon dieser von § 816 BGB erfasst wird, dann erst recht ein rechtsgrundloser Erwerb. Andererseits spricht gegen eine Vergleichbarkeit der Interessenlagen, dass bei der Unentgeltlichkeit beide Parteien das Geschäft in dieser Weise wollten. Bei der Rechtsgrundlosigkeit ist das nicht der Fall. Für ein solches Ergebnis streitet ebenfalls der Vorrang der Leistungsbeziehungen (Beides vertretbar).

Hier wird eine Analogie abgelehnt.

b) Zwischenergebnis

Der Anspruch ist mangels Vorliegens der Analogievoraussetzungen nicht entstanden.

2. Ergebnis

Ein Anspruch des S gemäß § 816 Abs. 1 S. 2 BGB analog ist nicht gegeben.

VI. Anspruch gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB

Ferner könnte S einen Anspruch aus Nichtleistungskondiktion gemäß § 812 Abs. 1 S. 2 BGB geltend machen.

1. Anspruch entstanden

Dafür müsste der M rechtsgrundlos in sonstiger Weise auf Kosten des S etwas erlangt haben.

Fraglich ist vorliegend, ob eine Nichtleistungskondiktion überhaupt Anwendung findet. Grundsätzlich gilt der Vorrang der Leistungsbeziehung, d.h., dass im Rahmen der Leistungsbeziehungen rückabgewickelt werden muss, soweit solche bestehen. Vorliegend hat B dem M das Eigentum geleistet, so dass eine direkte Nichtleistungskondiktion des S gegen M ausscheiden muss.

2. Ergebnis

Ein Anspruch des S scheidet aufgrund des Vorrangs der Leistung aus.

VII. Gesamtergebnis Frage 1

Der S hat keine Ansprüche gegen M. Er kann die Herausgabe des Fahrrads nicht verlangen.

Abwandlung: Ansprüche des S gegen B

I. Anspruch gemäß §§ 280 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, 283 S. 1 BGB

S könnte gegen B einen Schadenersatzanspruch wegen Verletzung der Rückgabeverpflichtung aus dem Leihvertrag haben.

1. Anspruch entstanden

Die Anspruchsvoraussetzungen sind ein Schuldverhältnis, die Pflichtverletzung sowie das Vertretenmüssen dieser und ein kausaler Schaden.

Ein Schuldverhältnis liegt in Form des Leihvertrages vor. Die Pflichtverletzung besteht in der Unmöglichkeit der Rückgabe des Fahrrads. Die Pflichtverletzung hat der B auch gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB zu vertreten. Der kausale Schaden besteht in dem Verlust des Fahrrads, wobei sich die Höhe des Schadens nach dem objektiven Wert des Fahrrads bemisst.

2. Ergebnis

S hat gegen B einen Anspruch auf Schadenersatz in Höhe von € 100.

II. Anspruch gemäß §§ 989, 990 Abs. 1 S. 1 BGB

Weiterhin kommt ein Anspruch des S gegen B aus der Regelung des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses in Betracht.

1. Anspruch entstanden

Dafür müsste zur Zeit der schädigenden Handlung ein Eigentümer-Besitzer-Verhältnis vorgelegen haben.

Zum Zeitpunkt der Verfügung des B an M war S Eigentümer des Fahrrads und B Besitzer. Fraglich ist allein, ob B ein Recht zum Besitz hatte.

Ein Recht zum Besitz könnte der Leihvertrag begründen. Jedoch wird vertreten, dass der Leihvertrag aufgrund der jederzeitigen Rückgabeverpflichtung kein Besitzrecht begründet. Andererseits muss die freiwillige Weggabe einer Sache durch den Eigentümer ein Besitzrecht begründen, denn bereits das Zurückbehaltungsrecht wird überwiegend als Recht zum Besitz angesehen.

Der B hatte demnach ein Recht zum Besitz gemäß § 986 BGB.

2. Ergebnis

Ein Anspruch des S scheidet mangels Vindikationslage im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses aus.

III. Anspruch aus GoA gemäß §§ 687 Abs. 2 S. 1, 678 BGB

Ein Anspruch auf Schadenersatz des S gegen B aus angemaßter Eigengeschäftsführung kommt nicht in Betracht. Der minderjährige B haftet gemäß § 682, 687 Abs. 2 S. 1 BGB nicht aus Geschäftsführung ohne Auftrag.

IV. Anspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB

Weiterhin könnte der S einen Anspruch auf Schadenersatz gemäß § 823 Abs. 1 BGB gegen B haben.

1. Anspruch entstanden

Eine Rechtsgutsverletzung liegt hier in der Verletzung des Eigentums durch die Veräußerung. Dabei handelte B auch vorsätzlich, denn er war sich der fehlenden Berechtigung bewusst. Zudem liegt ein kausaler Schaden in Höhe von € 100 vor.

Gemäß § 828 Abs. 3 BGB ist die Verantwortlichkeit Minderjähriger insoweit eingeschränkt, als dass sie nur haften, soweit sie die erforderliche Einsicht in ihr Verhalten hatten.

Es ist vorliegend bei B als 17-Jährigem davon auszugehen, dass er um die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens wusste.

2. Ergebnis

Ein Anspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB besteht mithin.

V. Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 246 StGB

Ferner besteht ein Anspruch wegen veruntreuender Unterschlagung des Fahrrads gegen B.

VI. Gesamtergebnis Abwandlung

S hat gegen B einen Anspruch auf Schadenersatz in Höhe von € 100 gemäß §§ 280 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, 283 S. 1 BGB; §§ 823 Abs. 1 BGB; §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 246 StGB.

Fall 3 »Der Spülmaschinen-Fachmann«

I. Anspruch gemäß § 985 BGB

A könnte gegen B einen Anspruch auf Herausgabe der Spülmaschine gemäß § 985 BGB haben

1. Anspruch entstanden

Voraussetzung für das Bestehen eines solchen Anspruchs ist ein Eigentümer-Besitzer-Verhältnis. Der Anspruchsteller A müsste Eigentümer der Spülmaschine sein, der Anspruchsgegner B Besitzer ohne ein Recht zum Besitz i.S.d. § 986 BGB.

a) Eigentümer A

A müsste Eigentümer sein. Eigentümer ist derjenige, der das Eigentum erworben und nicht wieder verloren hat. Ursprünglich war X als Vormieter der Wohnung Eigentümer. A könnte aber das Eigentum von diesem durch rechtsgeschäftlichen Erwerb gemäß § 929 S. 1 BGB erlangt haben.

aa) Eigentumserwerb des A von X gemäß § 929 S. 1 BGB

Der rechtsgeschäftliche Eigentumserwerb setzt Einigung und Übergabe voraus.

(1) Einigung

Eine Einigung besteht aus zwei übereinstimmenden Willenserklärungen, Angebot und Annahme gemäß §§145ff. BGB. Vorliegend hat mit X lediglich der B verhandelt und letztlich den Vertrag geschlossen. Es kommt für eine wirksame Einigung zwischen A und X folglich darauf an, ob dem A die Willenserklärung des B gemäß §§ 164ff. BGB zugerechnet werden kann. Voraussetzung einer wirksamen Stellvertretung ist das Handeln des B im Namen des A mit Vertretungsmacht.

(a) Eigene Willenserklärung und Handeln in fremdem Namen

Das Handeln in fremdem Namen setzt wiederum voraus, dass B eine eigene Willenserklärung abgegeben hat und offenkundig war, dass er für A handelte.

B sollte die Maschine zunächst kontrollieren und dann den Kaufvertrag für A abschließen, so dass von einer eigenen Willenserklärung ausgegangen werden kann.

Fraglich ist, ob die Stellvertretung auch offenkundig war. Dabei ist auf den X als Empfänger der Erklärung abzustellen. Diesem gegenüber hatte A zuvor erklärt, der B werde die Spülmaschine prüfen und mitunter für ihn kaufen. Dass B im Moment des Vertragsschlusses den A gar nicht mehr vertreten wollte, wird nicht offensichtlich und ist damit unbeachtlich.

(b) Vertretungsmacht

Der B müsste weiterhin mit Vertretungsmacht gehandelt haben. Der A hat sowohl dem B gegenüber eine Vollmacht erteilt als auch dem X als Vertragspartner gegenüber erklärt, dass B ihn gegebenenfalls vertreten werde. Somit lag zunächst eine Innen- und eine Außenvollmacht gemäß § 167 BGB vor.

Fraglich ist, ob die Vollmacht gemäß § 168 S. 1 BGB durch Ablehnung des B erloschen ist. B hat hier gegenüber A erklärt, keine Zeit zu haben. Entgegen dem unklaren Wortlaut des § 168 BGB ist auch die Verzichtserklärung des Bevollmächtigten erfasst. Die Vollmacht ist somit erloschen.

(c) Rechtsschein der Außenvollmacht

A hat aber auch eine Außenvollmacht erteilt. Diese ist gegenüber dem X nicht widerrufen worden, so dass diese Vollmacht als Rechtsschein gegenüber dem X gemäß §§ 170, 173 BGB fortbesteht.

(d) Zwischenergebnis

Der B hat den A wirksam vertreten. Eine Einigung zwischen A und X ist damit gegeben.

(2) Übergabe

Die Spülmaschine müsste auch übergeben worden sein. Die Übergabe setzt den vollständigen Besitzverlust auf Seiten des Veräußerers und zumindest die Erlangung mittelbaren Besitzes auf Seiten des Erwerbers voraus.

Einen unmittelbaren Besitz hat A hier nicht erlangt. Der X hat die Spülmaschine dem B übergeben.

In Betracht kommt aber ein mittelbarer Besitz des A gemäß § 868 BGB. Dafür müsste ein Besitzmittlungsverhältnis zwischen A und B bestehen. In Betracht kommt ein Auftrag. Allerdings hat B hier gegenüber A jegliche Hilfe widerrufen, so dass eine vertragliche Grundlage nicht mehr besteht. Ein Besitzmittlungsverhältnis scheidet damit aus.

Eine Übergabe an A hat mangels Erlangung zumindest des mittelbaren Besitzes nicht stattgefunden.

bb) Zwischenergebnis

Die Voraussetzungen eines rechtsgeschäftlichen Eigentumserwerbs sind nicht erfüllt.

b) Zwischenergebnis

Der A ist demzufolge nicht Eigentümer der Spülmaschine geworden.

2. Ergebnis

Ein Anspruch gemäß § 985 BGB auf Herausgabe besteht nicht.

II. Ansprüche aus Besitz

Ansprüche gemäß § 861 BGB oder 1007 BGB scheiden von vorneherein aus, da der A zu keinem Zeitpunkt Besitz an der Spülmaschine hatte.

III. Anspruch aus GoA gemäß §§ 687 Abs. 2 S. 1, 681 S. 2, 667 BGB

A könnte gegen B einen Anspruch wegen angemaßter Eigengeschäftsführung haben.

1. Anspruch entstanden

Voraussetzung ist, dass der B ein objektiv fremdes Geschäft als eigenes geführt hat, ohne dazu berechtigt gewesen zu sein.

a) Eigengeschäftsführung

B müsste ein Geschäft geführt haben, das dem Rechtskreis eines Dritten, hier dem A, zuzurechnen ist. Vorliegend ist zwischen A und X ein wirksamer Kaufvertrag über die Spülmaschine zu Stande gekommen. Übergeben wurde die Maschine allerdings an B. Die Inbesitznahme fällt aber in den Rechtskreis des A und steht diesem zu. B führte somit ein objektiv fremdes Geschäft als eigenes.

b) Ohne Berechtigung

Der B war infolge des Erlöschens der Vollmacht und des Grundverhältnisses nicht zur Inbesitznahme durch A berechtigt.

c) Zwischenergebnis

Ein Anspruch wegen angemaßter Eigengeschäftsführung ist mithin gegeben.

2. Anspruch erloschen

Der Anspruch ist auch nicht erloschen.

3. Anspruch durchsetzbar

Fraglich ist aber, ob der Anspruch auch durchsetzbar ist. Dem B könnte die Einrede des Zurückbehaltungsrechts gemäß § 273 Abs. 1 BGB zustehen. Dafür bedarf es eines gegenseitigen, fälligen und konnexen Gegenanspruchs.

a) Anspruch des B gegen A gemäß §§ 687 Abs. 2 S. 1, 684 S. 1, 818 Abs. 1 BGB

Soweit der Geschäftsherr die Herausgabe des Erlangten, hier der Spülmaschine, verlangt, ist er dem Geschäftsführer zur Herausgabe des seinerseits Erlangten verpflichtet. Vorliegend hat B die Kaufpreisschuld des A beglichen. In dieser Höhe ist A von seiner Verpflichtung zur Kaufpreiszahlung befreit, so dass er, da die Herausgabe unmöglich ist, Wertersatz gemäß § 818 Abs. 2 BGB in entsprechender Höhe zu leisten hat.

b) Fällig und Konnex

Der Anspruch ist mit der Geltendmachung auch fällig und zudem konnex.

c) Zwischenergebnis

Der B kann die Einrede des Zurückbehaltungsrechts gemäß § 273 Abs. 1 BGB erheben.

4. Ergebnis

A kann von B Herausgabe der durch die angemaßte Eigengeschäftsführung erlangten Spülmaschine Zug um Zug gegen Erstattung des Kaufpreises verlangen.